Süddeutsche Zeitung

Junckers Grundsatzrede:"Europa ist keine Festung und darf nie eine werden"

  • Vor dem Europaparlament in Straßburg skizzierte Juncker wie jeden Herbst seine Vorschläge für eine stärkere EU.
  • Der EU-Kommissionspräsident will den Euro allen Mitgliedsstaaten ermöglichen und den Schengen-Raum ausdehnen.
  • Flüchtlingen soll die EU weiter offen stehen.

Von Leila Al-Serori

Bis spät in die Nacht tüftelte Jean-Claude Juncker in einem Hotelzimmer an seiner großen Grundsatzrede. So erzählt es der Flurfunk an diesem Mittwoch in Straßburg. Tatsächlich ist es ein wichtiger Tag für den Kommissionspräsidenten: Vor dem Europäischen Parlament in Straßburg skizziert Juncker wie jeden Herbst seine Visionen, seine Vorschläge für eine stärkere EU. Aber diesmal solle es eine Rede für Europa, ja, für die ganze Welt werden, verkündete sein Chef-Pressesprecher im Vorfeld. Nachdem die EU im vergangenen Jahr brexit- und rechtspopulistengebeutelt schon totgesagt wurde, erwartete man seinen Vortrag mit besonderer Spannung.

Vor einem Jahr noch wirkte Juncker resigniert, er attestierte der EU eine "existenzielle Krise". Davon ist diesmal wenig zu spüren: Der Kommissionspräsident strahlt Tatendrang und Zuversicht aus - und müht sich, eine klare Linie für Reformen vorzugeben. Der Ausstieg Großbritanniens ist auch diesmal ein wichtiger Teil seiner Rede: "Brexit ist nicht die Zukunft Europas", rief er den Parlamentariern zu. Und in Richtung des im Plenum sitzenden Nigel Farage, einer der führenden Brexit-Kämpfer, sagt Juncker: "Sie werden es bereuen."

Nach den Rückschlägen oder vielleicht gerade deshalb ist die EU Juncker zufolge eine starke Solidargemeinschaft, die ihre Werte zu verteidigen hat: Freiheit, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit. Er selbst, so erzählt Juncker, habe sein Leben lang das europäische Projekt gelebt, schlechte und gute Zeiten erlebt. Manchmal sei er an Europa auch verzweifelt: "Aber es gibt eben keine Liebe ohne Enttäuschung."

"Euro soll Kontinent einen und nicht spalten"

Um die Union zu stärken, listet Juncker eine Menge Pläne auf. Viel diskutiert werden wird wohl sein Plan, tatsächliche Gleichberechtigung in der EU einzuführen. Dafür sollen alle EU-Staaten dem Schengen-Raum nach Prüfung beitreten können. Zum Beispiel zu Rumänien und Bulgarien würden dann die Grenzkontrollen entfallen. Auch der Euro soll nicht mehr nur einigen Staaten als Währung dienen, sondern den "Kontinent einen und nicht spalten", sagt Juncker. Derzeit zahlen nur 19 der 28 EU-Staaten mit der Gemeinschaftswährung.

Im Bereich der Zuwanderung verweist Juncker vor allem auf schon Erreichtes: Die Außengrenzen seien nun wirksamer geschützt, der Zustrom an Flüchtlingen eingedämmt, nicht zuletzt durch den Deal mit der Türkei. Dennoch gebe es noch viel zu tun, vor allem in Griechenland und Libyen. Italien lobt Juncker für die "Hartnäckigkeit und Großzügigkeit" gegenüber den vielen ankommenden Migranten: "Im Mittelmeer rettet Italien Europas Ehre."

Flüchtlingen soll die EU weiter offen stehen, so Juncker. Dafür will er auch legale Migrationswege schaffen. "Europa ist keine Festung und darf auch nie eine werden." Diejenigen, die kein Recht auf Asyl haben, will der Kommissionspräsident aber konsequenter als bisher zurückführen lassen. Nur so könne Europa denen helfen, die wirklich Schutz benötigen. Zustimmender Applaus der Abgeordneten.

An die Türkei: "Lassen Sie unsere Journalisten frei!"

Eine Türkei-Mitgliedschaft unter den jetzigen Voraussetzungen schließt er aus. "Lassen Sie unsere Journalisten frei!", ruft er in Richtung der türkischen Regierung.

Auf Junckers Agenda stehen auch die Stärkung der Industrie und der Handelsprogramme. Kritikern verspricht er, dass man nicht blauäugig für den Freihandel sei, sondern künftig transparenter und genauer prüfen wolle. Entsetzt zeigt er sich über die Dieselaffäre - Kunden dürften in der EU nicht bewusst getäuscht werden. Vielmehr solle die europäische Kraftfahrzeugindustrie in saubere Autos von morgen investieren. Der Klimawandel sei ebenso oberste Priorität wie der Kampf für Datenschutz im Internet und gegen Cyberangriffe. Letztere stuft Juncker als "gefährlicher als Panzer für die Stabilität unserer Demokratie" ein.

Auch für sein eigenes Amt präsentiert Juncker weitreichende Pläne: Es soll künftig nur noch ein Präsidentenamt geben. Der Ratspräsident würde dann im Amt des Kommissionspräsidenten aufgehen, so Juncker. Er selbst habe auf diesen Posten aber keine Ambitionen. 2019 will Juncker als Präsident der Europäischen Kommission aufhören.

Die ganze Rede können Sie hier nachlesen.

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