Justiz:Unter Mörderinnen

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Eine minderjährige Nigerianerin sitzt seit August in Abschiebehaft - neben Frauen die wegen Mord und Totschlag im Gefängnis sind. Doch ihr Schicksal ist kein Einzelfall in Deutschland.

Von Detlef Esslinger

Der Gefängnisdirektor hat sich seinen gesunden Menschenverstand bewahrt, er empfand den Zustand als unmöglich. Länger als einen Monat saß das Mädchen Alice K. aus Nigeria bereits bei ihm in Abschiebehaft, laut Haftbefehl war sie 14 Jahre alt. Und nun musste sie ihre Tage gemeinsam mit Frauen verbringen, die hier wegen Mordes, Mordversuchs und Totschlags sitzen.

Arno Bellion, Direktor der Justizvollzugsanstalt im saarländischen Ottweiler, schrieb ans Amtsgericht und ans Justizministerium in Saarbrücken: "Je länger die Jugendliche den schädlichen Einflüssen der Straf- und Untersuchungshäftlinge ausgesetzt wird, was wir leider nicht verhindern können, umso bedenklicher erscheint der weitere Vollzug der Abschiebehaft."

Für Bellion war es das erste Mal, dass eine Minderjährige zu ihm in Abschiebehaft kam. In der Bundesrepublik jedoch kommt dergleichen regelmäßig vor. Deutschland gehört zu den Ländern, die von Flüchtlingsdiensten immer wieder dafür kritisiert werden, dass sie Menschen abschieben, die jünger als 18 Jahre sind - und dass der Vollzug der Abschiebehaft gesetzlich nicht geregelt ist.

Fluchtgrund Beschneidung

Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat zwei Einrichtungen geschaffen, in denen ausschließlich Abschiebehäftlinge untergebracht sind. Aber wenn diese belegt sind, kommen die Flüchtlinge auch dort in ein reguläres Gefängnis.

Das Mädchen Alice K. wurde am 29. August 2003 von französischen Grenzbeamten mit gefälschten spanischen Papieren aufgegriffen. Weil sie in einem Zug aus Deutschland saß, wurde sie nach Saarbrücken gebracht und den deutschen Behörden übergeben.

Wie Alice nach Europa kam, ob allein oder in Begleitung, ist ebenso unbekannt wie ihr Alter. Im Dezember stellte sie einen Asylantrag, darin gab sie als Geburtstag plötzlich den 27. Januar 1987 an. Und sie erklärte erstmals, warum sie in Deutschland bleiben will, warum sie bei einem Abschiebeversuch im November auf dem Frankfurter Flughafen so randalierte, dass die Beamten vom Bundesgrenzschutz sie wieder zurück ins Saarland brachten: Sie habe Angst, in der Heimat beschnitten zu werden.

Verantwortlich für die Abschiebehaft sind die Innenminister. Wenn man nun die saarländische Ressortchefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fragt, ob sie es nicht auch für ein Unding halte, minderjährige Flüchtlinge zusammen mit Totschlägerinnen einzusperren, antwortet sie: "Das ist eine schwierige Frage." Aber wer illegal einreise, müsse sich gefallen lassen, "dass er entsprechend behandelt wird".

Haftentlassung nach fünf Monaten

Im Fall Alice habe die Haft erstens wegen des gescheiterten Abschiebeversuchs so lange gedauert und zweitens, weil ein Asylantrag erst im Dezember gestellt worden sei.

Theoretisch wäre ein geschlossenes Jugendheim eine Alternative. Aber ein solches gibt es im Saarland nicht, auch in zahlreichen anderen Bundesländern nicht. Am vergangenen Montag wurde der Asylantrag von Alice K. abgelehnt. Frauen aus Nigeria, die glaubhaft ihre Angst vor Beschneidung äußern, erhalten jedoch Duldungs-Status. Noch in dieser Woche wird die 14- oder 16-Jährige aus der Haft entlassen, nach fünf Monaten.Wie aber in Deutschland mit Minderjährigen umgegangen wird, die nichts anderes verbrochen haben, als hier leben zu wollen - an dieser Praxis ändert sich nichts.

© SZ vom 21.01.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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