Junge Union:Merz hält Union für "schweren politischen Sanierungsfall"

Junge Union: Tilman Kuban ist die Freude über den Besuch von Friedrich Merz anzusehen.

Tilman Kuban ist die Freude über den Besuch von Friedrich Merz anzusehen.

(Foto: AFP)

Drei Wochen nach der Wahlniederlage von CDU und CSU rechnen die Teilnehmer beim Deutschlandtag der JU in Münster mit ihrem Spitzenpersonal ab. Selbst der sonst so eloquente Merz erreicht sein Publikum an diesem Abend nicht.

Von Jana Stegemann, Münster

Das beliebteste Wort am Freitagabend in Münster ist drei Wochen nach der Wahlniederlage der Union "Aufbruch". 500 Kilometer entfernt in Berlin haben die Spitzen von Grünen, SPD und FDP an diesem Tag schon vor dem Eintritt in Koalitionsverhandlungen ein Sondierungspapier vorgelegt. So wie es aussieht, landet die Union in der Opposition. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, schreit nun ins Mikro: "Der Neuanfang von CDU und CSU beginnt hier auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Münster." Als "großes Familientreffen" bezeichnet die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU ihr dreitägiges Treffen in Nordrhein-Westfalen, sie ist mit fast 100 000 Mitgliedern die größte politische Jugendorganisation Europas.

30 Minuten später kommt Friedrich Merz unter lautem Klatschen in den Saal - aus den Lautsprechern wummert "Love me again". Die gut 300 jungen Delegierten klatschen und jubeln für den 65-jährigen Sauerländer. Merz, gut gebräunt, steigt lächelnd auf die Bühne. John Newman ruft jetzt: "I need to know now, know now. Can you love me again?" Tilman Kuban ist die Freude über den Besuch anzusehen. "Es ist schon ein bisschen wie vor zwei Jahren", sagt er und streicht Merz freundschaftlich über die Schulter. Schon damals beim JU-Treffen 2019 im Saarland sahen Kuban und Kollegen Merz als konservativen Heilsbringer und besten Kanzlerkandidaten.

Für die Junge Union schließt sich Aufbruch und der Auftritt des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden von vor 20 Jahren auch zwei Jahre später nicht aus. Für Merz ist es der dritte Anlauf endlich Parteichef zu werden. Doch offiziell geht es auch ihm um, klar, Aufbruch und Erneuerung. Seit Noch-Partei-Chef Armin Laschet seinen Zeitlupenrückzug ankündigte, steht fest, dass das JU-Treffen auch ein erster Stimmungstest für potentielle Nachfolger sein würde. Kuban freut sich über das große Interesse am ersten Tag der dreitägigen Veranstaltung: "Die Hochkaräter, die Spitzen der Union werden bei uns sein, weil wir der Motor sind." Im Rennen für die Laschet-Nachfolge sind trotz des ganzen Geredes vom Neuanfang, fünf mehr oder weniger altbekannte Männer aus Nordrhein-Westfalen: Friedrich Merz, Jens Spahn und Norbert Röttgen. Sowie neu im möglichen Personalkarussell: Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und Carsten Linnemann, der Chef der Mittelstandsvereinigung. Sie alle finden Zeit, bei der JU ein Grußwort zu sprechen - nur CSU-Chef Markus Söder sagte kurzfristig ab.

"Ein politisches Erdbeben erlebt"

Der Union gehe es drei Wochen nach der Wahl "beschissen", hatte Kuban gesagt, "wir haben ein politische Erdbeben erlebt, weil wir uns benommen haben wie ein Hühnerhaufen."

Auch Merz, zurzeit noch Vizepräsident des Wirtschaftsrats der CDU, findet markige Worte für die Niederlage seiner Partei: "Die Union ist mit diesem Wahlergebnis ein insolvenzgefährdeter schwerer politischer Sanierungsfall geworden." Er wolle sich daher nun mit der Frage beschäftigten: "Wie kommen wir da eigentlich wieder raus? Wir sollten die Frage beantworten, was können nur wir, was die anderen nicht können?"

Merz, der gemeinhin als guter Redner gilt, erreicht sein Publikum an diesem Abend nicht - minutenlangen Applaus wird er trotzdem bekommen. Doch diese Rede ist qualitativ weit von der entfernt, die er vor einiger Zeit als Bewerbungsrede vor der Sauerland-CDU hielt. Den Menschen in Deutschland, findet Merz, sei ein Thema noch wichtiger als der Klimawandel: soziale Gerechtigkeit. Es brauche neue soziale Sicherungssysteme für eine alternde Gesellschaft, so Merz. Er erinnert an einen Vorschlag, "den wir bereits 2003 auf einem Parteitag diskutiert haben". Erstaunlich finde er, dass die Erstwähler bei dieser Bundestagswahl vor allem FDP und Grüne wählten. "Offensichtlich ist der Begriff der Freiheit bei Grünen und FDP zurzeit besser aufgehoben als bei uns", sagt Merz. Daher müsse sich die Union noch mal neu erfinden. "Dass ist jetzt nicht die Zeit für Partys, das ist die Zeit für eine ernsthafte politische Auseinandersetzung - auch wenn da hinten schon die erste Flasche Bier kreist", mahnt Merz nach einem Blick ins Publikum. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland wird Merz später mit positiven Worten über das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP zitieren. Das Dokument sei "beachtlich", so Merz. "Das ist ein Anlass zum Respekt und zur kritischen Selbstüberprüfung: Das hätten wir auch haben können." Er äußerte sich damit in einem ganz anderen Tenor als Unionsfraktionschef Brinkhaus, der das Ampel-Papier inhaltlich deutlich kritisiert hatte.

Es komme natürlich darauf an, wer die Union in Zukunft führt, sagt Merz, doch es gehe nicht um eine Person, sondern um eine gute Führungsmannschaft: "Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen: " Junge Besen kehren gut, aber die alte Bürste kennt die Ecken."

Ein Delegierter fragt Merz im Anschluss: "Wie schaffen wir es, mehr junge Themen zu setzen und keine Altherrenpartei zu werden?" Merz überlegt, sagt dann: "Wir müssen interessant sein." Ob er erneut für den CDU-Vorsitz zur Verfügung stehen werde, fragt ein anderer Delegierter. Er habe sich noch nicht entschieden, antwortet Merz.

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