Süddeutsche Zeitung

Juncker als Kommissionspräsident vorgesehen:Endlich am Ziel

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Der Widerstand der Briten war groß, trotzdem haben Europas Staatenlenker Jean-Claude Juncker als Chef der EU-Kommission nominiert. Er war Spitzenkandidat der Konservativen bei der Europawahl und mischt seit 20 Jahren auf EU-Ebene mit. Trotzdem werden die Zweifler nicht verstummen.

Von Matthias Kolb

112 Tage musste Jean-Claude Juncker warten, wahlkämpfen und bangen. Nun hat er es geschafft: Die 28 Staats- und Regierungschefs der EU haben den 59-Jährigen als neuen Chef der EU-Kommission nominiert. Gegen Luxemburgs ehemaligen Premier votierten nur der Brite David Cameron und der Ungar Viktor Orbàn.

Juncker war am 7. März in Dublin zum Spitzenkandidaten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) gekürt worden. Damals hatte sich nach längerem Zögern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel für Juncker ausgesprochen - sie wollte Martin Schulz, dem eloquenten Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten, einen deutschsprachigen Gegner für die TV-Duelle entgegenstellen. Hier war Juncker der Richtige: Er argumentierte fließend auf Deutsch, Englisch und Französisch. Wochenlang tourte der Luxemburger mit seinem blauen "Juncker for President"-Bus durch Europa und kokettierte in einem Interview: "Ich komme mir vor wie Obama."

Als alle Stimmen bei der Europawahl ausgezählt waren und die EVP als stärkste Kraft feststand, begann das Gerangel um die wichtigen Posten. Die Europaabgeordneten der Liberalen und Sozialdemokraten sprachen sich ebenso wie die EVP-Parlamentarier für Juncker als Chef der Kommission aus und setzten damit vor allem die Bundeskanzlerin unter Druck. Sie sollte sich noch eindeutiger für den Luxemburger aussprechen - was sie auch tat. Denn nach Überzeugung des EU-Parlaments muss der Lissabon-Vertrag so interpretiert werden, dass der Spitzenkandidat der stärksten Parteifamilie künftig der EU-Kommission vorsteht ( Hintergründe hier) - andere sehen dies als "Coup des Parlaments".

Ähnlich argumentiert auch David Cameron, der wochenlang erbittert gegen die Nominierung von Jean-Claude Juncker kämpfte. In Großbritannien habe kein Bürger über die Spitzenkandidaten debattiert - auch deshalb unterstützen alle Parteien auf der Insel Camerons Haltung. Beim EU-Gipfel wiederholte er mantraartig: "Es ist nicht richtig, dass die gewählten Regierungschefs der europäischen Länder ihr Recht aufgeben, den Präsidenten der Europäischen Kommission zu nominieren, das wichtigste Amt in Europa." Er unkte in einem Tweet, seine Kollegen könnten ihr "Ja" für Juncker noch bereuen.

David Cameron hält Juncker für die "falsche Person"

Doch der britische Premier attackiert den Luxemburger auch persönlich: "Jean-Claude Juncker ist die falsche Person." Für Cameron, den die EU-Gegner von Nigel Farages Ukip unter Druck setzen, verkörpert Juncker das alte Europa. Das Europa, wo keine echten Reformen angepackt, in Hinterzimmern Kompromisse geschmiedet werden und Bürokraten daran arbeiten, der EU mehr Kompetenzen zuzusprechen.

Cameron und die Briten stört genau die jahrzehntelange Erfahrung, welche die Unterstützer des Luxemburgers betonen. Juncker wurde bereits mit 28 Jahren Staatssekretär, zwei Jahre später stieg er zum Minister auf - und 1985 leitete er seine erste Ratssitzung in Brüssel als Außenminister. Mit 40 Jahren, im Januar 1995, war der studierte Jurist vorläufig am Ziel: Der Konservative wurde Premierminister des Großherzogtums. Der Euro-Begründer blieb dies bis zum Herbst 2013, als er über eine Geheimdienstaffäre stolperte. Danach ließ er sich von vier Agenturen als gutbezahlter Redner vermitteln, wie die SZ jüngst berichtete.

Camerons ungewöhnlich harscher Widerstand führte dazu, dass sich die britische Presse auf den Luxemburger einschoss. Juncker beschwerte sich über Journalisten, die in Bäumen saßen und sein Haus beobachteten. Immer wieder wurde der Lebensstil des kinderlosen Polit-Junkies infrage gestellt, erst am Freitagmorgen berichtete eine große britische Zeitung von angeblichen Sorgen im Kreis der EU-Lenker über Junckers Alkoholkonsum.

Michael Spreng, einst Chef der Bild am Sonntag und heute Politikberater, hält die Ereignisse der letzten Wochen für eine "miese Kampagne" gegen den Luxemburger Ex-Premier. Allerdings gibt es auch unter den europäischen Staats- und Regierungschefs, die für Juncker votierten, nur wenige glühende Befürworter.

Der 59-Jährige steht - wenn er im EU-Parlament am 16. Juli eine Mehrheit erhält - bald einer großen, einflussreichen Behörde vor, gilt aber bisher nicht als exzellenter Manager und Organisator. Oft ist in Brüssel zu hören, dass Junckers Erfahrung, Naturell und Vielsprachigkeit ihn zu einem guten EU-Ratspräsidenten machen würden - das Amt von Herman Van Rompuy besteht vor allem darin, Kompromisse zwischen den 28 Staaten, der Kommission und dem Parlament zu schmieden.

Doch Jean-Claude Juncker ist sich in den 16 Wochen seit seiner Nominierung in Dublin treu geblieben und hat sich diesem Kompromiss - Verzicht auf Kommissionsvorsitz, stattdessen EU-Ratspräsident - verweigert. Der Luxemburger scheint fest entschlossen, David Cameron und seinen anderen Kritikern beweisen zu wollen, dass er der richtige Mann ist, um die EU-Kommission bis 2019 zu führen.

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