Richterstreit in Baden-Württemberg:Justizministerin verliert vor Gericht

Richterstreit in Baden-Württemberg: Trat als Klägerin auf: Justizministerin Marion Gentges (CDU).

Trat als Klägerin auf: Justizministerin Marion Gentges (CDU).

(Foto: Marijan Murat/DPA)

Marion Gentges wollte ihre Favoritin zur neuen Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart machen. Warum sie damit vorerst gescheitert ist.

Von Wolfgang Janisch, Stuttgart

Dass der Streit um höchste Richterämter vor Gericht ausgetragen wird, gehört längst zum Justizalltag. Aber dass eine Justizministerin in einem solchen Streit selbst als Klägerin auftritt, ist doch ungewöhnlich. An diesem Donnerstag hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart über eine Klage von Marion Gentges (CDU) zu entscheiden, der obersten Verantwortlichen für die Justiz im Land. Und was soll man sagen: Die Ministerin fuhr vor einem ihrer Gerichte eine krachende Niederlage ein.

Gestritten wurde um die Besetzung eines der wichtigsten Justizposten im Land. Gentges wollte ihre Favoritin zur neuen Präsidentin des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart machen, Beate Linkenheil, Abteilungsleiterin in ihrem Ministerium. Doch bei der Besetzung von Justizposten gibt es kein Recht auf einsame Entscheidungen. Ein Präsidialrat, zusammengesetzt aus neun Richterinnen und Richtern, darf dazu eine Stellungnahme abgeben. Gedacht ist dies als eine Art Qualitätscheck aus der Warte der Justiz. Und jener Präsidialrat fand die Kandidaten Linkenheil wenig überzeugend, jedenfalls verglichen mit einem weiteren Bewerber: Er schlug Andreas Singer vor, der als Präsident des Landgerichts Stuttgart einen "relevanten Erfahrungsvorsprung" vor Linkenheil habe.

Womöglich geht der Streit weiter

Das Richtergesetz hält eigentlich eine Lösung parat, falls Ministerin und Präsidialrat über Kreuz liegen. Dann geht die Sache an den Richterwahlausschuss, der demokratisch wenigstens halbwegs legitimiert ist, weil dort neben acht Richterinnen und Richtern und einem Anwalt auch sechs Landtagsabgeordnete sitzen. Doch Gentges wollte sich nicht mit einem weiteren Gremium herumschlagen, denn sie hielt das Veto des Präsidialrats für rechtswidrig - und zog dagegen vor das Verwaltungsgericht.

Das Gericht hat ihre Klage nun als unzulässig abgewiesen. Und zwar einzig aus dem Grund, dass die Ministerin den gesetzlich vorgesehenen Pfad verlassen hat. Sie muss zuerst den Richterwahlausschuss einschalten und dessen Entscheidung abwarten - die Abkürzung über das Verwaltungsgericht ist schlicht nicht vorgesehen. In den Worten von Friedrich Klein, Kammervorsitzender des Verwaltungsgerichts: "Der Rechtsschutz gegen den Gegenvorschlag des Präsidialrats ist nicht statthaft."

Offen ist, ob der Streit damit zu Ende ist. Das Ministerium könnte noch vor den Verwaltungsgerichtshof ziehen. Sollte es dort beim Verdikt "unzulässig" bleiben, könnte Gentges nach dem Ende des Wahlprozedere einen neuen Versuch starten. Ob die Personalhoheit des Ministeriums verletzt worden sei, dies sei erst nach einer Entscheidung des Richterwahlausschusses feststellbar, sagte Klein.

Linkenheil und Singer werden also warten müssen, der Streit liegt auf Wiedervorlage. Zugleich offenbart er einen Blick auf die schwierige Gemengelage, in der Richterwahlen überall stattfinden, auch wenn die Verfahren von Land zu Land unterschiedlich sind. Wie weit darf der politische Einfluss bei Personalentscheidungen in der Justiz gehen? Wie wirksam sind die Schutzmechanismen gegen parteipolitische Übergriffigkeit? Wie wird sichergestellt, dass nur die Besten zum Zug kommen?

Es geht auch um die Unabhängigkeit der Richterschaft

Wenn der Präsidialrat als Brandmauer gegen den politischen Durchmarsch bei Justizpersonalien gedacht ist, dann kann er nur effektiv sein, wenn seine Rolle breit angelegt ist. An diesem Punkt lagen die Beteiligten vor dem Verwaltungsgericht, wenig überraschend, meilenweit auseinander.

Der Vertreter des Ministeriums, Alexander Kees, wollte das Gremium auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle eindampfen. Er habe "kein eigenes Auswahlermessen", sondern nur eine Kontrollfunktion. "Er hat die Ministerin daran gehindert, diejenige zu ernennen, die sie für die Beste hält", klagte er. Christian Bracher, Anwalt des Präsidialrats, sah dies genau anders herum. Klar, er habe eine Kontrollfunktion - die aber eben darin bestehe, dass er sich zur fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber äußern dürfe. Also doch ein Mitentscheidungsrecht.

Entscheiden musste das Verwaltungsgericht über diese Frage nicht, aber mit einem Blick in die Geschichte gab der Vorsitzende Klein zu verstehen, dass eher von einer starken Rolle der Justiz bei der Richterwahl auszugehen sei. Bis 1973 hatte der Präsidialrat zwar die Möglichkeit, zu Personalien seine Stellungnahme abzugeben - allerdings unverbindlich, der Minister konnte ernennen, wen er wollte. Doch im Geist jener Zeit wurde eine Reform angestoßen, die die Gewichte neu austarieren sollte - weniger Macht für die Regierung, mehr Einfluss der Richterschaft. "Wir müssen streng darauf achten, Unabhängigkeit der Richterschaft zu wahren", so zitierte Klein den damaligen Justizminister.

Womöglich könnte die politisch umstrittene Personalie der Ministerin Anlass sein, einmal grundsätzlich über das System der Richterwahl nachzudenken. Am Vorabend des Prozesses hatte Anne Sanders, Jura-Professorin in Bielefeld, in Karlsruhe zu diesem Thema referiert. Sie hält das deutsche System für stark verbesserungswürdig, wenngleich sie auch den Auswahlsystemen anderer Länder kein sonderlich gutes Zeugnis ausstellt. Das gilt vor allem für die viel gepriesenen Justizräte, wie sie in Italien und anderen südeuropäischen Ländern existieren. Auch sie hätten eine Übernahme durch die Politik nicht verhindern können.

Ihr Vorschlag: Bei der Auswahl von Richtern sollte jegliche Machtkonzentration verhindert werden - sei es auf ein einzelnes Gremium oder auf eine Ministerin.

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