Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus:"Der Verweis auf Muslime ist Ablenkung"

Bloggerin Juna ‏Grossmann über die wachsende Zahl der Anfeindungen gegenüber Juden, einen "Hass"-Spruch von AfD-Chef Gauland und Anstand.

Interview von Oliver Das Gupta, Berlin

Juna Grossmann, Jahrgang 1977, ist in Ost-Berlin geboren und in regimekritischen Künstlerkreisen aufgewachsen. Seit 2008 bloggt Grossmann unter irgendwiejuedisch.com über ihre Erinnerungen an die DDR-Zeit, über sehenswerte Ausstellungen und über ihr Leben als liberale Jüdin. Ein Teil ihrer Blog-Beiträge ist in ihr Buch "Schonzeit vorbei" eingeflossen, das vor Kurzem erschienen ist - es ist der Teil, der von wachsendem Antisemitismus handelt.

SZ: In Ihrem Buch schildern Sie, wie Sie und Ihre christlichen Mitschüler in der DDR-Zeit diskriminiert wurden. Im Studium wandte sich eine Freundin barsch ab, als sie merkte, dass Sie gläubig sind. Und nach den Anschlägen vom 11. September sagte einer Ihrer Kollegen: "Das waren doch die Juden." Wer Ihr Buch liest, stellt sich die Frage: Wann gab es tatsächlich eine Schonzeit für Juden in Deutschland?

Juna Grossmann: Der Titel hat eine doppelte Bedeutung. Einerseits ist es eine Aufforderung an Juden, nicht mehr still zu sein. Aber das gilt natürlich genauso für all die anderen Menschen, die herabgesetzt und benachteiligt werden wegen ihrer Religion, ihres Aussehens, ihres Namens oder weil sie als irgendwie anders als die Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden. Es funktioniert nicht, zu schweigen und darauf zu hoffen, dass es besser wird. Man muss klipp und klar sagen, wie Alltagsdiskriminierung in Deutschland aussieht.

Und die andere Bedeutung der "Schonzeit"?

Damit meine ich die "Schonzeit" für Juden - zumindest empfinde ich es so. Für mich wurde es etappenweise schlimmer, vor allem nach den antisemitischen Äußerungen der FDP-Politiker Jürgen Möllemann und Jamal Karsli im Jahr 2002. Möllemann war ein Meilenstein der Enthemmung.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Möllemann warb damals im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf mit einer millionenfach verbreiteten Broschüre, die klar antisemitisch intoniert war. Karsli wechselte mit Hilfe von Möllemann von den Grünen zur FDP. Dann suggerierte er in der Rechts-Postille "Junge Freiheit", die "zionistische Lobby" hätte weltweilt immensen Einfluss in Medien und Politik.

Der Duktus und die Tonlage änderten sich damals schlagartig zum Negativen. Viele Menschen mit antisemitischen Ressentiments hatten damals das Gefühl: Jetzt dürfen wir endlich Dinge aussprechen, die vorher verboten waren. Das stimmt zwar nicht, es gab kein Verbot. Es war bis dahin einfach eine Frage des Anstands, dass man Vorurteile nicht offen ausspricht.

"Hass ist nicht strafbar", hat AfD-Chef Alexander Gauland vor wenigen Tagen im Bundestag gesagt, mit Blick auf die rechtsextremen Aufmärsche in Chemnitz und Köthen. Gauland meinte damit den Hass auf die Kanzlerin und die politischen Kräfte, die die AfD "Systemparteien" nennt. Was halten Sie Gauland entgegen?

Es geht nicht darum, ob Hassen bestraft wird. Hass ist destruktiv und hat in einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen. Ich persönlich kenne Abneigungen, aber es ist mir unverständlich, wie sich Menschen von diesem zerstörerischen Gefühl bemächtigen lassen. Wie kommen Menschen nur dazu, eine Gruppe anderer Menschen pauschal zu hassen? Das ist unlogisch und unanständig. Und es ist eine Gefahr, wenn Leute wie Gauland so tun, dass man in der Gesellschaft solchen Hass hinnehmen müsse, wenn er nicht verboten ist.

Welche Gefahr meinen Sie?

Wenn wir dieser Argumentation folgen, müsste alles gesetzlich geregelt werden, weil moralisch-ethische Normen nicht mehr ausreichen, dass die Bürger mit ihrer Meinungsfreiheit verantwortungsvoll umgehen. Eine solche Entwicklung aber wäre der Weg in eine Gesellschaft, in der die Menschen keine Freiheit haben, weil das Leben durch Gesetze vollends geregelt ist. Freiheit kann man nur behalten, wenn man anständig ist. Und Kern dieses Anstandes ist es, die Würde aller Menschen zu achten. Genau deshalb steht es auch zu Recht in Artikel 1 unseres Grundgesetzes.

Es gibt Widerstand gegen die Verlotterung des politischen Diskurses, inzwischen gibt es immer wieder Demonstrationen gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - aber so richtig groß ist der Protest selten. Warum ist es so schwer, die Menschen zu mobilisieren?

Es ist leider so, dass viele Menschen sich eher raushalten, solange es sie nicht persönlich betrifft. Engagement ist anstrengend und aufwendig, es kostet oft Nerven. Diese Muster gab es in Deutschland schon oft.

Sie spielen auf die Nazi-Zeit an?

Wir müssen gar nicht so weit zurückgehen, da reicht auch ein Rückblick auf die DDR. Bis heute bekomme ich gesagt: Wenn deine regimekritische Mutter still geblieben wäre, dann wäre euch ja nichts passiert. Zum Glück blieb meine Mutter nicht still und viele andere auch nicht, sonst wäre die Mauer nicht gefallen. Und das erwarte ich heute auch von meinen Mitbürgern: Dass sie den Mund aufmachen, wenn jemand Gehässigkeiten verbreitet.

Die AfD sagt, der Antisemitismus unter deutschen Muslimen sei inzwischen viel schlimmer als die Judenfeindlichkeit, die es schon vorher in diesem Land gab. Teilen Sie diesen Eindruck?

Antisemitismus gibt es links wie rechts, er existiert in allen Parteien und natürlich auch unter muslimischen Zuwanderern. Der Verweis auf die Muslime ist nur ein Mittel, um abzulenken - davon darf man sich nicht täuschen lassen. Wenn die AfD oder die FPÖ in Österreich so tun, als ob sie die besonderen Garanten für das Judentum in Deutschland wären, dann muss ich sofort ans religiöse Schächten denken: Die AfD will es verbieten, in Niederösterreich plante ein FPÖ-Landesminister, Juden zu registrieren, wenn sie koscheres Fleisch kaufen wollen. Solche Vorstöße lösen bei uns Beklemmung aus, aber auch, dass sich die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft so selten unaufgefordert für jüdisches Leben einsetzt. Vor ein paar Jahren war es für mich undenkbar, mein Land zu verlassen. Heute ist es bei mir normal, daran zu denken. Und die meisten anderen Juden, mit denen ich spreche, haben es auch im Hinterkopf.

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