Juristische Unwägbarkeiten um Stuttgart 21:Bahnhof für Winkelzüge

Ist eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 zulässig - oder vielleicht ganz einfach überflüssig? Und: Dürfte die Landesregierung tatsächlich aus dem Vertrag mit der Bahn aussteigen? Der geplante Volksentscheid eröffnet verfassungsrechtliches Brachland für kreative Juristen.

Wolfgang Janisch

Womöglich ist die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 nur ein Nachspiel in einer Auseinandersetzung, die bereits entschieden ist. Das Quorum für einen Ausstieg - ein Drittel der Wahlberechtigten müssen dafür stimmen - scheint nahezu unerreichbar. Ohnehin sind noch einige juristische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Es ist umstritten, ob ein Volksentscheid überhaupt zulässig ist.

Montagsdemo gegen Stuttgart 21

Viele Stuttgarter wehren sich vehement gegen Stuttgart 21 - doch welchen Wert hat ihre Stimme?

(Foto: dpa)

Für kreative Juristen eröffnet sich hier verfassungsrechtliches Brachland. Kein Gericht hat je über diese Fallkonstellation entschieden, kein Paragraph hilft, das Terrain ist ideal für einen Expertenstreit. Im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion haben die Professoren Joachim Wieland (Speyer) und Georg Hermes (Frankfurt) ein Gutachten erarbeitet, sie erachten den Volksentscheid für zulässig; ebenso sieht es der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags.

Auf der Gegenseite stehen die Gutachten von Paul Kirchhof (Heidelberg) sowie des Stuttgarter Rechtsanwalts Klaus-Peter Dolde, beide im Auftrag der früheren Landesregierung erstellt. Aus der Diskussion zeitweise verschwunden war das Gutachten des Berliner Rechtswissenschaftlers Hans Meyer, der - als einziger, aber gewohnt apodiktisch - die Finanzierungsverträge wegen eines Verstoßes gegen das Grundgesetz für nichtig hält, womit ein Volksentscheid gar nicht erforderlich wäre.

Ein zentrales Argument der Plebiszit-Skeptiker hat mit dem Prozedere zur Einleitung eines Volksentscheids zu tun. Nach Artikel 60 Absatz 3 der Landesverfassung muss die Regierung einen Gesetzentwurf einbringen, den der Landtag ablehnt - woraufhin ein Drittel der Abgeordneten das Gesetz zur Volksabstimmung bringen kann. Die Vorschrift, argumentieren Dolde und Kirchhof, sei jedoch nur für einen echten Konflikt zwischen Regierung und Parlament gedacht. Ein solcher Konflikt bestehe nicht, wenn man ein eigentlich gewolltes Gesetz scheitern lasse.

Freilich stammt dieses Argument aus der Zeit der CDU-geführten Regierung. Im neuen Kabinett dominieren die grünen Stuttgart-21-Gegner. Im Landtag dagegen könnte die Mehrheit anders aussehen: Die SPD ist für den Tiefbahnhof, die Opposition sowieso. Hermes und Wieland verweisen auf das Urteil zur Bundestagsauflösung 2005, die Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem Vertrauensverlust begründet hatte. Das Bundesverfassungsgericht billigte damals den taktischen Winkelzug.

Ein weiterer Kritikpunkt setzt am Verbot an, ein "Staatshaushaltsgesetz" zum Gegenstand einer Volksabstimmung zumachen. Ein Entscheid über den Finanzierungsanteil des Landes an dem Bahnprojekt sei jedenfalls in seiner Konsequenz ein "Akt der Haushaltsgesetzgebung", argumentiert Dolde. Wieland und Hermes dagegen pochen darauf, dass nach dem Wortlaut der Landesverfassung nur das Haushaltsgesetz dem Volksentscheid entzogen sei, nicht aber sämtliche finanzwirksamen Beschlüsse.

Rechtssicherheit gegen Demokratieprinzip

Entscheiden wird sich der Streit aber wohl an der Frage, ob ein Bürgervotum für den Ausstieg der Landesregierung überhaupt einen Kündigungsgrund an die Hand gäbe. Sein Finanzierungsanteil ist vertraglich vereinbart, eine Kündigungsklausel enthält der Vertrag nicht, und grundsätzlich gilt auch für Bundesländer der Grundsatz "pacta sunt servanda", Verträge sind zu erfüllen.

Allerdings gibt es im Verfahrensrecht eine Ausstiegsklausel für den Fall, dass sich die Verhältnisse "wesentlich geändert" haben. Das wird jeder bejahen, der den Massenprotest vor Augen hat, der Stuttgart 21 zur Chiffre für Bürgerzorn gemacht hat. Aber so einfach ist die Sache nicht.

Ein formales Argument lautet: Das Bundesland darf die "wesentliche Änderung" der Verhältnisse, die eine Kündigung rechtfertigen, nicht selbst herbeiführen. Dies aber wäre der Fall, wenn das Volk das Ausstiegsgesetz beschlösse - denn zum Land gehört auch das Volk. In Wahrheit steht hier der Grundsatz der Rechtssicherheit gegen das Demokratieprinzip.

Und hier kommt das Geld ins Spiel: Gewiss hat die Bahn einen Anspruch auf Erfüllung geschlossener Vereinbarungen. Allerdings sieht das Hermes/Wieland-Gutachten vor, dass sie bei einer Kündigung entschädigt werden müsste. Weitaus schwerer wiegen dürfte hier der Grundsatz, dass sich in einer Demokratie Mehrheiten ändern können und politische Entscheidungen revidierbar sein müssen.

Bleibt die Frage, ob der baden-württembergische Staatsgerichtshof, dessen Mitglieder noch von einem CDU-dominierten Landtag gewählt worden sind, dies auch so sieht. Schaut man etwa aufs Bundesverfassungsgericht, hat sich freilich der Wunsch der Parteien, von "ihren" Richtern Unterstützung zu bekommen, oft genug nicht erfüllt.

Außerdem steht an der Spitze des Staatsgerichtshofs ein integrer, unabhängiger Jurist: Dass der Präsident des Oberlandesgerichts Eberhard Stilz seinen guten Ruf verspielt, um einer Partei zu gefallen, ist nicht zu befürchten.

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