Juso-Chef Kühnert:Schulz' leidenschaftlichster Widersacher

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Kurz vor dem SPD-Parteitag zeigt Juso-Chef Kühnert, was er kann: Der 28-Jährige spricht leidenschaftlich, analysiert die Lage präzise und bleibt demonstrativ solidarisch. Nebenbei zerlegt er einen Ex-Parteichef in zwei Sätzen.

Von Stefan Braun, Berlin

Unsicher wirkt er nicht, nervös auch nicht. Dabei gäbe es für Kevin Kühnert durchaus Gründe, jetzt ein wenig unruhig zu werden. Vier Tage vor dem für die SPD entscheidenden, manche würden sagen höchstgefährlichen Sonderparteitag haben die Jusos in die Berliner Parteizentrale geladen. Und keiner hat sich in der Debatte um eine Fortsetzung der großen Koalition derart in den Kampf geworfen wie der 28-jährige Kühnert. Er hat früh Nein gerufen, und er hat seine Ablehnung nach den Sondierungen noch einmal unterstrichen. Ob er es anstrebte oder nicht - in den vergangenen Tagen ist Kühnert zum leidenschaftlichsten Widersacher von Parteichef Martin Schulz aufgestiegen.

Aus diesem Grund könnten einem vergleichsweise jungen Mann wie dem aktuellen Juso-Chef schon mal die Knie weich und die Stimme wackelig werden. Zumal ihm an diesem Morgen viele Journalisten und TV-Teams zuhören. Es ist politisch ein ziemlich großer Moment für die Jugendorganisation der Sozialdemokraten. Vielleicht ist es sogar der größte seit Jahren - und womöglich wird es nach dem Sonntag für lange Zeit auch der größte bleiben. Trotzdem steht Kühnert vorne am Mikrofon, als hätte er seit Jahren nichts anderes gemacht, als im großen Feuer für seine Position zu kämpfen.

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Schlabber-Jeans, schwarzes Hemd über der Hose, dazu Turnschuhe - das legere Outfit passt zum Profil eines Juso-Chefs. Hinzu kommt ein klarer Blick nach vorne - und das ist das Erste, was Erstaunen hervorruft. Kühnert schimpft nicht, er attackiert nicht, er rauft nicht und er wirkt keine Sekunde wie einer, der durch Protest mal eben ein paar billige Punkte machen möchte. Vielmehr begründet er selbstbewusst und präzise, warum die Jusos eine neue Koalition mit der Union ablehnen.

Und er betont, wie wichtig es ihm sei, bei aller inhaltlichen Auseinandersetzung mit seiner SPD immer solidarisch zu bleiben. Hier gehe es nicht um Personen, sondern um eine Sachfrage, sagt Kühnert mehrfach. Um stets hinzuzufügen, dass man "ruhig, besonnen und miteinander" darum ringen werde, "was der beste Weg für unsere Gesellschaft und die SPD ist". So hart der gerade mal 28-Jährige in der Sache auch kämpft, so verbindlich wirkt an diesem Vormittag sein Auftritt.

Kühnert berichtet, dass er in den vergangenen Tagen "Hunderte Mitglieder" getroffen und dabei eine noch immer "extrem kontroverse Debattenlage" ausgemacht habe. Gleichwohl hoffe er inständig, dass die Partei - egal wie es am Sonntag ausgehen werde - zusammenbleibe. "Wir brauchen eine faire und sachliche Debatte, damit am Ende das bessere Argument gewinnen möge." Solche Sätze können schnell ein bisschen altklug klingen; bei Kühnert aber wirken sie nicht einstudiert, nicht von Taktik getrieben. Je länger er spricht, desto stärker wird der Eindruck, dass es ihm gerade damit ernst ist.

Kühnerts These ist denkbar eingängig: Er glaubt nicht mehr daran, dass die SPD jemals gesundet, wenn sie sich "aus Hasenfüßigkeit immer wieder in eine große Koalition flüchtet, weil man die Alternativen noch schlimmer findet". Das mache die SPD nicht stark, sondern "verzwergt" sie, so Kühnert. "Wir suchen den Weg, wie die SPD wieder die große linke Volkspartei werden kann." Als solche nämlich werde sie dringend benötigt. "Das eint uns, auch wenn unsere Strategien unterschiedlich sein mögen."

Einem Vorwurf aus der Partei will er gleichwohl begegnen: dem, dass ausgerechnet die Jusos mit ihrer Kampagne für ein frühzeitiges Nein das abschließende Votum der rund 450 000 Parteimitglieder verhindern wollten. Begründung der Kritiker: Dieses komme ja nur zustande, wenn der Parteitag Koalitionsverhandlungen zustimme. Kühnert erinnert daran, dass der Parteivorstand geschlossen das präzise Vorgehen beschlossen habe. Und er verweist darauf, dass die Jusos mit anderen darum gekämpft hätten, mehr Mitsprache der Basis durchzusetzen, indem kein kleiner, sondern ein richtiger Parteitag am Sonntag entscheidet. Das habe den Einfluss der Mitglieder nicht geschwächt, sondern ausgebaut.

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Auch zum Thema Nachverhandlungen hat der Juso-Chef eine klare Meinung: Er hält davon wenig. Die Sondierungen seien nun mal der Rahmen für ein mögliches Bündnis. "Und was da heute nicht drin ist, wird auch nicht mehr reinkommen." Wer anderes hoffe oder suggeriere, führe die Menschen in die Irre. "Wir sollten uns da keinen Sand in die Augen streuen."

Und was würde aus Martin Schulz, wenn er am Sonntag unterliegen sollte? Geht es nach Kühnert und seinen Jusos, dann dürfte, sollte und werde der SPD-Chef auch dann SPD-Chef bleiben. Es gebe keinen internen Druck gegen die Jusos und keinerlei Versuche eines Maulkorbs, betont der junge Berliner. Und macht damit deutlich, wie anständig er das findet. Fast folgerichtig antwortet Kühnert auf die Frage, ob Schulz auch bei einer Niederlage an der Spitze der SPD bleiben dürfe: "Ja, er kann es ausdrücklich bleiben."

Er ist jemand, der mit großer Leidenschaft für mehr Solidarität eintritt

Was da im ersten Moment überraschend klingen mag, ist aus Kühnerts Sicht nur konsequent: Gerade er, der sich ausgerechnet in diesem heiklen Moment eine eigene Meinung rausnimmt, will auf keinen Fall, dass nach der Entscheidung schon wieder einer wie der große Verlierer aussieht. Das mag politisch unrealistisch sein, aber es ist nur konsequent für jemanden, der mit großer Leidenschaft für mehr Solidarität eintritt.

Und dazu passt denn auch Kühnerts Schlusswort, das nichts mit Schulz, aber viel mit Ex-Parteichef Oskar Lafontaine zu tun hat. Gefragt, was er von dessen Idee einer neuen linken Sammlungsbewegung halte, antwortet der Juso-Chef, er halte davon gar nichts. "Oskar Lafontaine steht in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sicher nicht für die Einigung, sondern für die Spaltung der politischen Linken." Außerdem habe er die SPD verlassen, statt für seine Inhalte zu kämpfen. "Ich würde deshalb davor warnen, ihn als politischen Berater heranzuziehen." Kürzer und deutlicher hat ein Juso-Vorsitzender schon lange nicht mehr mit Lafontaine abgerechnet. Und in Kühnert ist das ausgerechnet einer, dessen Selbstbewusstsein und Rhetorik allmählich an den früheren Lafontaine erinnern.

Auf der großen roten NoGroKo-Wand der SPD-Jugend, vor der Kühnert knapp zwanzig Minuten redet, sind zwei Bergsteiger zu sehen, die auf zwei spitzen Felsen stehen und sich über einen gefährlichen Graben helfen. Stellt sich nur die Frage, wer in der SPD gerade wem hilft - und wer noch über den großen Graben muss.

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