Justizminister Maas:Vom Helden zum Umfaller

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Justizminister Heiko Maas bei einer Kabinettssitzung in Berlin. (Foto: REUTERS)

Lange hat er die Vorratsdatenspeicherung bekämpft. Nun macht Heiko Maas sie zum Gesetz, getrieben von Sigmar Gabriel. Warum der Justizminister lieber als Umfaller gilt, als sich gegen seinen Parteichef aufzulehnen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es sind nur zwölf Minuten. Um 10.45 Uhr soll Heiko Maas ans Rednerpult. Kurz vor elf muss er schon wieder fertig sein. So sieht es der straffe Zeitplan des Bundestags vor. Für Maas dürfte der Auftritt an diesem Freitag trotzdem einer der unangenehmsten seiner ganzen Karriere werden.

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Ein Jahr lang hat der Justizminister gegen die Vorratsdatenspeicherung gekämpft. Noch im Dezember sagte Maas, er lehne die anlasslose Speicherung "ganz entschieden ab" - sie verstoße "gegen das Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz". Doch jetzt bringt ausgerechnet dieser Maas einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung in den Bundestag ein. Einen größeren Kurswechsel hat es in der Berliner Politik schon lange nicht mehr gegeben. Entsprechend groß dürfte die Häme der Opposition werden.

Verantwortlich für den Kurswechsel ist Parteichef Gabriel

Der Mann, der für den Kurswechsel des Ministers verantwortlich ist, wird dann nur wenige Meter entfernt vom Rednerpult sitzen. Sigmar Gabriel, der Vizekanzler und SPD-Chef, hat im Januar das Ruder herumgerissen. Wegen der Anschläge in Paris und der lautstarken Forderungen vieler SPD-Landesinnenminister sah sich Gabriel genötigt, seine Genossen an einen lange verstaubten Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2011 für die Vorratsdatenspeicherung zu erinnern. Seitdem zerreißt es die SPD.

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In einer Woche soll ein Parteikonvent über die Vorratsdatenspeicherung beraten, eine Mehrheit für Gabriels Kurs ist keinesfalls sicher. Und seitdem fragen sich viele: Wer ist dieser Maas, der Gabriels Volte im Gegensatz zu vielen SPD-Landesverbänden vergleichsweise willfährig erträgt.

Kein anderer Ressortchef hat wohl so viele Gesetze auf den Weg gebracht

Eines steht schon jetzt fest. Für den Justizminister ist die Angelegenheit ein herber Rückschlag. Vermutlich hat in der großen Koalition kein anderer Ressortchef so viele Gesetze auf den Weg gebracht wie Maas. Die Mietpreisbremse, die Frauenquote, die Begrenzung der Makler-Provisionen, das Anti-Doping-Gesetz, die doppelte Staatsbürgerschaft, die Gesetze gegen hohe Dispozinsen, Korruption im Gesundheitswesen oder Abzocke von Kleinanlegern - für all das und ein Dutzend weiterer Gesetze ist Maas verantwortlich.

Der Justizminister hat als einer der ersten klare Worte über die Ausländerfeinde von Pegida gefunden ("eine Schande für Deutschland"), Gabriel traf sich lieber mit Vertretern der selbsternannten Patrioten. Maas könnte und müsste also ein gefeierter Held der SPD sein - aber seit der Kehrtwende bei der Vorratsdatenspeicherung ist er für viele nur noch der Umfaller.

Maas und der SPD-Chef sind eigentlich enge Vertraute

Das alles ist auch deshalb eine erstaunliche Geschichte, weil das Verhältnis zwischen Gabriel und Maas in den vergangenen Jahren immer ausgezeichnet war. Die beiden schätzen sich nicht nur, sie vertrauen einander auch - das ist in der SPD-Spitze keine Selbstverständlichkeit.

Als Gabriel nach der Bundestagswahl den sozialdemokratischen Teil des Kabinetts zusammenstellte, konnte er nur einen Platz frei besetzen. Steinmeier, Schwesig und Nahles waren gesetzt - und an Hendricks als nordrhein-westfälischer Frau führte kein Weg vorbei. Maas hatte damals niemand auf dem Zettel, seine Berufung zum Justizminister war eine Überraschung. Gabriel entschied sich für den Saarländer, um wenigstens einen Kabinettskollegen zu haben, dem er völlig vertrauen kann.

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Gabriel und er teilen eine Leidensgeschichte

Maas sagt, das Verhältnis zwischen ihm und Gabriel sei immer so exzellent gewesen, weil sich jeder auch dann beim anderen gemeldet habe, wenn es dem mal nicht so gut ging. Wenn man böse ist, könnte man sagen: Kein Wunder, dass sich die beiden so gut verstehen - angesichts der vielen Tiefen in ihrem politischen Leben. Maas hat dreimal saarländischer Ministerpräsident werden wollen und ist dreimal gescheitert. Gabriel verlor gleich seine erste Landtagswahl als niedersächsischer Ministerpräsident. Und in seiner Zeit als "Pop-Beauftragter der SPD" war er regelmäßig Gegenstand von Gespött. Maas und Gabriel wissen aus leidvoller Erfahrung, wie hart die Bank eines Oppositionsführers ist.

Es gibt Geschichten, die das Verhältnis der beiden ganz gut illustrieren. Nach den Koalitionsverhandlungen 2005 wartete das politische Berlin darauf, wen der damalige SPD-Chef Müntefering zum Minister machen würde. Für das Umweltministerium kamen sowohl Gabriel als auch Maas infrage. Die beiden waren Konkurrenten, trotzdem saßen sie an diesem Tag gemeinsam in einer Kneipe. Erst klingelte das Handy von Maas, ein vermeintlich gut informierter Journalist gratulierte ihm zu seiner Ernennung zum Umweltminister. Dann läutete das Telefon von Gabriel. Es war Müntefering, der ihm mitteilte, dass er der Auserkorene sei. Maas muss es gegangen sein, wie dem KSC in der Relegation gegen den HSV. Aber es trübte sein Verhältnis zu Gabriel nicht.

Das zeigt auch die Geschichte der Koalitionsgespräche 2013. Gabriel - inzwischen selbst SPD-Chef - hatte die Delegation seiner Partei für die große Verhandlungsrunde bereits festgelegt und mit der Union abgesprochen, als er merkte, dass er den führenden SPD-Linken Stegner nicht berücksichtigt hatte. Die Not war groß. Da rief Gabriel bei Maas an und fragte ihn, ob er auf seinen Platz zugunsten Stegners verzichten würde. Und Maas verzichtete. Er sitzt deshalb jetzt in einer Bundesregierung, an deren Zustandekommen er nicht beteiligt war. Er saß noch nicht einmal in der Facharbeitsgruppe für Justiz und Inneres, die festgelegt hat, was er jetzt als Justizminister umsetzen muss.

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Gabriel und Maas verbinde "ein inneres Vertrauensverhältnis" sagt einer, der beide regelmäßig zusammen erlebt. Der Parteichef schätze, dass Maas undogmatisch und kein Flügelkämpfer sei. Maas wisse wiederum, "wie Gabriel tickt" - das könnten nicht viele in der SPD von sich behaupten.

Viel geholfen hat das Maas im Streit um die Vorratsdatenspeicherung allerdings nicht. Loyalität ist ein einseitiges Geschäft - zumindest dann, wenn man der Unter und nicht der Ober ist. Gabriel hat es vorgezogen, seine Kehrtwende über die Medien zu verkünden. Für Maas war das die maximal denkbare Brüskierung.

Der SPD-Vorsitzende hätte seinen Minister auch anrufen und ihn anschließend selbst den Kurswechsel verkünden lassen können. Das hat er nicht getan. Gabriel habe im Januar eine schlechte Phase gehabt, sagen viele. Ihn habe damals die unangenehme Aussicht umgetrieben, die Bundestagswahl 2017 gegen Merkel zu verlieren und dann in der eigenen Partei abserviert zu werden. Außerdem neige der Vorsitzende halt manchmal zu Alleingängen.

Maas hat sich trotzdem nicht gegen Parteichef Gabriel aufgelehnt. Es hätte auch nicht zu ihm gepasst, sagen Wohlmeinende aus seinem Umfeld - und verweisen dabei auf die saarländische Biografie des Justizministers.

Er ist kein Haudrauf, neigt nicht zum Basta oder zur offenen Feldschlacht

Die Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und Peter Müller konnten zuspitzen, Auftritte in Bierzelten waren ihnen eine Freude. Maas versuchte lange, es den beiden nachzumachen. Er war viele Jahre in der Opposition, da muss man laut sein, um gehört zu werden. Sonderlich erfolgreich war Maas damit aber nicht. Er ist ein zurückhaltender Mensch, manchmal kommt er einem regelrecht verschlossen vor. So einer taugt nicht zum Haudrauf. Und so einer wirkt nicht authentisch, wenn er trotzdem draufhaut. Er habe lange gebraucht, bis er das gemerkt und eingesehen habe, sagt Maas. Seit er das Draufhauen-Wollen bleiben lässt, geht es ihm besser. Seine Zustimmungswerte sind gestiegen. Maas ähnelt dem Berliner Michael Müller. Der hatte mit Wowereit auch einen schillernden Vorgänger, gibt aber eher den nüchternen Bürgerbeamten - und hat damit Erfolg.

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Geholfen hat Maas allerdings auch, dass er die harten Oppositionszeiten inzwischen hinter sich gelassen hat. 2012 wurde er stellvertretender Ministerpräsident im Saarland, seit Ende 2013 ist er Bundesjustizminister. Maas ist nie laut. Er punktet bei Verhandlungen mit sozialer Kompetenz. Und er setzt nichts brachial durch, sondern versucht es mit der Kraft der Argumente. So jemand ist strukturell eher ein Regierungsmann. So jemand neigt aber auch nicht zum Basta oder zur offenen Feldschlacht.

Maas hat aus Gesetzentwurf eine Vorratsdatenspeicherung light gemacht

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Vorgängerin von Maas, hat mit einer brutalen Blockadepolitik die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung während der schwarz-gelben Regierung verhindert. In ihrer ersten Amtszeit als Ministerin war die FDP-Politikerin nicht minder kämpferisch: 1996 trat sie aus Protest gegen den großen Lauschangriff sogar zurück.

Maas fügt sich jetzt dagegen seinem Schicksal. Er reagiert auf seine Art. In den Verhandlungen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat er viel herausgeholt, der Gesetzentwurf ist nur noch eine Vorratsdatenspeicherung light. Die Speicherfristen sind deutlich kürzer, der E-Mail-Verkehr ist ganz ausgenommen - und manches mehr. Aber es geht immer noch um eine massenhafte, anlasslose Speicherung der Verkehrsdaten aller Bürger.

Am Donnerstag ging Maas trotzdem in die Offensive. Als VDS-Gegner sein Grußwort zur Eröffnung des Deutschen Anwaltstags störten, verteidigte der Minister sein Vorhaben. Ihm "stinke" es, dass die Datenspeicherung immer dann akzeptiert werde, wenn dahinter ein privates Geschäftsmodell stehe, wohingegen staatliche Maßnahmen heftig kritisiert würden. "Ich bin nicht der Erfinder der Vorratsdatenspeicherung", sagte Maas. Aber die meisten Daten speicherten doch nicht der BND, die NSA oder das BKA, sondern Google, Facebook oder Whatsapp. Er kämpfe deshalb in Brüssel dafür, "dass es ein einheitliches Datenschutz-Grundniveau gibt". Zumindest dafür erhielt Maas den Applaus der kritischen Anwälte.

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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