Justizministerin im SZ-Gespräch:"Nicht uferlos speichern"

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Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger rüstet sich für den kommenden Streit mit CDU-Innenminister de Maizière und erläutert, wie sie die Aufbewahrung von Telefon- und Internetdaten für die Strafverfolgung neu regeln will.

Wolfgang Janisch und Heribert Prantl

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat - mit Tausenden weiteren Klägern - die sechsmonatige Speicherpflicht für Telefon- und Internetverbindungsdaten in Karlsruhe zu Fall gebracht. Nun legt die Bundesjustizministerin Eckpunkte für ein neues Gesetz vor. Eine Rückkehr zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung soll es nicht geben.

Sie scheut den Konflikt mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht: Die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. (Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Frau Ministerin, nach Ihrem Vorschlag können Verbindungsdaten bei Verdacht eingefroren werden, die dann zur eigentlichen Verwendung wieder aufgetaut werden. Ihr Vorhaben geht schonend mit den Daten um, aber es schont nicht den Koalitionspartner.

Leutheusser: Unser Vorschlag sieht ja überhaupt keine Vorratsdatenspeicherung im bisherigen Sinn vor. Die Polizei soll Daten auf der Grundlage einer ganz konkreten Ermittlungstätigkeit einfrieren dürfen. Das ist ein grundrechtsschonender Ansatz, aber das wird zweifellos in der Koalition umstritten sein.

SZ: Zugreifen kann man aber nur auf Daten, die noch da sind.

Leutheusser: Sobald der Polizist einen Verdacht auf eine Straftat hat, kann er einen Sicherungsantrag stellen. Dann wird das festgehalten, was an Daten bei den Telekommunikationsunternehmen vorhanden ist.

SZ: Telefonate, die vor oder während der Tat geführt wurden, sind dann aber womöglich schon verloren. Wie schnell muss der Polizist sein?

Leutheusser: Er muss rasch handeln - was aber ohne Schwierigkeiten möglich ist: Der Sicherungsantrag ist an relativ geringe Voraussetzungen geknüpft. Erst für den konkreten Zugriff benötigt man - wie bisher - einen Richterbeschluss, der einen auf Tatsachen gegründeten Verdacht einer gravierenden Straftat voraussetzt. Die Behauptung, hier bestehe eine Schutzlücke, trifft nicht zu, das haben die Sicherheitsbehörden bestätigt.

SZ: Müssen die Telekommunikationsanbieter dafür etwas in ihrer Speicherpraxis ändern - weil ja wegen der Flatrates Verbindungsdaten nur noch eingeschränkt vorhanden sind?

Leutheusser: Es müssen keine zusätzlichen Telefonverbindungsdaten auf Vorrat vorgehalten werden. Die Dienstleister speichern Daten für ihre internen Zwecke, manche nur für ein paar Tage, andere bis zu 60 Tage. Auf diesen Bestand kann man zugreifen. Das ist kein lückenloser Bestand, den gab es aber auch schon vorher nicht. Und um die interne Zuordnung der IP-Adressen für Bestandsauskünfte zu ermöglichen, sollen die TK-Unternehmen Internetverbindungsdaten für sieben Tage sichern.

SZ: Auf die Telekommunikationsunternehmen kommt damit viel Arbeit zu.

Leutheusser: Das ist nichts im Vergleich zu dem Aufwand, der nach der Vorratsdatenspeicherung anfiel: gigantische Datenmengen, die ein halbes Jahr gespeichert werden mussten. Damals wurde der Aufwand auf einen dreistelligen Millionenbetrag geschätzt.

SZ: Wenn die Polizei nach einem Sexualstraftäter sucht, von dem sie nur weiß, dass er in München lebt: Kann sie dann die Telefondaten sämtlicher Männer der Stadt München sichern?

Leutheusser: Nein, das wäre viel zu weit gefasst. Das Einfrieren der Daten kann sich nicht auf sämtliche männlichen Einwohner einer Millionenstadt erstrecken. Man muss konkretisieren, zum Beispiel, wo wurde die Leiche gefunden? Man muss im Umfeld ermitteln. Nach meinem Vorschlag können gerade nicht uferlos Daten gespeichert werden.

SZ: Nehmen wir an, die Polizei ermittelte wegen des aktuellen Dioxin-Skandals. Es gibt 300 0 Futtermittelbetriebe in Deutschland - darf sie die Daten für alle 3000 einfrieren lassen?

Leutheusser: Wenn die Polizei schwere Straftaten im Zusammenhang mit der Einbringung von Gift in einen Betrieb aufklären will, dann darf sie ermitteln, wer mit einer verdächtigen Firma kommuniziert hat. Das kann Grundlage einer Sicherungsanordnung sein. Aber eben nur bezogen auf konkrete Betriebe und ihr Umfeld, gegen alle Futtermittelbetriebe wird ja auch jetzt nicht ermittelt.

SZ: Ihr Modell wäre wohl verfassungssicher. Wäre es auch europarechtssicher?

Sie will für die Liberalen die Bürgerrechte verteidigen: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) (Foto: dpa)

Leutheusser: Unser Vorschlag bewegt sich innerhalb der EU-Richtlinie, das ist für mich entscheidend. Aber die Richtlinie wird ohnehin gerade evaluiert. Sechs Länder haben sie nicht umgesetzt - schon deshalb wird es wohl Änderungen geben müssen.

SZ: Es gibt noch weitere Sammelprojekte. Zum Beispiel die Visa-Warndatei, aus der - das haben Sie gesagt - keine neue Sicherheitsdatei werden darf.

Leutheusser: Wir wollen keinen automatischen Abgleich mit Datenbanken der Sicherheitsbehörden. Wir sind in internen Gesprächen mit dem Innenministerium, und ich habe den Eindruck, dass wir uns aufeinander zubewegen.

SZ: Der Innenminister wollte auch die "Viel-Einlader" aufnehmen. Das würde auch die Kirchengemeinde umfassen, die jedes Jahr Gäste aus dem Senegal zur Afrikawoche einlädt . . .

Leutheusser: . . . und genau das soll nicht davon erfasst sein. Es wird eine Visa-Warndatei geben, aber sie soll eng zugeschnitten sein.

SZ: Fassen wir zusammen: Mit der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wird es keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung früheren Zuschnitts geben?

Leutheusser: Die FDP lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab, die anlasslos die Kommunikation aller Bundesbürger zu überwachen hilft. Mit der Bundesjustizministerin gibt es jetzt diesen neuen Vorschlag, den die FDP in der Koalition verhandeln wird. Für das Profil der FDP ist entscheidend, dass wir die Bürgerrechte in der digitalen Welt verteidigen.

SZ: Wo wir gerade beim Profil sind: Man sagt Ihrer Partei nach, sie habe kein Herz für den Sozialstaat. Bei Hartz IV hört man wenig von der FDP - obwohl sich die Reform in Widerspruch zum Geist des Karlsruher Urteils setzt. Warum schauen Sie Ihrer Kollegin von der Leyen nicht stärker auf die Finger?

Leutheusser: Im Hartz-IV-Urteil wird nichts über die Höhe der Sätze gesagt, sondern nur über Berechnung und Transparenz.

SZ: Deshalb irritiert es, dass bei der Berechnung ein Wechsel der Bezugsgröße vorgenommen wurde, um zu weniger kostenträchtigen Sätzen zu kommen. Ist das im Sinne des Verfassungsgerichts?

Leutheusser: Wichtig ist doch, dass man neben der Anhebung der Sätze - die durchaus zu Mehrausgaben führt - auch Angebote macht, die direkt den Kindern zugutekommen. Ich denke, das ist im Sinne des Bundesverfassungsgerichts.

SZ: Spielt der arme Mensch eine Rolle im Menschenbild der FDP?

Leutheusser: Natürlich. Wir wollen doch nicht, dass die Gesellschaft auseinanderfällt. Menschen müssen sich in unserer Gesellschaft gerecht behandelt fühlen. Deshalb ist es ein Ziel liberaler Politik, Chancen für die Teilhabe an Bildung zu eröffnen.

SZ: Der 55-jährige "Hartzer" kann mit Bildung wenig anfangen - der bekommt einfach keinen Job mehr. Der hätte gern 30 Euro mehr.

Leutheusser: Es ist immer besser, man hätte mehr. Aber ich finde, dass mit der gefundenen Lösung dem Sozialstaat Rechnung getragen wird.

SZ: Kommen wir zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der EGMR hat erneut die Sicherungsverwahrung in Deutschland beanstandet. Werden nun weitere Straftäter freigelassen?

Leutheusser: Das ist nicht zwingend. Drei Urteile bewegen sich im Rahmen der Rechtsprechung des EGMR, und ein anderes bezieht sich auf einen Fall aus Bayern, in dem es ein Landesgesetz mit einer rückwirkend angeordneten nachträglichen Sicherungsverwahrung gab.

SZ: Aber der EGMR sagt: Wenn der Freiheitsentzug nicht bereits in der Verurteilung festgelegt ist - was bei der nun gerügten nachträglichen Sicherungsverwahrung der Fall ist -, dann verstößt das gegen die Menschenrechtskonvention.

Leutheusser: Maßgeblich für die Frage von Entlassungen wird die Vorgabe des Bundesgerichtshofs sein, die aber noch aussteht. Die Oberlandesgerichte haben bisher sehr unterschiedlich über die Umsetzung der Straßburger Urteile entschieden. Aber die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist seit dem 1. Januar weitgehend abgeschafft. Sie wurde übrigens von Rot-Grün eingeführt.

SZ: Sie haben es mit einem zunehmend selbstbewussten Straßburger Gerichtshof zu tun, der Deutschland zuletzt wiederholt verurteilt hat. Sind Ihnen die Entscheidungen manchmal zu forsch?

Leutheusser: Ich sehe die Urteile nicht als rote Karte gegen Deutschland an und nehme sie sehr ernst. Sie können wichtige Anstöße geben, etwa für die Auslegung der Grundrechte. Der EGMR entscheidet Einzelfälle, aber nicht über die deutsche Rechtsordnung insgesamt.

SZ: Nicht immer. Bei der Frage, wie Bürger für überlange Verfahren zu entschädigen sind, hat der EGMR ein "Piloturteil" gefällt und ultimativ den Erlass eines Gesetzes gefordert.

Leutheusser: In diesem Fall hat der Gesetzgeber ja auch lange genug gebraucht, nämlich neun Jahre. Wäre man früher zu einem Ergebnis gekommen, wäre es nicht zu der Rüge aus Straßburg gekommen. Mein Gesetzentwurf wird nächste Woche im Bundestag beraten.

SZ: Frau Ministerin, Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat jüngst Sympathien für eine vorsichtige Öffnung der Gerichtssäle für TV-Kameras erkennen lassen. Teilen Sie diese Sympathie?

Leutheusser: Vielleicht bin ich ja zu altmodisch - aber ich bin solchen Bestrebungen immer ablehnend gegenübergestanden. Daran hat sich nichts geändert.

© SZ vom 17.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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