Justizversagen:Ganz normale Neonazis

Wie Staatsanwaltschaften rechte Hassverbrechen verharmlosen und damit die Opfer alleinlassen. Vor allem in den ostdeutschen Ländern fühlen sich dadurch Menschen den Anwürfen von Rechtsradikalen hilflos ausgesetzt.

Von Annette Ramelsberger

Als Spezialkräfte der Polizei die Wohnung von Carsten M. im Main-Kinzig-Kreis in Hessen durchsuchten, fanden die Beamten mehrere Pistolen, Messer, Armbrüste, sogenannte Polenböller, Schwarzpulver, mehrere Behälter mit Stahlkugeln - kurz alles, womit sich rechte Kämpfer gern bewaffnen. Dazu war die Wohnung auch noch entsprechend dekoriert: "In nahezu jedem Raum", so notierten es die Polizisten, "befanden sich Nazi-Devotionalien." Mal eine SS-Flagge, nur seitenverkehrt aufgehängt, mal Aufkleber der "Division Braune Wölfe", eines gewaltbereiten Zusammenschlusses bundesweit aktiver Neonazis. Auch ein laminiertes Schild mit einem Aufruf wurde gefunden: "Volksgenosse, trittst Du ein, soll Dein Gruß 'Heil Hitler' sein."

Die Polizei hatte die Wohnung von Carsten M., 40, durchsucht, weil er und seine Freundin Martina H. am 1. Mai 2017 am Rande der Mai-Demonstration in Halle mit einem Auto Jagd auf Menschen gemacht und sie mit Steinen beworfen hatten. Dabei wurden Gegendemonstranten verletzt, aber auch unbeteiligte Mitglieder einer Wandergruppe getroffen. Carsten M. stoppte mit seinem Auto neben den Wanderern und schlug unvermittelt mit einem dicken Starkstromkabel auf einen Mann ein. Der erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Platzwunde. Auch einen zweiten Mann attackierte er mit dem Kabel. Carsten M. und seine Freundin trugen dabei schwarze T-Shirts mit der Aufschrift "Aryans - Support your race". Selten manifestiert sich rechtsradikale Gewalt deutlicher.

Nun beginnt am Donnerstag in Halle der Prozess gegen Carsten M. und seine Freundin. Doch der Prozess zeigt auch, wie oft und wie ausgiebig die Justiz vor allem in den ostdeutschen Ländern rechte Gewalt verharmlost und übersieht. Die zuständige Staatsanwältin in Halle hält den Fall für "typisches Alltagsgeschäft" und hat die Taten nur am Amtsgericht angeklagt. Sie begründete das in einer Stellungnahme so: "Die von den Angeklagten gezeigte Aggressivität geht nicht über das hinaus, was bedauerlicherweise im Umfeld sogenannter politischer Veranstaltungen inzwischen üblich ist." Dass die Angeklagten der Neonazigruppe "Aryans" angehören und Carsten M. Waffen und Schwarzpulver hortete, tut sie ab: Es gebe ja keine Anhaltspunkte dafür, dass er die NS-Devotionalien öffentlich zeigen wollte. "Die Ausgestaltung der eigenen vier Wände ist, sofern keine Außenwirkung eintritt, in der Bundesrepublik Deutschland jedem überlassen." Und dann schreibt die Staatsanwältin noch: "Über Geschmack muss man bekanntlich nicht streiten."

Die Anwälte der beiden Verletzten finden: Darüber muss man streiten. Sie haben die Abberufung der Staatsanwältin verlangt. Henriette Scharnhorst und Sebastian Scharmer werfen der Staatsanwaltschaft vor, die rechtsradikale Gewalttat zu verharmlosen. "Man kann das Gefühl bekommen, dass sich der Duktus der AfD auch in die Schriftsätze der Justiz einschleicht", sagt Scharmer.

Für den Berliner Anwalt ist es nicht das erste Mal, dass gerade die für Staatsschutzdelikte zuständigen Staatsanwälte in Halle rechtsradikale Straftaten kleinreden. Auch der Überfall von drei Neonazis auf eine syrische Flüchtlingsfamilie vor ein paar Jahren wurde nur am Amtsgericht angeklagt - die Richterin dort erklärte dann von sich aus, diese Tat sei etwas fürs Landgericht. So ist es nun auch im aktuellen Fall der "Aryans", die am 1. Mai losschlugen. Das Landgericht hat übernommen.

Immer wieder stellen Staatsanwälte Verfahren gegen Rechte ein, die andere bedrohen - mit teils absurden Begründungen. Einem Mann, Mitglied in einem Kampfsportverein in Rostock, der Journalisten mit den Worten bedrohte "Die Wahrheit, oder eure Köpfe auf den Tisch", bescheinigte eine Rostocker Staatsanwältin, harmlos zu sein. "Es wird damit nicht eindeutig ein zukünftiges Verbrechen angedroht, sondern eher sprichwörtlich zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung aufgefordert", schrieb die Staatsanwältin.

Ein NPD-Mitgliedsausweis ist für das Gericht kein Anzeichen für Fremdenfeindlichkeit

In Sachsen-Anhalt schrieb eine Staatsanwältin an einen Mann, der sich nicht gefallen lassen wollte, von einem stadtbekannten Rechten als "Krimineller" bezeichnet zu werden: "Soweit der Beschuldigte Sie oder andere Mitglieder des Bündnis 'Halle gegen Rechts' als Kriminelle bezeichnet hat, so ist dieser Begriff in die Alltagssprache eingegangen." Und weiter: "Missbilligung gegenüber anderem Verhalten darf deutlich gezeigt werden, es darf ehrverletzend sein, solange sachliche Kritik noch erkennbar ist." Antje Arndt von der mobilen Opferberatung in Halle sagt, es verletze die Opfer, wenn Angriffe auf sie von der Justiz so abgetan würden. "Sie fühlen sich alleingelassen und den Anwürfen von Rechtsradikalen hilflos ausgesetzt."

Manchmal schafft es die Justiz sogar, das Offensichtliche nicht zu sehen. So waren vor dem Amtsgericht Merseburg im Frühjahr 2018 zwei Männer angeklagt, die in die Wohnung eines dunkelhäutigen Mannes und seiner Freundin eindrangen - angeblich, so sagten sie, weil die "Kanakenmusik" zu laut war. Sie kamen mit Schlagstock und Schlagring und schlugen die Frau bewusstlos, verletzten den Mann und sogar den fünf Jahre alten Jungen, der in der Wohnung war.

Als die Polizei kam, holte einer der Angreifer einen Reichsbürgerausweis hervor, danach zeigte er noch seinen NPD-Mitgliedsausweis. Dennoch sah das Gericht keine Anhaltspunkte, dass die Tat einen fremdenfeindlichen Hintergrund hatte. Es zog sich ganz formalistisch aus der Affäre: Weil die Polizei nicht das Datum auf den Ausweisen notiert hatte, könne man nicht feststellen, ob die Ausweise vielleicht schon abgelaufen gewesen seien. Die beiden Männer kamen mit Bewährungsstrafen davon.

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