Junge Spitzenpolitiker:Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal...

Die Berufung junger Politiker wie Kristina Köhler in höchste Ministerämter fällt auf - aber neu ist das Phänomen nicht: Auch die Altstars haben früh angefangen.

Heribert Prantl

Das Grundgesetz, die letzte Instanz in allen Fragen des Staatslebens, hat nichts gegen junge und auch nichts gegen ganz junge Minister und Staatssekretäre. Nun ja, volljährig müssen sie sein - alles andere regelt der Markt: Wer jung ist, und nichts taugt, wird ziemlich schnell wieder aussortiert.

Köhler; AP

Schnelle Karriere macht nicht nur die neue Familienministerin Kristina Köhler, 32. Eine ihrer Vorgängerinnen im Amt wurde das Ministerium im Jahr 1994 anvertraut, als diese erst 28 war: Claudia Nolte.

(Foto: Foto: AP)

Claudia Nolte, "Kohls Mädchen", war 28, als sie Bundesfamilienministerin wurde, sie war das jüngste Mitglied einer Bundesregierung, das es je gab - und sie ist nach wenig ersprießlichen Jahren wieder in der Versenkung verschwunden; die Versenkung heißt Serbien. Dort ist Frau Nolte, die jetzt Crawford heißt, Leiterin der Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung. Kohls anderes "Mädchen" ist heute Bundeskanzlerin. Angela Merkel war mit 36 Jahren Ministerin für Frauen und Jugend geworden.

Die Ernennung junger Minister ist kein Phänomen der jüngsten Jahre. Franz Josef Strauß war, als er 1953 im Kabinett von Konrad Adenauer Minister für Sonderaufgaben wurde, genauso jung wie der heutige Verteidigungsminister im Kabinett Merkel: Baron zu Guttenberg ist 38. Und Rainer Barzel, später CDU-Chef und Fast-Kanzler, war auch so jung, als er 1962 Minister für Gesamtdeutsche Fragen wurde.

Helmut Kohl wurde mit 39 Ministerpräsident in Mainz. In solchen Spitzenpositionen zeigt sich ganz schnell, ob man "es" kann, meint der alte Heiner Geißler, der demnächst 80 wird. Was muss man können? Man braucht einen soliden Grundstock an Wissen und man muss reden können, sagt Geißler. Er selber war promovierter Jurist, und er war schon Amtsrichter, Regierungsrat und Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg gewesen, als er mit 37 Sozialminister in Rheinland-Pfalz wurde.

"Jetzt machen die schon die Lausbuben zum Minister", hat sein Stuttgarter CDU-Parteifreund Gerhard Weng gebrummelt, damals 51, der selbst übers Amt des Staatssekretärs nicht hinauskam und schließlich mit 64 Vizepräsident des Landtags wurde. Geißler spielte da längst in der politischen Bundesliga - und setzte auf Nachwuchstalente. Als Generalsekretär machte er die Parteizentrale zum Braintrust und holte sich ganz junge Wissenschaftler ins Haus: Leute wie Warnfried Dettling, Peter Radunski und Wulf Schönbohm, die dann jahrzehntelang im CDU-internen Reformprozess eine wichtige Rolle spielten. Als er Bundesfamilienminister war, machte Geißler den erst 33 Jahre alten Peter Hintze zum Bundesbeauftragten für den Zivildienst.

Als Andreas von Schoeler, später SPD-Oberbürgermeister von Frankfurt, im Jahr 1976 mit 28 Jahren FDP-Staatssekretär im Bundesinnenministerium unter Werner Maihofer wurde, nannte man ihn "Baby-Staatssekretär". Bei solchen Entscheidungen stöhnen altgediente Parteileute auf, weil sie selber schon lang auf einen so schönen Posten warten. Das heißt: Die so jungen Knaller bringen einerseits öffentliche Aufmerksamkeit, andererseits bringen sie erst einmal Unruhe in die Partei, weil sie die Erwartungen der Mittelalten enttäuschen.

Generalsekretäre sind traditionell jung. Friedrich Zimmermann, der spätere Bundesinnenminister, war 31, als er Mitte der fünfziger Jahre Generalsekretär der CSU wurde, Edmund Stoiber war es mit 37 und Hubertus Heil war 33, als ihn Matthias Platzeck zum SPD-Generalsekretär machte. Christian Lindner, der neue, seit kurzem 31-jährige Generalsekretär der FDP, ist also keine juvenile Attraktion. Es zählt, was herauskommt.

Für Bundespräsidenten gelten andere Regeln

Nur für den Bundespräsidenten schreibt das Grundgesetz ein Mindestalter vor: 40. In der Weimarer Reichsverfassung lag es noch bei 35 Jahren. Und die Leute, die über das Grundgesetz wachen und die Verfassung auslegen sollen, müssen auch mindestens 40 sein - die Richter am Bundesverfassungsgericht. Ansonsten genießen alle Bürger von 18 Jahren an (Ausnahme auf Landesebene in Hessen: 21) das passive Wahlrecht; sie können also ganz jugendlich in hohe und höchste politische Ämter gewählt oder berufen werden.

Bundeskanzler kann man theoretisch mit 18 werden. Bürgermeister allerdings nicht: In Baden-Württemberg muss man 25 sein. Und wenn Michael Adam, SPD, der mit 23 in Bodenmais im Bayerischen Wald zum Bürgermeister gewählt wurde, bayerischer Ministerpräsident werden wollte, müsste er noch lang warten. Dafür muss man laut bayerischer Verfassung 40 sein. Sehr kohärent sind diese Regeln also nicht. Sehr praxisrelevant allerdings auch nicht.

Von einem Mindestalter hält Heiner Geißler nichts. Er verlangt aber profunde Mindestkenntnisse: einen abgeschlossenen Beruf und wenigstens ein bisschen Praxis. Die Jungstars müssen nicht unbedingt so viel vorweisen können wie Kurt Biedenkopf, der, als er einst CDU-Generalsekretär wurde, schon erfolgreiche Jahre als Rektor der Ruhr-Universität Bochum hinter sich hatte. Aber Geißler sind die Leute mit der Karriere Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal suspekt, die Politiker also, die noch in der Ausbildung sind und studieren, wenn sie ins Parlament einrücken. Kristina Köhler, 32, die neue Bundesfamilienministerin, gehörte zu denen. Sie werkelte noch an der Uni in Mainz, als sie mit 25 Jahren in den Bundestag gewählt wurde.

Berufliche Erfahrung ist kein Garant für politischen Erfolg

Die großen politischen Alten von heute waren damals, als sie vor mehr als vierzig Jahren die ganz Jungen waren, um etliches erfahrener: Lothar Späth war, als er mit Mitte dreißig zunächst CDU-Fraktionschef und dann Innenminister in Baden-Württemberg wurde, schon Bürgermeister in Bietigheim und Geschäftsführer der Neuen Heimat in Stuttgart gewesen.

Ähnlich Erwin Teufel: Der war, als er in die Landesregierung eintrat, schon acht Jahre lang Bürgermeister von Spaichingen gewesen, und das war er, als damals jüngster Bürgermeister in Deutschland, mit 25 Jahren geworden. Bernhard Vogel, später CDU-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, wurde mit 35 Kultusminister in Rheinland-Pfalz, zuvor war er Wissenschaftler in Heidelberg. Und sein Bruder Hans Jochen, der spätere SPD-Chef, wurde mit 34 Münchner Oberbürgermeister; er war zuvor immerhin ein paar Jahre Regierungs- und Amtsgerichtsrat gewesen.

Eine Garantie für politischen Erfolg ist aber berufliche Erfahrung auch nicht. Ginge es danach, dann hätte aus Ursula Lehr eine ganz Große werden müssen. Sie wurde als eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Altersforschung 1988 von Kohl zur Familienministerin berufen. Sie war 58 und brachte politisch keinen Fuß auf die Erde. Politik ist eben mehr als Sachkunde. Aber ohne Sachkunde geht es halt auch nicht. Wenn die komplett fehlt, ist die Berufung eines Jungstars Gaukelei - und eine Missachtung des Ministeriums.

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