Juristische Aufarbeitung des NSA-Skandals:Verhinderte Ankläger

Die Bundesanwälte fahren in der NSA-Affäre mit angezogener Handbremse. Sie können keine Büros durchsuchen, keine Akten beschlagnahmen - nicht einmal Zeugen vorladen. Zwar gäbe es einen Paragrafen, der auf das Überwachungsprogramm Prism passt. Doch nirgendwo ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis größer als beim Staatsschutz.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Zur Dramaturgie eines Skandals gehört: Jemand muss politische Konsequenzen ziehen; und die Sache muss juristisch aufgearbeitet werden. Insofern scheint die Überwachungsaffäre um den US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) den üblichen Gesetzmäßigkeiten zu folgen. In Berlin erwägt man ein No-Spy-Abkommen, in Karlsruhe schaut man ins Strafgesetzbuch.

Die Bundesanwaltschaft hat zwei "Beobachtungsvorgänge" angelegt, einen zu den im Juni bekannt gewordenen Überwachungsprogrammen Prism und Tempora, einen zweiten zu Angela Merkels Handy. "Beobachtungsvorgang" bedeutet vor allem: Es wird derzeit nicht ermittelt. Obwohl sich der dafür notwendige Anfangsverdacht mindestens beim Mobiltelefon der Regierungschefin aufdrängt. Danach gefragt, soll NSA-Chef Keith Alexander nach einem Bericht des Spiegel gesagt haben: "Not anymore" - nicht mehr.

Weil aber eben nicht ermittelt wird, fahren die Bundesanwälte mit angezogener Handbremse: Sie können keine Büros durchsuchen, keine Akten beschlagnahmen, nicht einmal Zeugen vorladen. Sondern nur Fragen stellen, ans Kanzleramt, an den Bundesinnenminister, an die zuständigen Bundesbehörden. Zum Handy-Problem hat noch niemand Auskunft gegeben, aber zum Komplex Prism liegen bereits diverse Stellungnahmen in Karlsruhe.

Eine Vorschrift, die auf Prism passt

Zum Inhalt äußert sich die Behörde nur mit einem vielsagenden Satz. "Aus den bislang übermittelten Informationen ergeben sich allerdings noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallende Straftat." Übersetzt heißt das vermutlich: Da wird nichts draus.

Dabei gibt es eine Vorschrift, die auf Überwachungsprogramme à la Prism passt. Nach Paragraf 99 stehen auf "geheimdienstliche Agententätigkeit" bis zu fünf Jahre Haft, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren. Der ausländische Agent müsste nicht einmal deutschen Boden betreten haben, um ein Fall für die deutsche Justiz zu werden; das Anzapfen eines Kabelknotens - zur massenhaften Ausforschung von Telekommunikations- und Internetdaten in Deutschland - dürfte ausreichen.

Zwar setzt die Vorschrift voraus, dass die Aktivitäten "gegen" die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind. Eine solche feindliche Zielrichtung wird man den Amerikanern mit Sicherheit nicht generell unterstellen können. Sie kooperieren mit den deutschen Diensten und haben mehr als einmal relevante Informationen zu islamistischen Terroraktivitäten geliefert. Und manche Meldung aus der Anfangszeit des Skandals ist bereits überholt. So handelte es sich beispielsweise bei den 500 Millionen Verbindungen, die nach anfänglichen Berichten durch die NSA in Deutschland überwacht worden sein sollten, offenbar um die Anlage des Bundesnachrichtendienstes in Bad Aibling und die Fernmeldeaufklärung in Afghanistan.

Dient das deutschen Interessen?

Andererseits: Sollten Amerikaner und Briten ihre technischen Möglichkeiten nutzen, um sich ein möglichst umfassendes Bild von Deutschland zu machen, dann könnte schon das strafbar sein, selbst wenn es weder um Merkels Handy noch um die Chefetagen der deutschen Wirtschaft ging. Wenn systematisch die Zivilgesellschaft gescannt würde - Verbände, Gewerkschaften, Handelskammern, vielleicht auch Bürgerinitiativen -, dann wäre dies fraglos "gegen die Interessen" Deutschlands gerichtet.

Die Gerichte legen die Vorschrift weit aus; um Staatsgeheimnisse, die bei Merkels Handy eine Rolle spielen könnten, geht es hier ohnehin nicht: Umfasst seien Bestrebungen fremder Geheimdienste, "alle Angelegenheiten eines anderen Staates systematisch auszuforschen, um auf diese Weise durch Erkundung von Schwächen des potenziellen Gegners im Kräftespiel der Mächte letzten Endes ein Übergewicht zu erlangen", schrieb einst der Bundesgerichtshof.

Nach dem Völkerrecht ist beides erlaubt

Soweit also die Theorie. Nur ist, wenn es um Spione und Agenten geht, nicht die Theorie entscheidend, sondern die Praxis; der Unterschied ist nirgendwo größer als beim Staatsschutz. Denn all die Paragrafen, die das Spionieren unter Strafe stellen, dienen nicht etwa einem höheren Recht zum Schutz der Menschen, sondern allein den Interessen des Staates.

Das lässt sich bereits daran ablesen, dass nach dem Völkerrecht beides erlaubt ist: das Spionieren wie auch das Bestrafen der Spione. Damit steht die Frage, ob wir fremde Spione bestrafen, immer unter dem Vorbehalt: Dient das deutschen Interessen?

Außenpolitik bestimmt das justizielle Vorgehen

Wie die Antwort darauf ausfallen kann, illustriert eine elf Jahre alte, nur sechs Zeilen umfassende Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft. Am 22. Juli 2002 nahm die Behörde die Anklage gegen zwei mutmaßliche syrische Spione zurück - einen Tag vor dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Und zwar wegen der "Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland". Syrien war nach Nine-Eleven nämlich ein wichtiges Land für die Deutschen, der dortige Geheimdienst verfügte über exzellente Informationen zum Terrornetzwerk al-Qaida.

Was sich daraus für die aktuelle Überwachungsaffäre ableiten lässt, erfordert wenig Phantasie. Sobald Berlin der Bundesanwaltschaft signalisiert, Ermittlungen gegen US-Verantwortliche schadeten deutschen Interessen, werden die Bundesanwälte den Fall zu den Akten legen - inklusive der brisanten Handy-Abhöraktion. Und ganz ohne zuvor offiziell Ermittlungen einzuleiten, denn dies hätte das volle Programm zur Folge. Es müsste ein Rechtshilfeersuchen an die USA gestellt werden, um Menschen wie Keith Alexander befragen zu dürfen. Und eines an Russland, um Edward Snowden nach Karlsruhe zu holen. Wie gesagt: Bloße Theorie.

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