Kabinett:Der Anti-Gröhe

Jens Spahn

Muss künftig Regeln für digitale Medizin schaffen: Jens Spahn.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Ganz anders als der Vorgänger: Was von Jens Spahn als Gesundheitsminister zu erwarten ist.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Direkt nach seinem Karriereschritt ist Jens Spahn da, wo er immer ist: im Fernsehen. Am Wochenende hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel überraschend verkündet, dass sie ihn, einen ihrer konservativen Kritiker in der eigenen Partei, in das nächste Kabinett holen will. Jens Spahn hat lange auf diesen Augenblick gewartet. Weit mehr als die Hälfte seines Lebens hat er in der CDU verbracht, fünfzehn Jahre allein im Bundestag, er ist jetzt 37. Am Montag gibt er den Abendnachrichten ein Interview, die Kamera zeigt ihn vor dem Brandenburger Tor, eine Deutschlandfahne weht, und das ZDF blendet ein: "Designierter Bundesgesundheitsminister".

Man müsse sich nun darum kümmern, dass Kassenpatienten nicht mehr länger auf einen Arzttermin warten müssen als Privatversicherte, sagt Spahn als Allererstes. Dies sei "ein großes Thema". In den vergangenen Monaten war es das tatsächlich - allerdings vor allem für die SPD. Schon im Wahlkampf hatten die Sozialdemokraten ein Ende der "Zweiklassenmedizin" gefordert, ein Krankenversicherungssystem für alle Bürger, und in den Koalitionsverhandlungen erhoben sie das Thema bis zuletzt zur Grundsatzfrage. Das Ergebnis dieser Anstrengungen im Koalitionsvertrag ist bescheiden: eine Hotline für Arzttermine, erreichbar von 8 bis 18 Uhr, und ein Gremium, das über neue Honorare für Ärzte nachdenken soll. Dass die Union der SPD nun auch noch einen ihrer konservativsten Männer als Gesundheitsminister vorsetzt, könnten die Genossen als weiteren Dämpfer empfinden. Aber Spahn kennt das Geschäft. Er kommentiert seinen neuen Job deshalb jetzt auf allen Kanälen, und zwar so, als nähme er den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach gleich mit ins Ministerium. Der reagiert entsprechend erfreut.

In der Branche ist Spahn gut vernetzt - er hatte auch enge Verbindungen zur Privatwirtschaft

Doch ob Spahn in den kommenden Jahren tatsächlich ein beinahe sozialdemokratischer Gesundheitsminister wird, der so brav wie sein Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) alle Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag abarbeitet, ist kaum vorstellbar. Schließlich ist Spahn bereits jetzt ein erfahrener Gesundheitspolitiker, der in der Branche bestens vernetzt ist und seine Positionen vertritt. Bevor er Finanzstaatssekretär wurde, war er gesundheitspolitischer Sprecher der Union und Obmann im Gesundheitsausschuss.

Spahn setzte sich für ein marktwirtschaftliches Gesundheitssystem ein. So gilt er als Befürworter sogenannter Fallpauschalen, mit denen Krankenhäuser Operationen und Untersuchungen wie Produkte abrechnen. Das führt in Kliniken zu Leistungsdruck, Ärzte klagen über zu früh entlassene oder gar unnötig operierte Patienten. Vor fünf Jahren setzte sich Spahn leidenschaftlich dafür ein, dass dieses System auf Psychiatrien übertragen wird. Doch dass auch Menschen mit seelischen Erkrankungen möglichst schnell behandelt und entlassen werden könnten, stieß damals auf energischen Protest der Ärzte- und Patientenvertreter. Gesundheitsminister Gröhe ruderte schließlich zurück.

Im Jahr 2017 schrieb Jens Spahn ein Buch über die Digitalisierung des Gesundheitswesens: die Patientenakte auf dem Smartphone, medizinische Daten für die Forschung - diese Entwicklung sei dringend nötig, lautete Spahns These, und Datenschutz sei nur etwas für Gesunde. Tatsächlich wird Spahn als Gesundheitsminister nun Regeln für digitale Medizin schaffen müssen, zum Beispiel für Fernsprechstunden per Kamera. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Es wird sichergestellt, dass die Datenspeicherung den strengen Anforderungen des Datenschutzes unterliegt." Ein Satz, der nicht gerade Spahns Überzeugung entspricht.

Genauso wenig wird ihm eine Formulierung gefallen, auf die sein Vorgänger Gröhe gepocht hatte: "ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln". Ein solches Gesetz würde Onlinehändlern wie Doc Morris das Geschäft durchkreuzen. Im Vorstand sitzt dort Spahns Freund Max Müller. Spahn und Müller hatten sich Medienberichten zufolge vor zwölf Jahren gemeinsam an der Lobbyagentur Politas beteiligt, die ihren Kunden "gute persönliche Kontakte" im politischen Berlin versprach. Nachdem die Firma öffentlich diskutiert wurde, überführte sie Spahns Büromitarbeiter und Politas-Geschäftsführer Markus Jasper nach Heek im Münsterland. Dort, mitten in Spahns Wahlkreis, wickelte ein Nachbar das Unternehmen schließlich ab.

Solche Verbindungen zur Privatwirtschaft, genauso wie seine Aufsichtsratsmandate beim privaten Krankenversicherungsunternehmen Signal Iduna und beim Pharmaunternehmen Mosaiques Diagnostics in Hannover hat Spahn heute abgelegt. Doch seine alten Bekannten aus der Gesundheitsbranche, die er aus zehn Jahren als Fachpolitiker kennt, werden ihm jetzt, als Minister, wieder begegnen.

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