Das Knastdilemma besteht vor allem aus den zahllosen Rückfällen, mit anderen Worten: hohe Kosten, wenig Wirkung. Da fragt der Leser nach Modellen für einen Ausweg aus diesem Dilemma.
Der Autor bietet die Sozialtherapie an: "Einerseits die Konzentration der Sozialtherapie vor allem auf junge Gefangene und solche mittleren Alters, bei denen mit den Mitteln der Sozialtherapie weitere schwere Straftaten möglichst verhindert oder zumindest reduziert werden können." Die zweite Strategie sei "die schrittweise Einführung von Qualitätsstandards der Sozialtherapie in den Regelvollzug.
Dazu gehören Wohngruppen, Betreuungsbeamte, therapeutische Gemeinschaften, Einzel- und Gruppentherapien, offener Vollzug, begleitete Übergänge, Entlassungsurlaub und nachgehende Betreuung." So könne eine Rückfallreduzierung von bis zu 20 Prozentpunkten erzielt werden.
Die begleitend notwendige Differenzierung und Individualisierung von Strafrecht und Strafvollzug beschreibt der Autor am Fall Uli Hoeneß: "Noch dominieren irrationale Strafbedürfnisse und die Angst der Mächtigen vor dem Vorwurf einer Klassenjustiz, die einseitig die Interessen der Amigos vertritt.
Eine solche Differenzierung und Individualisierung im Strafrecht und in der Straf-Vollstreckung müsste allerdings auch für alle Täter (und auch für Opfer) gelten, also auch für die Intensiv- und Wiederholungstäter, die die große Mehrheit in den Gefängnissen ausmachen."
Viele wissenschaftliche Untersuchungen hätten nachgewiesen, "dass eine wirkungsvolle Resozialisierung - also die Vermeidung weiterer Rückfälle - ein Höchstmaß an Individualisierung aller stationären und ambulanten Maßnahmen erfordert und keinen Reso-Automaten, der alles gleich macht."
Modellprojekt aus Köln
Man könnte das aus evangelischer Sicht mit der Gerechtigkeit Gottes vergleichen. Nicht, dass allen das Gleiche zuteil wird, sondern dass man allen individuell gerecht wird, das heißt Gerechtigkeit und hat Zukunft.
Wie begrenzt dieser Ansatz auf der Welt umzusetzen ist, ist allen klar. Aber man sollte auf dem Weg zu etwas Besserem als dem Gefängnis die Anfänge, die es in dieser Richtung gibt, stetig fortentwickeln.
Bernd Maelicke beschreibt in einem Modellprojekt aus Köln, wie das funktionieren könnte. Dort wurde die "durchgehende Betreuung" realisiert. Die Rückfallquote sank bei 24 Teilnehmern auf 13 Prozent. Das Modell wurde nach dreieinhalb Jahren mangels Förderung beendet, obwohl es auch rechnerisch weit billiger war als jedes Gefängnis.
Zum Schluss gibt er einen kurzen Ausblick auf "Restorative Justice", die heilende Gerechtigkeit, die zum Ziel hat, Menschen ohne Strafe durch den verantwortlichen Ausgleich und die Wiedergutmachung von Fehlhandlungen zu einem besseren sozialen Leben zu führen. Das wäre dann etwas Besseres als das Strafrecht.
Um den Zielen von Bernd Maelicke näher zu kommen, müssten sich viele Menschen für dieses Problem interessieren. Nur dann kann die politische Unterstützung entstehen, die für eine rationale Kriminalpolitik notwendig ist. Nach der Lektüre des Buches stellt sich die Frage des Untertitels "Wegsperren oder Resozialisieren?" nicht mehr. Das Buch ist ein Motivationsbuch für eine rationale Kriminalpolitik und eine spannende Lektüre nicht nur für Fachleute.
Martin Hagenmaier ist Dr. theol. und Kriminologe. Er arbeitete als Seelsorger in der forensischen Psychiatrie und im Strafvollzug. Er schreibt zum Umgang mit (auch psychisch kranken) Straftätern, Abschiebungshaft und Kriminalpolitik.