Justiz in Corona-Zeiten:Gerichtsverhandlung aus dem Home-Office

Coronavirus - Virtueller Gerichtssaal

Aufrüsten im Gerichtssaal: Kameras und Bildschirme der neu installierten Videokonferenzanlage im Düsseldorfer Landgericht.

(Foto: David Young/dpa)

Im Arbeits- und Sozialrecht sollen bald Video-Verfahren angeordnet werden können - wegen der vielen Fälle mit Corona-Bezug. Der Widerstand, den es in vielen Richterzimmern lange gab, bröckelt.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wie die traditionell behäbige Justiz in Zeiten von Corona Geschwindigkeit aufnimmt, kann man derzeit am Landgericht Düsseldorf besichtigen. Anfang vergangener Woche klang Pressesprecherin Elisabeth Stöwe fast ein wenig traurig. Zwar konnte sie von einer bestens funktionierenden "Standardvideokonferenzanlage" berichten ("Es gab mehrere Testläufe!"), aber eine erste Verhandlung im Realbetrieb war leider nicht in Sicht. Es lag nicht am Gericht, sondern an den Anwälten, die bei den ersten Video-Gehversuchen des Gerichts nicht mitzogen. Hinderlich war, dass die Anwälte dafür ihrerseits eine einfache Version der Videokonferenzanlage benötigt hätten. Ende der Woche sagt Richterin Stöwe fröhlich: "Jetzt ist alles anders." Drei Termine sind bereits angesetzt, Anfang Mai geht es los. Inzwischen reicht auch eine Software, um die Anwälte ins landeseigene Netz der NRW-Justiz einzuschalten.

Während sich bei Strafprozessen immer alle persönlich im Gerichtssaal einfinden müssen - von den Videovernehmungen schutzbedürftiger Zeugen einmal abgesehen -, dürfen die Gerichte in Zivilverfahren auch per Video verhandeln. Und zwar schon lange, das ist keine Begleiterscheinung der Pandemie. Seit 2013 steht Paragraf 128a in der Zivilprozessordnung. Danach kann das Gericht den Beteiligten "auf Antrag oder von Amts wegen gestatten", sich von außen zuzuschalten. Die Richterinnen und Richter sitzen dann im Gerichtssaal, ebenso die Zuschauer; der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt nach wie vor, wenngleich die Justiz derzeit für Abstände sorgen muss. Aber im Zivilprozess kommt meistens eh niemand.

Seit 2013, wie gesagt - aber hört man sich um bei den Justizministerien, dann heißt es zum Beispiel: Die Technik ist in "einzelnen Gerichten" vorhanden, wird aber selten genutzt (Bremen); Videoverhandlungen gebe es bisher in Einzelfällen (Sachsen und Sachsen-Anhalt) oder "eher im Promillebereich" (Schleswig-Holstein). Im reicheren Süden verweist Bayern darauf, dass etwa 50 Gerichte mit einer mobilen Videokonferenzstelle ausgerüstet sind und an einer flächendeckenden Ausstattung gearbeitet wird. In Baden-Württemberg, dem Land der unzähligen Amtsgerichte, sind immerhin 33 Standorte mit stationären Konferenzanlagen bestückt. Aber auch dort klingt es eher nach den ersten digitalen Schritten. "Tatsächlich wurden auch bereits erfolgreich Onlineverhandlungen durchgeführt", einige computeraffine Juristen verhandelten sogar "mit einer gewissen Regelmäßigkeit" online, teilt das Ministerium in Stuttgart noch etwas verhalten mit. Bisher werde davon nur wenig Gebrauch gemacht, räumt man im Landgericht Karlsruhe ein.

Weil Justiz Ländersache ist, gibt es eine Vielfalt technischer Lösungen. Klar ist, dass die Verbindungen verschlüsselt und absturzsicher sein müssen, aber das lässt sich auch übers Internet bewerkstelligen, ohne Rückgriff auf landeseigene Netze. Mehrere Länder nutzen Skype for business, was auch deshalb attraktiv ist, weil damit Anwälte über ihren Browser zugeschaltet werden können. Sie benötigen einen ganz normalen Laptop mit Mikro, Kamera und Lautsprecher, aber eben keine eigene Software. Beim ersten Mal hakt es gelegentlich, weil man durch die Firewall der Kanzlei muss, aber ist das einmal eingestellt, ist der zweite Versuch problemlos.

Neuerdings konferieren die OLG-Präsidenten wöchentlich per Video - mit positiver Resonanz

Es ist ja auch nicht so, dass die Justiz, digital betrachtet, bei null stünde. Bei Anhörungen von Gefangenen hat es sich eingebürgert, den Häftling via iPad zuzuschalten; das Landgericht Tübingen praktiziert dies schon seit ein paar Jahren mit der Justizvollzugsanstalt Rottenburg. In Nordrhein-Westfalen will man Ähnliches nun auch in Betreuungsverfahren versuchen, weil es dort oft um alte Menschen in Pflegeheimen geht, die Risikogruppe Nummer eins. Und das Landgericht Hannover, das zu den Vorreitern der Videoprozesse gehört, hat inzwischen schon in mehr als 50 Verfahren online verhandelt. Ein Gericht wird nächstes Jahr 20 Jahre Video feiern können: Das einzige hessische Finanzgericht sitzt in Kassel und nutzt Video seit 2001, damit die Leute nicht kreuz und quer durchs große Hessen fahren müssen; allein 2019 in 183 Fällen. Freilich funktioniert das nicht über zugeschaltete Laptops, sondern von dezentralen Standorten in hessischen Finanzämtern und Steuerberaterkammern aus.

So sehr die Richterschaft bisher Neuerungen jeder Art geradezu reflexhaft abgelehnt hat - nun dreht sich der Wind. "Die Hemmschwelle, mit den Videoverhandlungen loszulegen, ist niedrig, die Bereitschaft dazu ist hoch", sagt Uta Fölster, Präsidentin des Oberlandesgerichts Schleswig. Natürlich wegen Corona, aber einige Richter denken auch darüber hinaus. Zwar herrscht weitgehendes Einvernehmen, dass sich nicht alle Verfahren dafür eignen; wenn Zeugen zu vernehmen sind, setzen die meisten Richter auf den persönlichen Eindruck. Gilt es dagegen, lediglich rechtliche Standpunkte auszutauschen, ist Video eine gute Lösung. Gerade in Flächenländern könnte die Technik die Terminierung erleichtern. Am 8. Mai verhandelt das OLG per Video einen Fall, in dem es um eine Biogasanlage geht; die beteiligte Firma kommt aus Schweden, der eine Anwalt aus Berlin, der andere aus Osnabrück - und alle können im Büro bleiben.

Umstritten ist freilich, ob auch das Gesetz für die Online-Justiz gerüstet ist. Der Videoparagraf setzt auf Freiwilligkeit. Ein Referentenentwurf der Bundesregierung will die Möglichkeiten von Onlineverhandlungen während einer "epidemischen Lage" nun für die Arbeits- und Sozialgerichte ausweiten, denen nun massenhaft Kündigungs- und Krankenkassen-Prozesse ins Haus stehen. Danach sollen Gerichte solche Verhandlungen anordnen und neben Anwälten und Beteiligten auch ehrenamtliche Richter zuschalten dürfen. Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) hält das für eine gute Idee und würde den Ansatz gern auf Zivilprozesse ausweiten; auch das bayerische Justizministerium "steht etwaigen Reformen offen gegenüber".

Wie die Not der Krise die Offenheit für neue Wege fördert, mag man auch an den OLG-Präsidenten sehen. Das sind wirklich wichtige Player in der Justiz, ihr Wort hat Gewicht. Bisher galten sie freilich als wenig technikaffin, nicht gerade die Zugpferde der Digitalisierung, erzählt ein Richter. Aber jetzt schalten sie sich fast wöchentlich per Videokonferenz zusammen. "Das läuft prima. Die Barriere ist gefallen."

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