Kommunalwahlen in Frankreich 2020:"Im Lokalen geht es immerhin kleine Schritte voran"

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Kinderbetreuung, Klimawandel oder der Kompost in der Gemeinde: Vor den Kommunalwahlen erzählen junge Französinnen und Franzosen, was sie wichtig finden und was ihnen Sorgen macht.

Protokolle von Juliette Maresté

In über 35 000 französischen Kommunen wird an diesem Sonntag gewählt, der zweite Wahlgang findet eine Woche später statt. Was bewegt junge Wählerinnen und Wähler?

Sarah Champagne, 22, Politik-Studentin aus Ville-d'Avray, Hauts-de-Seine

Ich lebe in einem Vorort von Paris und mache gerade ein Praktikum beim Verband der Vegetarier in Frankreich. Wenn ich nach Paris reinfahre, fällt mir auf wie unsicher die Situation für Frauen im öffentlichen Raum oft ist. Außerdem sehe ich, wie viele Menschen in Paris auf der Straße oder in Camps leben. Das finde ich unmenschlich. Auch um Geflüchtete sollte die Stadt sich besser kümmern.

Sarah Champagne (Foto: privat)

Ich engagiere mich für Umweltschutz und bin oft frustriert, dass auf nationaler und internationaler Ebene nichts passiert. Im Lokalen geht es immerhin kleine Schritte voran, das tröstet mich. Es gibt viele Initiativen, die etwas anstoßen, sich zum Beispiel für mehr Grünflächen und Fahrradwege einsetzen, für mehr vegetarische Gerichte in den Kantinen.

Was ich wählen werde, weiß ich noch nicht. In meinem Heimatort gibt es nur zwei Listen, die regierende ist Mitte-rechts, die andere Mitte-links. Für mich klingen deren Vorschläge fast gleich. Vielleicht stimme ich für die aktuelle Bürgermeisterin, sie hat ihre Arbeit bisher gut gemacht. Zum Beispiel hat sie einen Kompost für die Gemeinde eingeführt. Wie gesagt, man muss ja irgendwo anfangen.

Rahma Issaad, 28, Jura-Studentin aus Angers, lebt in Fontenay-aux-Roses, einem Vorort von Paris

Vor der Kommunalwahl versuche ich, mir alle Programme anzuschauen. Wen ich wähle, hängt weniger von der Parteienzugehörigkeit ab, als von den angebotenen Lösungsvorschlägen. Mich interessieren vor allem Kinderbetreuung, Schulbildung und Frauenrechte. Ich habe einen Sohn im Grundschulalter und bin daher direkt betroffen. Wenn es zu wenig Betreuungsplätze gibt, bleibt das in unserer Gesellschaft immer an den Frauen hängen. Das finde ich sehr unfair. Aber auch Sauberkeit und Umweltschutz sind mir wichtig. Ich habe in Toulouse studiert, dort lagen selbst in den schicken Vierteln überall Hundehaufen rum, es gab kaum Mülleimer. Das ist schade, da die Stadt so viel Potenzial hat.

Frankreichs Zukunft macht mir wirklich Sorgen, wir stehen wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht gut da. Ich respektiere ihr Recht auf Protest und Demonstrationen, die vielen Blockaden haben mich aber sehr gestört. Ich möchte meinem Sohn kulturelle Bildung ermöglichen, und wenn wir wegen eines Streiks nicht nach Paris fahren können, ärgert mich das sehr. Auch wenn ich natürlich weiß, dass andere viel schlimmer betroffen sind. Dass wir Franzosen so ein großes Bedürfnis nach Revolte haben, wird uns irgendwann auf den Kopf fallen. Ich finde, wir sollten den Menschen, die wir demokratisch gewählt haben, ein wenig mehr vertrauen.

Yoram Melloul, 26, studiert Journalistik, aus Marseille, lebt zurzeit in Paris.

Marseille hat seit 25 Jahren den gleichen Bürgermeister, den Republikaner Jean-Claude Gaudin. Das wird sich hoffentlich bald ändern. Was mich am meisten stört, ist die Art und Weise, wie hier gebaut wird: Alles ist auf Touristen ausgerichtet. Die Bewohner ärmerer Viertel sollen vertrieben werden, indem man ihre Häuser verfallen lässt. Ende 2018 sind sogar mehrere Gebäude eingestürzt. Viele Menschen sind daraufhin auf die Straße gegangen, geändert hat sich nichts. Außerdem wird alles teurer. Die vielen Airbnb-Wohnungen lassen die Mietpreise nach oben schießen. Es werden Restaurants in ärmeren Vierteln eröffnet, die Gerichte für Pariser Preise anbieten. Während man an der einen Ecke noch ein Couscous-Gericht für 7€ bekommt, kriegt man an der nächsten keine Mahlzeit unter 25€.

Yoram Melloul (Foto: privat)

Welche Partei ich wählen werde, habe ich noch nicht entschieden. Ausschließen kann ich aber das rechtsextreme Rassemblement National oder die Republikaner. Das Stadtviertel, in dem ich wähle, ist allerdings eine Hochburg der Republikaner. Mal schauen, was ich hier mit meiner Stimme erreichen kann. Beim ersten Wahlgang werde ich meiner Freundin eine Vollmacht geben, damit sie meine Stimme abgeben kann. Ich muss in Paris arbeiten und Briefwahl gibt es bei uns für die Kommunalwahl nicht. Beim zweiten Wahlgang bin ich dann in Marseille. Das Zugticket habe ich schon gekauft.

Virgile Lézin, 18, Schüler aus Le Pellerin, in der Nähe von Nantes

Ich gehe zum ersten Mal wählen. Es gibt schon Themen, die mir wichtig sind, auch wenn meine Freunde und ich nicht viel über Politik sprechen. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass in meiner Stadt mehr Kameras hängen als früher. Da fühlt man sich überwacht, das ist mir unheimlich.

Virgile Lézin (Foto: privat)

Ich möchte Bierbrauer werden, auch deshalb mache ich mir Gedanken über den Klimawandel. Schließlich ändern sich dadurch die Anbaubedingungen. Ich möchte vorerst hier in der Region bleiben und arbeiten, Bier brauen geht ja fast überall. Was ich wählen werde, weiß ich noch nicht. Vermutlich aber eine Partei, die schon ein wenig grüner ist. Auf jeden Fall ist es mir wichtig, überhaupt hinzugehen, schließlich macht das eine Demokratie aus.

Claire Langevin, 22, Auszubildende in der Krankenpflege aus Saintes, Charente-Maritime, lebt zurzeit in Libourne bei Bordeaux.

Ich gehe jeden Freitag zum Treffen des Folklore-Vereins in meinem Heimatort Saintes. Wir führen in Trachten traditionelle Tänze und Lieder auf. Jean-Philippe Machon, der aktuelle konservative Bürgermeister, ist dort auch Mitglied. Ich finde, sein Team hat in den letzten sechs Jahren sehr gute Arbeit geleistet. Die Passerelle, eine alte Brücke in der Stadt, wurde restauriert, eine heruntergekommene Avenue wieder hergerichtet. Der Bürgermeister setzt sich auch für den Tourismus ein, ich werde für ihn stimmen. Ich wüsste nicht, was ich in Saintes groß ändern würde.

Claire Langevin (Foto: privat)

Sarah Valantin, 24, Spanischlehrerin aus Eulmont, Lothringen, lebt zurzeit in Paris.

Ich komme aus einem Ort mit etwa 1000 Einwohnern, ich kenne den Bürgermeister - ein unabhängiger Kandidat - gut, mein Vater hat sich für den Gemeinderat aufstellen lassen. Für seine Liste werde ich wahrscheinlich stimmen. Früher fuhren alle Leute aus dem Dorf nach Nancy zum Arbeiten und abends wieder zurück, inzwischen gibt es hier eine richtige Gemeinschaft und viele Veranstaltungen. Man kennt und hilft sich. Ich muss aber auch sagen, dass es hier viele "Bobos" ("bourgeois-bohème") gibt: Lehrer, Funktionäre, liberale Berufe halt. Die meisten anderen Gemeinden in der Region sind fest in der Hand des Rassemblement National oder der Republikaner.

Sarah Valantin (Foto: privat)

Was könnte man hier noch verbessern? Einen Gemeinschaftsgarten fände ich toll. Oder dass in den Schulkantinen Lebensmittel aus lokalem Anbau angeboten werden. Ich werde nächstes Jahr nach Nancy ziehen, ich sehe meine Zukunft dort. Paris ist mir ein bisschen zu groß und anonym.

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