Justiz:Aus Beihilfe wurde Verschwörung

Der Fall eines Bankberaters stellt das Auslieferungsabkommen mit den USA infrage. Es wächst das Misstrauen, die Amerikaner könnten wichtige Abmachungen brechen.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Die Strafjustiz steht, was die internationale Zusammenarbeit angeht, nicht gerade an der Spitze der Entwicklung. Dafür gibt es gute Gründe. Das Strafrecht ist tief verwurzelt in nationalen Eigenheiten - welche Taten mit welchen Strafen geahndet werden, kann von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Und weil der globalisierte Straftäter nicht unbedingt abwartet, bis er tatortnah verhaftet wird, gibt es Auslieferungsabkommen. Darin werden die nationalen Unterschiede durch das Prinzip des wechselseitigen Vertrauens überbrückt, dass den Verdächtigen am Ziel seiner Auslieferung ein halbwegs rechtsstaatliches Verfahren erwarte.

Allerdings darf dieses Vertrauen nicht zu rechtsstaatlicher Blindheit führen, das haben jüngst mehrere Gerichte bekräftigt. Nicht einmal im vereinfachten System des EU-Haftbefehls darf die Auslieferung einem Automatismus ohne Kontrolle unterliegen, hat vor drei Monaten der Europäische Gerichtshof entschieden. Und das Bundesverfassungsgericht hat in einem an diesem Mittwoch veröffentlichten Beschluss die Auslieferung eines unter Mordverdacht stehenden Deutschen an Polen gestoppt: Deutsche Staatsbürger dürfen trotz eines EU-Haftbefehls nicht ausgeliefert werden, wenn - wie in diesem Fall - das Verbrechen in Deutschland geplant oder vorbereitet wurde.

Karlsruhe urteilte, dass die Justiz nicht blind vertrauen dürfe - auch nicht den Amerikanern

In einem weiteren, nun bekannt gewordenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die Auslieferungspraxis in die USA in Frage gestellt - und zwar wegen eines wachsenden Misstrauens, ob die US-Justiz sich wirklich an die aus deutscher Sicht bindenden Vorgaben einer Auslieferung hält. Es geht um einen Schweizer Staatsbürger, der Anfang Februar 2015 am Frankfurter Flughafen aufgrund einen US-Haftbefehls festgenommen wurde. Ihm wird vorgeworfen, als Kundenberater einer Schweizer Bank nicht-deklarierte Konten für US-Kunden betreut zu haben. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte keine Bedenken, den Mann an die US-Justiz zu überstellen, aber eine Kammer des Verfassungsgerichts stoppte die Auslieferung.

Auch hier ging es um die Unterschiede im Strafrecht beider Länder. Nach deutschem Recht klang die Kundenberatertätigkeit nach Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Die US-Gesetze hingegen kennen den Tatbestand der "Verschwörung" zum Betrug der Steuerbehörde. Dadurch könnte der Mann für weitaus höhere Steuerverluste verantwortlich gemacht werden als nur jene, die von seinen eigenen Kunden herrühren; die Schadenssumme, die sich dann auch in der Höhe der Strafe niederschlägt, läge nach deutschem Recht bei etwa 800 000 Dollar, nach amerikanischen bei 20 Millionen - was ihm acht Jahre Haft einbringen könnte. Bisher waren solche Diskrepanzen leicht auflösbar: Die Auslieferung wurde an die Bedingung geknüpft, dass der Beschuldigte nur für Taten bestraft werden darf, die in beiden Ländern strafbar sind; die "Verschwörung" wäre damit vom Tisch. Juristen nennen dies den Grundsatz der "Spezialität" - bisher haben ihn auch die USA akzeptiert.

Mit einem Grundsatz-Urteil eines amerikanischen Bundes-Berufungsgerichts vom Oktober 2015 scheint sich jedoch der Wind gedreht zu haben, so jedenfalls ist der Eindruck der Verfassungsrichter. Im Fall Suarez haben die US-Richter entschieden, dass man sich nicht mehr ohne weiteres an die Schranken der Auslieferung halten will, sondern nur, falls das ausliefernde Land protestiert. (Az: 2 BvR 175/16)

Aus Sicht des Karlsruher Gerichts wäre dies eine erhebliche Grundrechtsverletzung: Der Schweizer Bürger müsste nach seiner Auslieferung - wahrscheinlich von einem US-Gefängnis aus - die deutsche Bundesregierung bitten, in seinem Namen Protest einzulegen. Faktisch wäre ihm damit der Rechtsschutz versagt, lautet das Fazit des Verfassungsgerichts. Diese Änderung in der US-Rechtsprechung darf die deutsche Justiz aber nicht ignorieren, weil damit ein "unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsatz" in Frage gestellt wäre. Kein blindes Vertrauen also, sagt Karlsruhe, auch nicht gegenüber den USA. Das Frankfurter OLG muss den Fall nun erneut prüfen.

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