Süddeutsche Zeitung

Justiz:Freiheit für Staatsanwälte

Das Weisungsrecht der Justizminister entfällt im Zusammenhang mit EU-Haftbefehlen. Eine entsprechende Gesetzesänderung soll ein EuGH-Urteil umsetzen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war ein ungewohnter Moment für die deutsche Justiz. Die deutsche Staatsanwaltschaft, so urteilte der Europäische Gerichtshof im Mai 2019, sei für die Ausstellung von EU-Haftbefehlen nicht unabhängig genug, weil Staatsanwälte den Weisungen der Justizminister unterworfen seien. Das war zwar weniger dramatisch, als es sich anhörte - der Mangel wurde umgehend behoben, indem fortan Richter die Haftbefehle unterschrieben. Aber das Verfahren wurde komplizierter, das war Sand im Getriebe der justiziellen Zusammenarbeit. Zumal der EuGH kürzlich die behördliche Unabhängigkeit nicht nur bei der Ausstellung, sondern auch bei der Vollstreckung von EU-Haftbefehlen anmahnte.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant nun, die Staatsanwälte doch wieder zur zentralen Instanz im Umgang mit EU-Haftbefehlen zu machen. Ministerielle Einzelweisungen an die Staatsanwaltschaften sollen für die EU-Zusammenarbeit in Strafsachen im Gerichtsverfassungsgesetz ausdrücklich ausgeschlossen werden, teilte sie der Süddeutschen Zeitung mit. "Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sollen ein vollwertiger Partner bei der Europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen bleiben."

Staatsanwälte sollen Haftbefehle unabhängig prüfen

Die Ministerin will also, in anderen Worten, das seit jeher umstrittene politische Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften nicht komplett abschaffen, sondern nur dort, wo es um Europa geht. Kein Minister soll die Ermittler anweisen dürfen, den Verdächtigen X doch bitte mal ausliefern zu lassen und vom Verdächtigen Y wegen drohender politischer Verwerfungen lieber die Finger zu lassen. Bisher ist das Weisungsrecht zwar eine eher theoretische, weil skandalträchtige Möglichkeit, sodass, wer es ausübt, gleich sein Rücktrittsgesuch hinterherschicken kann. Aber solange es auf dem Papier steht, bleibt es ein Hindernis für die EU-weite Justizkooperation, nicht nur beim Haftbefehl. Bei der europäischen Ermittlungsanordnung dürften sich ähnliche Fragen stellen, ebenso bei der geplanten Einführung einer grenzüberschreitenden Beweissicherung.

Bleibt die Frage, ob der deutsche Plan mit den Vorgaben der EU-Richter im Einklang steht. Das Ministerium weist darauf hin, dass der EuGH keineswegs eine vollständig institutionell unabhängige Staatsanwaltschaft gefordert habe. Ein allgemeines Weisungsrecht der Exekutive zur Strafrechtspolitik habe das Gericht in anderen Urteilen für unproblematisch gehalten, ebenso ein Weisungsrecht der vorgesetzten Beamten innerhalb der Staatsanwaltschaft. Entscheidend sei vielmehr, dass die Staatsanwälte im konkreten Einzelfall die Verhältnismäßigkeit eines Haftbefehls mit Rücksicht auf be- und entlastende Gesichtspunkte gänzlich unabhängig beurteilen können. Dafür reiche es aus, dass dem Minister versagt sei, Einzelweisungen in solchen Fällen zu erteilen.

Für das Inland dagegen soll alles bleiben wie es ist, jedenfalls fast. Die Möglichkeit solcher Weisungen sorge für "eine demokratische Rückbindung der Staatsanwaltschaften". Allerdings sollen Weisungen künftig nur noch schriftlich und mit Begründung erteilt werden, der Transparenz wegen. Zudem sollen die engen rechtlichen Grenzen des Weisungsrechts ausdrücklich ins Gesetz geschrieben werden.

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