Süddeutsche Zeitung

Justiz:Verräterische Proben

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Mit DNA-Spuren könnten Ermittler Herkunft und Aussehen von Verdächtigen erfahren - doch das verbietet ihnen das Gesetz. Nach dem Mord an der Freiburger Studentin Maria L. steht die Regelung allerdings infrage.

Von Joachim Käppner, München

Am Ende ist es ein Haar gewesen, das die Polizei auf die Spur des mutmaßlichen Mörders von Maria L. gebracht hat. Die 19-jährige Studentin war nachts auf einem Freiburger Radweg überfallen, vergewaltigt und getötet worden. Das beklemmende Verbrechen hat nicht nur eine Debatte über Kriminalität von Migranten ausgelöst, sondern auch über eine Ausweitung der DNA-Analyse.

Freiburgs Polizeipräsident Bernhard Rotzinger machte den Anfang. Nach der Festnahme eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings aus Afghanistan - am Tatort wurde ein Haar gefunden, das ihm per DNA-Analyse zugeordnet wurde - im Fall Maria L. forderte Rotzinger in der Badischen Zeitung mehr Möglichkeiten für die Polizei zur Auswertung von DNA-Spuren: Wäre es erlaubt, auch Augen- und Haarfarbe sowie die grobe regionale Herkunft des Täters zu analysieren, "hätten wir wesentlich konzentrierter die Ermittlungen vorantreiben" und "viele Verdachtsfälle von vornherein zur Seite legen können". Im Klartext: Die Sonderkommission hätte die Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit des Täters gekannt - und die Suche auf Migranten konzentriert.

Nach dem Mord an Maria L. in Freiburg gibt es Forderungen, die Regeln etwas zu lockern

Dies allerdings untersagt das Gesetz. Bislang darf die DNA nur im Hinblick auf das Geschlecht und zur Feststellung der Identität analysiert werden. Dabei wird die am Tatort gefundene Erbsubstanz mit der eines Verdächtigen verglichen. Die Erhebung von Augen- oder Haarfarbe ist verboten. Die Polizei darf nämlich ausschließlich "nicht-codierende Bereiche" des Genmaterials auswerten. "Diese Beschränkung stellt sicher, dass keine Informationen über die Eigenschaften, die Persönlichkeit oder das Aussehen des Spurenverursachers erhoben werden", so das BKA. Dies sollte vor einem Vierteljahrhundert den Bedenken der Datenschützer Rechnung tragen. Erlaubt ist die DNA-Analyse zu Beweiszwecken seit einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1990, das Bundeskriminalamt führt die Datei seit 1998. Auch der BGH hatte ausdrücklich nur "die Nutzung von genetisch informationslosen Abschnitten der DNA zu Beweiszwecken in Strafverfahren" für zulässig erklärt.

Früher, noch vor einer Generation, haben sich Fahnder gewünscht, dass es solche Möglichkeiten wie eine Gendatenbank überhaupt geben könnte. Heute lautet die Frage, ob wirklich alles wünschenswert ist, was möglich erscheint, schon wegen der Grundrechte. Kritiker befürchten, eine Ausweitung öffne die Tore für ein "Racial Profiling", wie es in den USA heftig umstritten ist: Die Polizei nimmt dabei einzelne Bevölkerungsgruppen, vor allem die Afroamerikaner, ins Visier, etwa zum Durchsuchen ohne Anlass.

"Theoretisch ließen sich alle Bürger erfassen - aber wollen wir das?"

Es ist eine Grundsatzfrage. "Wo setzen wir die Grenzen?", fragt Oliver Malchow, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Er hat die Forderung aus Freiburg, der sich sogleich der Innen- und der Justizminister Baden-Württembergs anschlossen, mit Unbehagen gehört. "Wir sollten Nutzen und Gefahren sehr sorgfältig abwägen, und ich halte es für fraglich, ob die Ausweitung der DNA-Analyse auf codierende Elemente der richtige Schritt wäre." Malchow fürchtet die Folgen: "Beim nächsten Verbrechen würde die nächste Ausweitung gefordert, so ginge es immer weiter. Theoretisch ließen sich alle Bürger erfassen - aber wollen wir das?"

Die Konferenz der Justizminister von Bund und Ländern will im Frühjahr über eine Ausweitung der Methodik beraten. Allerdings ist diese auch in den heutigen Grenzen sehr erfolgreich: Die DNA-Datenbank enthält 1 162 304 Datensätze (Stand Ende September); dank DNA wurden Zehntausende Straftaten aufgeklärt, darunter laut Bundesinnenministerium 1360 Tötungsdelikte und 2370 Sexualstraftaten.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter macht sich derweil für die Ausweitung stark. Sie wäre, sagt der Vize-Bundesvorsitzende Michael Böhl, "sicher kein Allheilmittel" und sollte nur für Schwerverbrechen gelten. Für diskriminierend hält er das nicht, wie er mit einem Szenario verdeutlichen möchte: "Im Umfeld eines Tatorts leben Tausende irgendwie infrage kommender Personen. Wüssten wir dank einer DNA-Spur, dass diese von einem Rothaarigen mit heller Haut stammt, könnte die Kripo zum Beispiel gleich alle Schwarzafrikaner ausschließen."

Kollege Malchow ist da skeptischer. Gewiss, mehr Informationen würden die Arbeit leichter machen. Wenn aber die Kripo künftig die Hautfarbe eines Spurenverursachers analysieren dürfte - "Wo suchen wir dann eigentlich?" fragt er: "Es gibt glücklicherweise kein Raster und keine Erfassung der Menschen nach Hautfarbe."

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SZ vom 09.12.2016
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