Justiz in China:Keine sicheren Zonen mehr

Justiz in China: Li Tingting, eine der fünf freigelassenen Frauen, posiert 2014 mit einem Poster, auf dem sie mehr Toiletten für Frauen fordert. Solche Aktionen bezeichnet der chinesische Staat als "Streitsucht und Unruhestiftung".

Li Tingting, eine der fünf freigelassenen Frauen, posiert 2014 mit einem Poster, auf dem sie mehr Toiletten für Frauen fordert. Solche Aktionen bezeichnet der chinesische Staat als "Streitsucht und Unruhestiftung".

(Foto: AFP)
  • Nach der Freilassung von fünf Frauenrechtlerinnen in China spekulieren Experten, was den Staat dazu bewog, sie aus der Haft zu enlassen.
  • Sie waren kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März festgenommen worden. Ihnen wird unter anderem "Unruhestiftung" vorgeworfen. Die Frauen wollten Flugblätter gegen sexuelle Belästigung verteilen.
  • Grund für die Freilassung könnte der starke internationale Druck sein. Ziel des Apparats könnte es aber auch sein, damit Verwirrung über die Willkür des Staates zu stiften und so die Menschen über ihre Rechte und Pflichten im Unklaren zu lassen.
  • Der chinesische Staat geht seit einiger Zeit massiv gegen die Zivilgesellschaft vor.

Von Kai Strittmatter, Peking

Das erste Lebenszeichen kam von Zheng Churan. "Hallo, alle zusammen", grüßte sie ihre Kontakte in einem Online-Nachrichtendienst. "Ich bin zurück. Danke euch allen. Ich werde mich erstmal ausruhen und euch dann kontaktieren. Danke." Die 25-Jährige hatte in der Nacht von Montag auf Dienstag überraschend das Gefängnis verlassen dürfen, wie auch ihre vier Mitstreiterinnen Wei Tingting, Wang Man, Li Tingting und Wu Rongrong.

Nach mehr als fünf Wochen Haft und wachsenden Protesten im In- und Ausland entließ die Staatsanwaltschaft in Peking die fünf Frauenrechtlerinnen unter Auflagen aus dem Gefängnis. Amnesty International sprach von einem "ermutigenden Durchbruch", forderte Peking aber gleichzeitig auf, auch die verbleibenden Restriktionen gegen die Frauen aufzuheben.

Die fünf jungen Frauen waren kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März festgenommen worden, weil sie gemeinsame Aktionen gegen sexuelle Belästigung geplant hatten. Sie wollten in Bussen und U-Bahnen Flugblätter und Aufkleber verteilen. Die Festnahme hatte zunächst Erstaunen ausgelöst, weil die Polizei Chinas Frauenbewegung bislang meist in Ruhe gelassen hatte. Als klar wurde, dass die Polizei zu einer Verurteilung drängte, zunächst wegen "Streitsucht und Unruhestiftung", später wegen "Organisierens einer Menschenmenge zur Störung der öffentlichen Ordnung" - Tatbestände, die in China mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden -, nahm der Protest weltweit zu.

Auch Hillary Clinton und US-Außenminister John Kerry forderten die Freilassung der fünf. Chinas Außenministerium wies die Einmischung der USA zurück. Am Montag wiederholte Ministeriumssprecher Hong Lei Pekings Standpunkt, wonach "die chinesische Justiz diesen Fall in Übereinstimmung mit den Gesetzen behandelt".

Ein für die Polizei gesichtswahrender Schritt

In Haft sind die fünf nun nicht mehr, wirklich frei sind sie jedoch auch noch nicht. Für den Zeitraum von zwölf Monaten dürfen sie ihre Heimatstädte nicht verlassen und müssen sich für mögliche weitere Untersuchungen der Polizei bereithalten. Diese kann ihnen den Kontakt untereinander ebenso verbieten wie weiteres gesellschaftliches Engagement, auch kann sie die Pässe einbehalten. Gut möglich allerdings, dass die Freilassung gegen Auflagen ein für die Polizei gesichtswahrender Schritt der Staatsanwaltschaft gewesen ist. "Die Polizei musste sie freilassen, will aber ihre Fehler nicht zugeben", sagte Liang Xiaojun, der Anwalt von Wu Rongrong, der SZ.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kam für die meisten Beobachter überraschend. Anwalt Liang sieht zwei Motive dahinter: Zum einen habe der Anklage von Anfang an jede Grundlage gefehlt. "Die Polizei hat keinerlei Beweise oder Indizien für eine Straftat vorgelegt." Offensichtliche Unschuld allerdings half Festgenommenen in früheren Fällen auch nicht. Im Falle der fünf Frauen kam noch etwas dazu: der Druck der internationalen Gemeinschaft. "Ohne die große Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft wären sie wahrscheinlich nicht freigelassen worden", meint der Anwalt.

Andere Beobachter teilten die Einschätzung. Die Freilassung sei das "Ergebnis beispiellosen internationalen Drucks" auf Peking. Wang Zhen, Professorin für Frauenstudien an der Universität von Michigan und Mentorin einiger der Festgenommenen, vermutete zudem einen Kompromiss hinter den Kulissen zwischen verschiedenen Akteuren innerhalb des Systems.

Dem Portal ChinaChange.org sagte sie, der Fall habe nun viele junge Frauen in China politisiert, das gebe ihr Hoffnung für die Zukunft der Frauenbewegung in China. Gleichzeitig sagte sie, die Festnahme habe klargemacht, dass es nun "keine sicheren Zonen" mehr gebe für Feministinnen und Bürgerrechtler in China. Während viele noch immer rätseln, was den Apparat letztlich dazu trieb, die Frauen ins Gefängnis zu stecken, erklärte Sophie Richardson, China-Expertin von Human Rights Watch, eben diese Verwirrung über die Willkür des Staates sei das Ziel der Sicherheitsbehörden: "Jeder soll im Unklaren bleiben, was genau erlaubt ist und was nicht und womit er eine aberwitzig harte Reaktion riskiert."

Die Festnahme der fünf Frauen kommt zu einer Zeit, da Chinas KP hart vorgeht gegen Organisationen der Zivilgesellschaft. Die Regierung bereitet Gesetze vor, die das Wirken von einheimischen und ausländischen Nichtregierungsorganisationen stark einschränken sollen. Am Dienstag drohte die Regierung dem Yirenping-Zentrum, das sich gegen Diskriminierung aller Art einsetzt. Das Zentrum hatte sich in den vergangenen Wochen auch für die fünf inhaftierten Frauen engagiert. Yirenping stehe "in dem Verdacht, gegen Gesetze verstoßen zuhaben", sagte Außenministeriumssprecher Hong Lei. "Es wird bestraft werden."

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