Süddeutsche Zeitung

Israel:Wer den Bären weckt

Eran Duvdevani ist mit anderen alten Fallschirmjäger-Veteranen in den Kampf um Israels Demokratie gezogen. Am Protest gegen die Justizreform teilzunehmen, war für sie ein Einsatz an der Heimatfront.

Von Peter Münch, Rosh Haayin

Das rote T-Shirt trägt er mit Stolz. So, wie er früher die Uniform stets mit Stolz getragen hat. "Fallschirmjäger für die Demokratie" steht darauf in großen hebräischen Lettern geschrieben, ein Parashooter im Sprung ist zu sehen und unten, als Symbol für die Demokratie, das Flachdach-Gebäude der Knesset, des israelischen Parlaments.

Eran Duvdevani, 63, hat ein paar Hundert Stück davon in Auftrag gegeben, für sich und die Kameraden von früher - und dann sind sie aufmarschiert zum großen Fallschirmjäger-Protest gegen den von Israels Regierung geplanten Umbau des Justizsystems. Ohne die roten Barette, aber mit den roten T-Shirts. Für Eran Duvdevani ist das ein Einsatz in höchster Not gewesen. "Genug ist genug", sagt er. "Dafür haben wir Israel nicht aufgebaut."

Wer verstehen will, welche Wucht die Protestbewegung hat, vor der Premierminister Benjamin Netanjahu in dieser Woche zumindest vorläufig eingeknickt ist mit einem Angebot zum Dialog, der muss nur auf die laute Menschenmenge auf den Straßen schauen, auf die spektakulären Bilder von Hunderttausenden in Tel Aviv oder vor der Knesset in Jerusalem. Man kann aber jenseits der Massenaufläufe auch zu einem Mann wie Eran Duvdevani nach Rosh Haayin fahren, einem Städtchen im Zentrum Israels, gut 30 Autominuten von Tel Aviv entfernt.

Die alten Soldaten wollen Netanjahu zeigen, dass sie ihn im Blick behalten

Ruhig und beschaulich ist es hier, so friedlich, wie Israel nur sein kann, eine Heimstatt des Mittelstands, mit wuchernden Bougainvillea in den Gärten. Eran Duvdevani wohnt hier seit fast 30 Jahren, drei Kinder hat er in Rosh Haayin zusammen mit seiner Frau großgezogen. Über der Garage weht eine israelische Fahne, eine zweite hängt an der Fassade, und auf der Haustür klebt ein Faksimile der israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948.

Hier ist ein Patriot zu Hause, das soll jeder gleich sehen. Einer, der sein Leben lang für Israel gekämpft hat. Mit 18 Jahren kam Eran Duvdevani zum Militär, er wurde Fallschirmjäger, ein stolzer Fallschirmjäger. Mit Anfang 40 ist er als Oberst ausgeschieden, bis Anfang 60 hat er noch regelmäßig seinen Reservedienst abgeleistet. "Ich liebe die Armee", sagt er. An vielen Fronten war er im Einsatz, und oft hat er sein Leben für das Land riskiert. "Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal für Israels Demokratie kämpfen muss", sagt er.

Doch seit der Wahl vom vorigen November und der Bildung einer sehr rechten und sehr religiösen Regierung ist vieles anders geworden ist Israel - und deshalb hat Eran Duvdevani am vergangenen Dienstag mit seinem roten T-Shirt an einer Kreuzung der Fernstraßen Nummer 4 und 57 östlich von Netanja gestanden. Es ist eine Kreuzung, die fast jeder kennt in Israel, wegen eines schrecklichen Ereignisses. Am 2. Januar 1995 wurden hier bei einem Doppel-Selbstmordanschlag 22 Menschen getötet. "16 davon waren Soldaten aus meinem Bataillon", sagt er. "Jedes Jahr komme ich seitdem zu einer Gedenkfeier hierher."

Nun hat er an dieser Kreuzung zum Protest aufgerufen gegen die Regierung, es gab eine ständig wachsende Whatsapp-Gruppe, und 850 der alten Fallschirmjäger-Kameraden sind schließlich erschienen. Es war der Tag nach Netanjahus Dialogangebot. "Wir haben die Botschaft etwas entschärft", sagt Eran Duvdevani. "Aber wir sind gekommen, um ihn daran zu erinnern, dass wir ihn weiter im Blick behalten." Viele Fahnen wehten, es gab ein paar Reden, Lieder wurden gesungen, und am Schluss haben sie alle zusammen die "Hatikva" angestimmt, die israelische Nationalhymne, die den Namen "Hoffnung" trägt.

Dieser Aufmarsch der Veteranen ist Teil der breitesten Protestbewegung, die Israel jemals gesehen hat in seiner 75-jährigen Geschichte. Gegen die Regierungspläne zur Übernahme der Kontrolle über das Oberste Gericht, die Gegner als versuchten Staatsstreich von oben empfinden, haben ja viele demonstriert: Juristen und High-Tech-Pioniere, Wirtschaftsführer und Gewerkschafter, Universitätsprofessoren und Studenten. Aber nichts hat wohl einen solchen Druck entfaltet wie der Protest aus den Kreisen des Militärs und der sonstigen Sicherheitskräfte.

Von "Diktatur von Kriminellen" sprach der frühere Verteidigungsminister

Plötzlich hat sich die Regierung dort einer geschlossenen Front gegenüber gesehen: Der frühere Mossad-Chef Tamir Prado hat sich zu Wort gemeldet und Netanjahu zum Rücktritt aufgefordert. Mosche Jaalon, der Ex-Generalstabschef und Verteidigungsminister der Likud-Partei, hat vor 100 000 Menschen auf der Bühne des Tel Aviver Massenprotests gestanden und die Regierung eine "Diktatur von Kriminellen" genannt. Und Ehud Barak, der für die Arbeitspartei Premierminister war und in den Annalen der Armee immer noch als der am meisten dekorierte Soldat des Landes steht, rief von dort aus mit seinen inzwischen 81 Jahren zum "zivilen Ungehorsam" auf. Das sei nun "das Recht und die Pflicht jedes Bürgers".

Auch vor spektakulären Aktionen schreckten die Altvorderen nicht zurück. Ein Trupp Ex-Soldaten der sagenumwobenen Eliteeinheit Sajeret Matkal, in der auch Barak und Netanjahu dienten, blockierte in alter Kampfmanier mit Stacheldraht die Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Ein paar Veteranen des Jom-Kippur-Kriegs stibitzen einen Panzer aus einer Gedenkstätte, sprühten das Wort "Demokratie" darauf und fuhren 40 Kilometer durchs Land, bis sie von der Polizei gestoppt wurden.

Vor allem aber türmte sich eine immer größer werdende Welle von Verweigerungsdrohungen der Reservisten auf. So viele waren es, dass Verteidigungsminister Joav Gallant die eigene Regierung warnte, dadurch sei die nationale Sicherheit gefährdet. Netanjahu hat ihn dafür gefeuert - und damit den Protest in der Bevölkerung und ganz besonders in den alten Sicherheitskreisen noch weiter angeheizt. "Nur das Militär kann Diktatoren stoppen", sagt Eran Duvdevani. "Nicht durch einen Armeeputsch, das wird es in Israel nie geben", erklärt er. "Aber man kann ganz einfach aufhören zu kooperieren."

Allein der massive Protest, so glaubt er, habe die Regierung nun dazu verlast, ihr Justiz-Vorhaben zumindest auf Zeit zu stoppen. "Wenn wir nicht demonstriert hätten, hätten sie alles in dieser Woche schon vollendet", sagt er. Eine Schlacht ist gewonnen, ein Etappensieg erzielt. Doch dass die Kämpfe vorbei sind, damit rechnet er nicht. In die nun laufenden Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition, bei denen in den nächsten Wochen ein Kompromiss zur Justizreform erarbeitet werden soll, setzt er wenig Hoffnung. "Ich glaube Netanjahu kein Wort mehr", sagt er. "Er ist ein Lügner, und er steht unter Druck der extremen Rechten." Seine Befürchtung: "Er hat den Dialog nur angeboten, damit er hinterher der anderen Seite die Schuld am Scheitern geben kann."

Aber er und seine Kameraden sind ja auch noch da, und bei allen Ängsten und bei aller Wut sieht Eran Duvdevani das jetzige Chaos auch als Chance. "Die Regierung hat einen großen Fehler gemacht", sagt er. "Sie hat den Bären geweckt."

Die Aufregung um die Justizreform habe nun auch viele von denen auf die Straße getrieben, die vorher "mit ihrem Cappuccino beschäftigt" gewesen seien. Und sie habe verschiedene Gruppen der Bevölkerung wieder zusammengeführt. "Hier kämpfen nicht die Linken gegen die Rechten, nicht die Säkularen gegen die Religiösen," sagt er. "Es sind die Liberalen gegen die, die eine Autokratie wollen."

"Hier zeigen sich all die guten Dinge und die Kraft, die wir haben"

Allerdings weiß er auch, dass die liberalen Kräfte in Israel unter wachsendem Druck stehen, allein schon wegen der Demografie. Die Ultra-Orthodoxen und die Nationalreligiösen, die den Umbau des Landes nun in der Regierung vorantreiben, haben meist nicht nur drei Kinder und fünf Enkel wie Eran Duvdevani, sondern oft ein Vielfaches davon. Die Gewichte werden sich also weiter verschieben, doch fürs Erste ist Duvdevani ermutigt von der breiten Protestbewegung. "Hier zeigen sich all die guten Dinge, und es zeigt sich die Kraft, die wir haben", meint er. "Wir müssen das Land so lange frei, liberal und demokratisch halten, wie es geht."

An diesem Wochenende schnappt er sich deshalb wieder seine Fahne und geht zum Protest raus. "Es ist noch nicht vorbei", sagt er - und erinnert daran, was er bei der Armee gelernt hat: "Wir geben niemals auf."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5779550
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/bac
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.