Justiz:Die verbogene Wirklichkeit

Der Strafverteidiger Klaus Volk hat viele Prominente, unter ihnen Boris Becker, Klaus Kleinfeld und Josef Ackermann, vertreten. Nun erzählt der 72-Jährige fesselnd über Staatsanwälte und Zeugen, über Erwartungen und Wahrheiten im Gerichtssaal.

Von Hans Leyendecker

Es kommt nicht oft vor, dass Geschichten richtig erlebt werden und nur ziemlich selten werden sie richtig erzählt. Der Strafverteidiger Klaus Volk hat viel erlebt und er kann beim Schreiben erzählen. Wenn man seine Texte liest, glaubt man seine sonore Stimme zu hören.

Der 72 Jahre alte Jurist hat ein Buch über die "Wahrheit vor Gericht" geschrieben. 19 Kapitel über die Wahrheit in allen Formen. Der Autor stellt in seinem Werk nicht die Justiz selbst vor Gericht, sondern er beschreibt sie nur. Die prozessuale Wahrheit, schreibt Volk im Vorwort, sei "verglichen mit den Erwartungen der Öffentlichkeit, immer verbeult und verbogen". Sie werde "in einem sehr formalisierten Verfahren ermittelt; mit begrenzten Mitteln zu dem begrenzten Zweck, ein Urteil über einen begrenzten Tatvorwurf abzugeben".

Die dann folgenden Kapitel liest man gern, weil Volk gelernt hat, auch die kompliziertesten Dinge verständlich zu erklären. Da geht es um Folter und Geständnisse, um Sachverständige und Zeugen, um Staatsanwälte und Strafverteidiger, um die Freiheit der Beweiswürdigung, um Beweisverbote, um die Wiederaufnahme eines Verfahrens und um Richter, Schöffen sowie Volkes Stimme. Natürlich geht es auch um den Deal und um Absprachen.

Bücher von Juristen über die Juristerei sind wieder in die Mode gekommen. Thomas Fischer, Gerhard Strate gehören zu den nennenswerten Autoren. Volk wirkt weder nachtragend, verpanzert oder verbittert und will vor allem erklären.

Er ist, darauf muss man vielleicht hinweisen, als Anwalt sehr bekannt. Boris Becker, Josef Ackermann, Klaus Kleinfeld, Christopher von Oppenheim und andere Größen waren seine Klienten. Aber Volk ist auch ein echter Strafrechtsprofessor mit frühen Stationen in Erlangen und Konstanz. Dann lehrte er viele Jahre in München. Also kein Honorarprofessor, wie es mittlerweile so viele im Reich der Strafrechtler gibt. Man hat den Eindruck, dass fast jeder, der in dieser ersten Liga mitspielen möchte, sich einen solchen Titel zu beschaffen versucht. Oft wird dann arg viel Mühe verwendet, um zu verdecken, wie wenig Talent man für den Hörsaal hat.

Die Vorlesungen von Volk waren nicht selten überfüllt. Der Professor, der inzwischen emeritiert ist, kam nie schroff-arrogant, sondern immer anmutig-überlegen daher. Über die Wahrheit hat er sein Leben lang geschrieben. "Wahrheit - materielles Recht im Strafprozess" ist ein Werk von Volk aus dem Jahr 1980. Den Studenten hat er beigebracht, dass es bei Strafverfahren nur um begrenzte Vorwürfe gehe und folglich um einen Ausschnitt der Wahrheit.

Mannesmann-Prozess: Ackermann und Anwälte

Im Mannesmann-Prozess 2004: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann (links), mit seinem Anwalt Klaus Volk.

(Foto: Barbara Sax/dpa)

"Unsere Prozessdoktrin neigt dazu, die Wahrheit als den Garanten von Gerechtigkeit zu überschätzen", schreibt Volk in seinem neuen Buch. Der Unterschied zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit werde aber bestehen bleiben.

Das Geständnis nennt Volk, "die abgedankte Königin der Beweismittel". Landläufig werde es weit überschätzt. Jedes Rechtssystem, das ein Geständnis zur Voraussetzung von Strafe mache, habe die Tendenz, Geständnisse zu erzwingen. Über falsche Geständnisse schreibt Volk und auch über die Schwierigkeiten der Justiz einzugestehen, dass Urteile falsch waren.

Volk beschreibt, etwas verdeckt, dass früher manche in Bayern gleicher als gleich waren. Er schildert das am Beispiel der Parteispendenverfahren. In den Achtzigerjahren hatte Joachim Zahn, ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz, wegen steuersparender Parteispenden Ärger mit der Staatsanwaltschaft in Baden-Württemberg bekommen. Volk bekam das Mandat.

Was ist von Geständnissen, von Staatsanwälten und vor allem von Zeugen zu halten?

Ein Studienfreund, der in einem bayerischen Ministerium arbeitete, kam auf ihn zu und sagte, er habe eine Sonderaufgabe zugewiesen bekommen. Er solle alle Argumente zusammentragen, die gegen eine Strafbarkeit der Unternehmer sprächen. Er, Volk, werde die Argumente doch wohl kennen. "Mir ist nicht bekannt, dass bayerische Unternehmen Probleme mit der Staatsanwaltschaft bekommen hätten", scheibt Volk. "Wie das zu erklären ist, weiß ich nicht." Er weiß das vermutlich schon - wer groß und bedeutend war, wurde damals, wenn möglich, in Bayern geschont. "Kein Politiker würde es (heute) wagen, auf die Justiz einzuwirken; sei es aus moralischer Grundüberzeugung oder der schlichten Angst vor den Folgen", schreibt Volk. Im Freistaat Bayern gehen heute wirklich die Uhren anders. Jedenfalls die bei der Justiz.

Staatsanwälte kommen bei Volk vergleichsweise gut weg. Er findet, dass die Staatsanwaltschaft insgesamt "gute Gründe" für die Etikettierung hat, sie sei "die objektivste Behörde Welt". Einige seiner Kollegen sehen das anders. Es gibt Anwälte, die Staatsanwälte hassen. Und Gerhard Mauz, der große Gerichtsberichterstatter, hat mal in einem seiner Bücher geschrieben, die Staatsanwaltschaft sei "nicht immer", aber immer wieder "die Panzerdivision des Vorurteils, der Emotionen und des blinden Zorns".

Justiz: Klaus Volk: Die Wahrheit vor Gericht. Wie sie gefunden und geschunden, erkämpft und erkauft wird. Verlag C. Bertelsmann München 2016, 352 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Klaus Volk: Die Wahrheit vor Gericht. Wie sie gefunden und geschunden, erkämpft und erkauft wird. Verlag C. Bertelsmann München 2016, 352 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Volk ist da wesentlich sanfter: Er findet, dass die Öffentlichkeit die Strafverfolger unbedingt in der Rolle der Guten sehen wolle. Das sei problematisch. Heutzutage habe alles gleich den Namen Affäre und solle dann vom Staatsanwalt aufgeklärt werden. Und im Ermittlungsverfahren sei die Staatsanwaltschaft der Herrscher. In dieser Phase des Verfahrens könne die Verteidigung fast nichts tun. Sie brauche mehr Mitsprache und auch bessere Gestaltungsmöglichkeiten. Selbst das Recht auf Akteneinsicht könne ihr bis zum Abschluss der Ermittlungen verweigert werden. Diese Verweigerung sei "selten eine vernünftige Maßnahme" und das wisse die Staatsanwaltschaft eigentlich auch.

Das Gerichtssaal ist oft auch eine Bühne. Was von Zeugen zu halten ist, beschreibt Volk an einem Schauspiel, das vor mehr als hundert Jahren an der Universität Berlin aufgeführt wurde: Bevor eine Vorlesung in Sachen Strafprozessrecht begann, schrien sich zwei Personen an, die vorne am Rednerpult standen. Der eine droht dem anderen eine Ohrfeige an. Da kam der Professor in den Saal und er bat alle Studenten, doch bitte aufzuschreiben, was sie eben erlebt hatten. Der vermeintliche Vorfall war eine Inszenierung gewesen.

Obwohl der Vorfall erst kurze Zeit zurücklag, schrieben etliche Studenten, sie hätten gesehen, dass einer den anderen geohrfeigt habe, andere wussten zu berichten, einer der Streithähne habe eine Pistole gezogen und sogar ein Schuss sei angeblich gefallen. Volks Fazit: Das "Gehirn schreibt die Story - nicht das Auge".

In unbewusster Ehrlichkeit heißt es im Sprachgebrauch, dass wir Gerechtigkeit nur üben. Dieses Buch macht diese Wahrheit eindringlich klar.

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