Süddeutsche Zeitung

Junge Italiener über die Wahl:"Wir hatten keine Wahl, wir haben keine Hoffnungen"

Groß geworden unter Berlusconi, leiden sie nun: Viele junge Italiener machen sich keine Illusionen. Wem haben sie ihre Stimme gegeben? Was muss sich ändern?

Protokolle einer Generation. Von Nakissa Salavati

Italien ist blockiert - nicht zum ersten Mal. Nach der Parlamentswahl droht dem Land eine zähle Regierungsbildung, sogar Neuwahlen sind möglich. Für die junge Generation von Italienern ist das keine gute Nachricht - sie können nicht länger auf den Aufschwung warten: 37 Prozent aller Italiener unter 25 haben keine Arbeit.

Wie bewerten junge Menschen in Italien das Wahlergebnis? Wem haben junge Italiener ihre Stimme gegeben - und warum? Haben sie noch Hoffnung in die Politik? Süddeutsche.de hat sie gefragt.

Alessandro Zeverino, 25, Pressesprecher, Rom: "Das Wahlergebnis ist nicht gut für Italiens Zukunft. Berlusconi ist immer noch einer der beliebtesten Politiker und der geringe Stimmenabstand zwischen den vorderen Parteien macht das Regieren unmöglich. Einige meiner Freunde haben geweint, als die ersten Hochrechnungen bekanntgegeben wurden. Sie haben eigentlich alle Bersanis Partito Democratico (PD) gewählt, wie ich. Ich kenne nicht einen, der in den vergangenen zwei Monaten verkündet hat, Berlusconi wählen zu wollen. Dennoch hat er mehr als 25 Prozent der Stimmen bekommen - offenbar trauen sich diejenigen, die ihn gewählt haben, nicht, es zuzugeben."

Alessandro Pirchio, 27, Musikstudent, Rom: "Ich habe die PD gewählt, weil ich einen ernsthaften Wechsel in der Politik und der Art will, wie in Italien Politik gemacht wird. Wir brauchen endlich eine Regierung, die es schafft, Italien aus der Krise zu holen und beginnt, das Land wieder vorwärts zu bringen, indem sie endlich die Probleme der Jugend angeht - vor allem die hohe Arbeitslosigkeit."

Alessandro Giontella, 23, Architekturstudent, gerade Erasmus-Teilnehmer in Wien: "Ich bin zum Wählen nach Hause nach Terni in Umbrien gefahren. Nach 20 Jahren Berlusconismus hoffe ich auf einen Wandel, der Italien zu einem modernen Land macht - gerade was soziale Fragen angeht wie Arbeit und Umwelt. Ich hätte die Protestbewegung Fünf Sterne gewählt, aber ich wollte Beppe Grillo nicht unterstützen mit seinem Geschrei, seinem Populismus. Wir hatten 20 Jahre eine One-man-Show, basta, es reicht! Deswegen habe ich die PD gewählt."

Beniamino d'Amore, 29, Arbeitsberater, Neapel: "Ich bin wütend, weil Berlusconi die Mehrheit in einer der beiden Kammern des Parlaments erhalten hat. Wahrscheinlich werden wir in ein paar Monaten noch einmal wählen müssen. Ich glaube, die Italiener werden nie aus ihren Fehlern lernen! Ich habe die linke Umweltpartei Sinistra, Ecologia e Libertà (SEL) gewählt, weil ich noch an Werte wie Solidarität, die Umverteilung des Einkommens und die Rechte der Arbeiter glaube. Viele meiner Freunde haben die Bewegung Fünf Sterne gewählt. Ich wollte auch dafür stimmen, habe meine Stimme dann aber doch der SEL gegeben, um Berlusconi am Sieg zu hindern - vergeblich, wie es scheint!"

Paolo di Rico, 30, Ingenieur, lebt in Düsseldorf: "Ich habe die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) mit der Kandidatin Giorgia Meloni gewählt. Sie ist zwar erst 36 Jahre alt, hat aber bereits politische Erfahrung: Zuvor war sie in Berlusconis Partei PdL (Volk der Freiheit). Sie hat gute Pläne gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Die Politik muss Arme und Familien unterstützen. Die aktuelle, miese Situation haben unsere Ministerpräsidenten zu verantworten: Prodi, Berlusconi und der korrupteste von allen: Monti. Ihnen ist Italien egal, wenn sie in Europa über globale Probleme verhandeln. Gefährlich ist Beppe Grillo: Keiner weiß, wer ihn wirklich stützt. Er nutzt die Wut und Enttäuschung des italienischen Volks, um Stimmen zu gewinnen. Wahrscheinlich müssen wir bald wieder wählen. In der Zwischenzeit wird sich alles verschlimmern."

Lorenzo Maccarone, 32, Ingenieur, Turin: "Ich habe nicht gewählt - und das tut mir sehr leid. Ich hätte zum Wählen nach Sizilien fahren müssen, das konnte ich mir nicht leisten. Sonst hätte ich meine Stimme Beppe Grillos Bewegung Fünf Sterne gegeben. Ich hoffe, dass er unter Bersani eine echte Opposition stellt, die konstruktiv arbeitet. Wählen ist ein Recht und eine Pflicht. Ich verstehe nicht, warum man nicht wie anderswo in Europa ohne Schwierigkeiten per Post oder Mail wählen kann. Mein Traum ist, dass Berlusconi ein für allemal aus der politischen Szene verschwindet."

Manuela Iorio, 25, Architektin, Rom: "Berlusconi war für mich keine Option, das muss ich wohl niemandem erklären. Ausgeschlossen habe ich auch die Protestbewegung Fünf Sterne, weil ich Grillo nicht vertraue: Er verschließt sich jeder wirklichen Debatte, mit seinem Geschrei trägt er nicht der Krise Rechnung, sondern hat schlichtweg die Stimmen derer gesammelt, die von der Politik enttäuscht sind. Trotzdem haben ihn viele frühere Berlusconi-Wähler und auch Linke gewählt. Ich habe mich für die PD entschieden. Ich hoffe nun, dass die Linke endlich aktiv wird und wir in dieser schwierigen Zeit ein stabiles Land werden. Wenn sich diesmal in der Politik nichts ändert, war es wahrscheinlich das letzte Mal, dass ich wählen war."

Lorenzo Marini, 27, Trainee bei der Europäischen Kommission, lebt in Spanien und London: "Ich habe die Umweltpartei SEL gewählt, weil ich ein Mitte-links-Bündnis am vernünftigsten für Italien finde. Ich hoffe auf Stabilität und will, dass Werte wie Umwelt und Bürgerrechte wieder zurück in unsere Gesellschaft finden, sie wurden während der Krise vergessen. Außerdem hoffe ich, dass eine neue Regierung gute Beziehungen zu Europa pflegt. Die SEL könnte in einem Mitte-links-Bündnis diesen Schwerpunkt vertreten. Ich kenne niemanden, der rechts gewählt hat - aber ich habe Freunde, die sich für die Bewegung Fünf Sterne oder für das linke Bündnis Rivoluzione Civile entschieden haben."

Roberta R., 27, Architektin, lebt in München: "Ich konnte nicht wählen, weil ich dafür nach Palermo hätte fahren müssen. Aber eigentlich gab es niemanden, für den es sich wirklich gelohnt hat, wählen zu gehen. Wir hatten keine Wahl, wir haben keine Hoffnungen. Aber man konnte ein Signal setzen und nicht die alte Scheinpolitik wählen, die bewiesen hat, wie unehrlich sie ist."

Tommaso Capolicchio, 40, Drehbuchautor, Rom: "Ich habe für Beppe Grillo und seine Bewegung Fünf Sterne gestimmt. Sie hat die Linken gespalten, ich habe viele Diskussionen mit Freunden geführt, die noch immer die PD unterstützen. Selbst manche linke Medien haben gegen Grillo gewettert. Um Stimmen zu gewinnen, hat die PD die Angst vor Berlusconi geschürt, sodass sich mögliche Grillo-Wähler für eine mehrheitsfähigere PD entschieden haben."

Mitarbeit: Elisa Britzelmeier

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