Justiz und Vollzug:Wider das Wegsperren

JVA Bochum

Dicke Mauern, dicke Gitter: Strafvollzug in Deutschland im 21. Jahrhundert, hier die Justizvollzugsanstalt Bochum.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Was tun mit Straftätern? Das Modell Gefängnis hält der Jurist Bernd Maelicke für teuer - und wirkungsarm. In einem Buch plädiert er für andere Wege.

Rezension von Martin Hagenmaier

Warum bewirken Gefängnisstrafen nicht, dass die Bestraften beim nächsten Mal von Straftaten die Finger lassen? Warum hat man bei Gefängnissen stets dieses Dilemma-Gefühl?

Bernd Maelicke hat innovative Konzepte für Täter und Opfer von Straftaten verfasst und ist stets auf der Suche "nach etwas Besserem als dem Strafvollzug". Der Experte für Sozial- und Kriminalpolitik hat nun ein Buch darüber vorgelegt, womit er sich sein ganzes Leben lang beschäftigt.

Maelicke erzählt in Geschichten seinen eigenen Weg darin und seine Begegnungen mit diversen Weggefährten, zu denen auch seine Frau Hannelore als Expertin für den Frauenvollzug gehört.

Er schreibt über sich selbst und sein Leben als Kriegskind, das beim Großvater aufwuchs und dort fast auf die schiefe Bahn geraten wäre. Mit zwölf Jahren war er Mitglied einer Jugendbande. Das Jugendamt war schon dabei, für ihn eine Heimeinweisung vorzubereiten, da betrat eines Tages eine "wunderschöne Frau" seinen Klassenraum und fragte nach ihm.

Es war seine Mutter, sie nahm ihn mit und alles änderte sich. Maelicke wurde kein Gefängnisinsasse, sondern Jurist in verschiedenen Funktionen bis hin zum Professor, der sich zeitlebens um die Probleme der Strafgefangenen und des Strafvollzuges kümmerte. Er konnte in Schleswig-Holstein 15 Jahre lang an verantwortlicher Stelle Strafvollzug gestalten.

"Typischer Drehtürinsasse"

Eine rationale Kriminalpolitik war sein Ziel. Das hieß: Innovation im Zuge eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Die Erfahrung "auf dem steinigen Weg der Umsetzung von Innovationen" bündelt sich in folgenden Sätzen: "Eine rationale Kriminalpolitik befindet sich in einem ständigen Dilemma: Neuerungen müssen öffentlich kommuniziert werden, damit sie die Zustimmung von Gesellschaft und Politik erhalten.

Andererseits können Ausbrüche, Flucht von Gefangenen, Geiselnahmen, Selbstmorde, korrupte Beamte, verbotene Beziehungen zwischen Beamten und Gefangenen - um nur stichwortartig besondere Vorfälle zu nennen - nahezu täglich in Gefängnissen geschehen und jeden rationalen Kommunikationsprozess gefährden. Tatsächlich sind solche ,besonderen Vorkommnisse' sehr selten, aber jeder, der im Vollzug arbeitet, muss mit ihnen rechnen."

Die, um die es Bernd Maelicke eigentlich geht, werden in Timo S., einem "typischen Drehtürinsassen" geschildert. Solche Timos machen den größeren Teil der Gefängnisinsassen und viele Seiten im Buch aus. Wer eindrucksvoll geschildert bekommen möchte, was alles auf dem Weg in den und im Knast passiert und warum das die Resozialisierung geradezu verhindert, der hat das richtige Buch in der Hand.

Justiz und Vollzug: Bernd Maelicke, Das Knastdilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift. Verlag C. Bertelsmann 2015, 256 Seiten, 19,99 Euro. Als E-Book: 15,99 Euro.

Bernd Maelicke, Das Knastdilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift. Verlag C. Bertelsmann 2015, 256 Seiten, 19,99 Euro. Als E-Book: 15,99 Euro.

(Foto: Verlag)

"Auch auf den Strafvollzug bezogen ist die Realität anders als die Wirklichkeit. Es gibt viele unterschiedliche Realitäten, die weit entfernt sind von dem, was die Bürger, die Medien oder die Politiker glauben." Und in dieser Realität steckt eine, die niemand in der Hand hat, wenn viele bestrafte Männer im gleichen Haus leben. "Die Hölle im Knast, das sind die anderen Häftlinge."

Sie spielen die Vollstrecker, die man in der Gesellschaft so nicht mehr kennt. Sie üben Gewalt aus, mal konkret "mit der Faust in die Fresse", mal auch im übertragenen Sinne durch Bedrohung, Unterstellen, Verpfeifen. Da haben viele Männer viel Angst.

Trotz vieler Innovationen - Schleswig-Holstein hatte die europaweit niedrigste Haftrate - lautet Maelickes Fazit: "Es hat sich viel zu wenig geändert - noch immer fehlt es an gesellschaftlicher und politischer Unterstützung."

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