Süddeutsche Zeitung

Deutschlandtag der JU:Aufmarsch der Anwärter

Wie geht es in der CDU nach dem Debakel bei der Bundestagswahl weiter? Der Deutschlandtag der Jungen Union dürfte ein erster Stimmungstest werden.

Von Boris Herrmann

Von Tilman Kuban stammt die Ansage, kein Stein dürfe in der CDU mehr auf dem anderen bleiben. Der Chef der Jungen Union (JU) hat das im Lichte des Wahldebakels bei der Bundestagswahl gesagt und es klang wie der Aufruf zu einer Revolution. Knapp drei Wochen ist das jetzt her, in der Zwischenzeit hat sich zwar einiges getan bei CDU und CSU, aber nichts davon wirkt gemessen an der dramatischen Lage wirklich revolutionär.

Erstens hat CDU-Chef Armin Laschet das Experiment begonnen, über mehrere Wochen hinweg in Superzeitlupe zurückzutreten. Zweitens soll Ende Oktober von 330 Kreisvorsitzenden ein Stimmungsbild zum weiteren Prozedere der Neuaufstellung der Parteispitze eingeholt werden. Und drittens haben Präsidium und Bundesvorstand vereinbart, auf dem nächsten Parteitag geschlossen abzutreten, was aber nicht ausschließt, dass die meisten bisherigen Mitglieder sofort wieder antreten. Es wäre keine Überraschung, wenn am Ende doch einige Steinchen genau da blieben, wo sie sind.

An diesem Wochenende trifft sich die Junge Union zu ihrem Deutschlandtag in Münster - diesmal unter außergewöhnlich großer öffentlicher Anteilnahme. Es ist die erste große bundesweite Versammlung von CDU und CSU nach dem Wahldebakel vom 26. September und mithin eine gute Gelegenheit, die immer noch erstaunlichen Beharrungskräfte der beiden Parteispitzen ein wenig ins Wanken zu bringen. Aber selbst JU-Chef Kuban hat seine Umsturzrhetorik inzwischen deutlich entschärft.

Die Partei will sich nicht mehr zerlegen als unbedingt notwendig

Aus seiner Sicht soll der Deutschlandtag jetzt "ein Wochenende des Aufbruchs" werden und keineswegs eine große Abrechnung. "Selbstverständlich werden wir auch über das Wahlergebnis sprechen, aber wir schauen nach vorne und diskutieren Ideen zu der Frage, was die Union jetzt ändern muss", sagte Kuban der Rheinischen Post.

In einer der schwersten Krisen ihrer Geschichte hat sich die Partei offenbar fest vorgenommen, sich nicht mehr zu zerlegen als unbedingt notwendig. Gleichwohl kann man getrost ausschließen, dass das ursprünglich anvisierte Thema des Deutschlandtags, nämlich die Mobilität, die dreitägige Veranstaltung dominieren wird. Dafür sorgt allein die Rednerliste, die so prominent besetzt ist, dass sie selbst die Absage von CSU-Chef Markus Söder verkraften kann.

Der Auftritt des scheidenden CDU-Vorsitzenden und gescheiterten Kanzlerkandidaten Laschet ist für Samstag angekündigt. Bereits am Freitagabend wollte mit dem einstigen Fraktionschef Friedrich Merz der erste potenzielle Laschet-Nachfolgekandidat ans Mikrofon treten. Gesundheitsminister Jens Spahn sowie der Wirtschaftsunionschef Carsten Linnemann, die sich den Parteivorsitz wohl ebenfalls zutrauen würden, haben sich für Samstag angekündigt.

Deutlicher Ruf nach Mitbestimmung der Basis

Der vierte mutmaßliche Interessent, Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, will am Sonntag ein Grußwort halten. Und Norbert Röttgen, der fünfte Mann aus Nordrhein-Westfalen mit Ambitionen auf den CDU-Vorsitz, wird sich da vermutlich auch nicht nehmen lassen, der Parteijugend einen Besuch abzustatten.

Ein erster Stimmungstest dürfte dieser Deutschlandtag also in jedem Fall werden. Man wird die Applausminuten der Redner stoppen, jede noch so subtile Stichelei und jede Andeutung registrieren. Gleichwohl wären alle Anwärter auf den Parteivorsitz schlecht beraten, wenn sie am Wochenende allzu deutlich ihre Machtansprüche anmeldeten. Der Ruf nach mehr Mitbestimmung der Basis ertönt nirgendwo im Unionskosmos so deutlich wie in der JU, die seit Langem eine Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz fordert.

Mit der angekündigten Kreisvorsitzendenkonferenz für den 30. Oktober hat Laschet die Gemüter gerade auf ein Mindestmaß beruhigt. Es wäre der sichere Weg in die komplette Selbstzerfleischung der Partei, wenn sich bis dahin abzeichnen würde, dass die Basis zwar befragt wird, aber am Ende das Establishment die Machtfrage doch wieder unter sich ausmacht.

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