Steinbrücks Comeback:Der Anlauf des Nashorns

Seit Monaten bastelt Sozialdemokrat Peer Steinbrück an seiner Kanzlerkandidatur. Selbstbewusst profiliert sich der Ex-Finanzminister in der Griechenland-Krise auf Kosten von Kanzlerin Merkel - und distanziert sich von seiner eigenen Partei. Steinbrück scheint dies egal zu sein: Er setzt auf die Methode Schmidt.

Oliver Das Gupta

Als er die Macht verloren hatte, tat der sonst so eigensinnige Peer Steinbrück zunächst das, was die Parteifreunde von ihm erwarteten: Er machte Platz. Der bisherige Finanzminister und stellvertretende SPD-Vorsitzende polterte nach der vergeigten Bundestagswahl 2009 zwar noch gegen den linken Parteiflügel. Doch dann er verschwand weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung, während andere die Hebel der Regierung und die malade SPD übernahmen.

Peer Steinbrück bei Academie de Berlin

Ein in Berlin aufmerksam beobachteter Auftritt: Der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sprach Anfang Juni bei der 'Lecture de l'Academie de Berlin 2011' über das deutsch-französische Verhältnis.

(Foto: dpa)

Es schien sich ein ungeschriebenes Gesetz zu bewahrheiten: Ergraute Ex-Minister, erst recht diejenigen, die auf 65 zugehen, haben ihren politischen Zenit überschritten. Die Veteranen machen den nachdrängenden Lindners aller Parteien Platz und scheiden spätestens nach einer Legislaturperiode aus dem Parlament aus. Vielleicht bekommen die Polit-Senioren einen netten Posten in einer Stiftung, einem Kuratorium oder einer sonstigen Institution und schreiben Bücher.

Steinbrück ist inzwischen 64 und hat tatsächlich ein Buch geschrieben. Dieses Buch, eine Rede vor dem Bundestag, eine Handvoll Interviews, Fernsehauftritte und Zeitungsartikel: Das reichte, um innerhalb der vergangenen drei Monate ein verblüffendes Comeback hinzulegen.

Im Politbarometer übernahm der studierte Volkswirt die Spitzenposition als beliebtester Politiker. Die meisten Deutschen halten ihn derzeit für den aussichtsreichsten Herausforderer für Kanzlerin Angela Merkel, wie eine Forsa-Umfrage von Ende Mai ergab: Bei einer Direktwahl hätte der einfache Abgeordnete nur fünf Prozentpunkte Rückstand auf Merkel.

Präziser als Schäuble

Steinbrück wirkt in diesen Tagen wie zu besten Ministerzeiten: auf Augenhöhe mit den Großen. Zuletzt am gestrigen Sonntagabend: Während sein Amtsnachfolger Wolfgang Schäuble im ZDF schwurbelnd versicherte, Griechenland helfen zu wollen, ohne den Steuerzahler die ganze Zeche zahlen zu lassen, lieferte Steinbrück bei der ARD einen Alternativansatz, der präzise und populär klingt: Eine Umschuldung Griechenlands sei unausweichlich, man müsse "nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie eines richtigen Schuldenschnitts für Griechenland reden".

Das war keine neue Position Steinbrücks und er würde in Regierungsverantwortung wohl kaum diesen riskanten und schwer durchsetzbaren Schritt wagen. Trotzdem lief die Nachricht in allen Sendungen: Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel äußerte sich ähnlich zur Causa Griechenland - nur wurde es weitaus seltener berichtet. Solange der Euro taumelt, richten sich die Blicke eben auf Peer Steinbrück. Die Krise ist die Chance eines einfachen Abgeordneten, sich den Weg ins Kanzleramt zu bahnen.

Wie konnte das passieren?

Etwa ein Jahr lang nach seinem Amtsende als Minister suchte Steinbrück nicht mehr die Öffentlichkeit. Er haute nicht auf die eiernde schwarz-gelbe Regierung ein, einmal nur ließ er sich von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel erfolgreich beknien, den SPD-Abgeordneten zu erklären, warum es gut ist, dem Griechenland-Hilfspaket zuzustimmen.

In der SPD gab es kaum einen, der dem schnoddrigen Norddeutschen eine Träne nachweinte, im Gegenteil: Für viele linke Genossen galt und gilt Steinbrück als neoliberale Hassfigur. Wer vermisst schon einen, der seine parteiinternen Kritiker "Heulsusen" nennt und die SPD als "altes Sofa" bezeichnet? Steinbrück verrichtete zwischen Herbst 2009 und Herbst 2010 geräuscharm Sacharbeit, spielte Scrabble mit seiner Ehefrau und hielt zahlreiche Vorträge.

"Baum unter Büschen"

Im August 2010 erschien im Spiegel ein Kommentar mit dem Titel: "Kanzlerkandidat Steinbrück". Tenor: Der sei trotz aller Macken ein "Baum unter den Büschen" in der SPD, einer, der ein guter Finanzminister gewesen sei. Parteichef Sigmar Gabriel, der Steinbrück das Zeug zum Kanzler attestiere, halte sich selbst nicht für mehrheitsfähig.

Mit Verwunderung wurde das Stück bei Freund und Feind aufgenommen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb wenig später, die Vorstellung eines Kanzlerkandidaten Steinbrück sorge "allseits für Erheitung". In der SPD meine man, "am meisten hätten über den Artikel wohl die 'Spiegel-Männer' selbst gelacht".

Nicht einmal ein Dreivierteljahr ist vergangen, und nun lachen wohl nur noch diejenigen, denen der knorrige Steinbrück schon immer gefiel. Steinbrück selbst wimmelte zunächst Fragen nach der Kanzlerkandidatur ab, das sei "grotesk". Trotzdem brachte er sich im Herbst 2010 wieder in den öffentlichen Fokus mit dem erwähnten Buch. Titel: Unterm Strich. Es ist ein Werk, in dem Selbsthuldigung und Selbstkritik enthalten sind. Darin beschreibt er unter anderem, wie er die Tage als Finanzkrisenminister erlebt hat.

Liebe ist es wohl nicht

Damals war Steinbrück Merkels Macher in der großen Koalition. Die SPD suchte ein Mittel gegen eine populäre CDU-Kanzlerin, vergeblich. Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde Kanzlerkandidat, aus Staatsräson führte er einen staatstragenden Wahlkampf.

Pk nach Treffen mit Finanz-Expertengruppe

Ein Bild aus alten, großkoalitionären Zeiten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) beantworten im Februar 2009 Fragen von Journalisten.

(Foto: dpa)

Die SPD stürzte bei der Wahl 2009 nicht nur wegen des kreuzbraven Vizekanzlers Steinmeier auf 23 Prozent ab, sondern auch, weil sie es unterließ, mit dem Pfund Steinbrück zu wuchern. Den meisten Bürgern war nicht klar, dass der Mann Sozialdemokrat ist.

Als ernsthaft darf man Steinbrücks Comeback-Versuch wohl seit dem 24. März 2011 betrachten. Damals trat er ans Rednerpult des Bundestages und rechnete mit Merkels Währungs- und Europa-Politik ab: Genüsslich brachte Steinbrück die "Wortblasen" der Kanzlerin zum Platzen, referierte ihre Volten seit Ausbruch der Griechenland-Krise: Mal für eine Wirtschaftsregierung, mal dagegen, mal gegen eine Gläubiger-Haftung, dann dafür.

Krise als Chance

Seitdem zerpflückt er in Interviews, Talkshows und Zeitungsbeiträgen das Krisenmanagement der Bundesregierung, und formuliert Alternativen, zunächst etwas ungenau, inzwischen durchaus konzis.

Sicher: Die Abneigung gegen Steinbrück in der SPD ist unvermindert vorhanden, er gefällt sich in der Rolle des Provokateurs, etwa wenn er immer wieder die Agenda 2010 lobpreist oder die Regierungserklärung des CDU-Verteidigungsministers Thomas de Maizière lang und kräftig beklatscht - als einziger Sozialdemokrat. Doch Volkes Zuneigung spült Steinbrück in Umfragen nach oben.

Der gebürtige Hamburger profitiert von der verbreiteten Sehnsucht nach einem bestimmten Politiker-Typus: Einer, der eher einen Anti-Parteien-Mensch verkörpert, der vertrauenswürdig, pragmatisch und mutig ist, der "Klartext" redet. Diese Attribute passen zu Karl-Theodor zu Guttenberg und erklären den kometenhaften Aufstieg des CSU-Politikers vom No-Name-Parlamentarier zum Bundesminister. Diese Umschreibung trifft auch auf zwei andere Politiker zu, die ebenso gut gescheitelt und kaum weniger überzeugt von sich sind wie Ex-Doktor Guttenberg: Die Rede ist von den Sozialdemokraten Gerhard Schröder und Helmut Schmidt.

Beide wurden Kanzler, ohne Parteichef zu sein, beide wurden nie warm mit der SPD, beide kokettieren wie eh und je damit, Staatsinteressen allem voran gestellt und im Zweifelsfall gegen die Partei regiert zu haben. Bei Schröder hat die zugeschriebene Eigenschaft Vertrauenswürdigkeit während seiner Kanzlerschaft allerdings arg gelitten.

Besuch beim Alten in Langenhorn

Helmut Schmidt ist mit seinen 92 Jahren inzwischen sogar zum lagerübergreifenden Über-Altkanzler avanciert, seine Expertise suchen Politiker wie Bürger. Gerade den Alten in Hamburg-Langenhorn besucht Steinbrück so häufig er kann. Dann rauchen die beiden Nordlichter gemeinsam und der Besserwisser Steinbrück hört zu. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat er eine Wahl verloren, Kanzler kann er wohl nur werden mit der Methode Schmidt.

Dass ihm die SPD nicht egal ist, hat Steinbrück immer wieder gezeigt: etwa bei seiner kritischen Bestandsaufnahme nach dem Wahlfiasko oder den Einlassungen zur SPD als Kraft, die sozialen und ökonomischen Fortschritt verquickt, sie finden sich unter anderem auf seiner Homepage finden. Der Mann verortet sich richtig in der Partei.

Trotzdem: Liebe ist es wohl nicht. Die SPD, die ihn aufstellen würde, müsste erst erfunden werden, sagte Steinbrück vor einigen Monaten noch mit Blick auf die K-Frage. Die SPD müsste ihn nach wie vor nominieren, doch inzwischen klingt er anders: "Der Zeitpunkt wird kommen, wo ich mich in Absprache mit zwei oder drei Führungspersönlichkeiten der SPD darüber zusammensetze", sagte Steinbrück Mitte Mai.

Sein Lieblingstier sei das Nashorn, erzählt der Vater dreier erwachsener Kinder bei verschiedenen Gelegenheiten: "Nashörner kommen langsam in Gang, aber wenn sie einmal in Fahrt sind, hält sie nichts mehr auf." Peer Steinbrück ist längst in Gang gekommen.

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