Julian Assange vor Gericht:"Verstoß gegen ein ordentliches Verfahren"

Auslieferungsverfahren: Am zweiten Tag der Verhandlungen gewinnt man den Eindruck, nicht der Wikileaks-Chef stehe vor einem Londoner Gericht, sondern Schwedens Justiz.

Inga Rahmsdorf

Am zweiten Tag der Verhandlungen gegen den Wikileaks-Chef Julian Assange vor dem Belmarsh Magistrates' Court im Londoner Südosten hat dessen Verteidigung einen ihrer stärksten Zeugen auftreten lassen.

Julian Assange vor Gericht: Wikileaks-Chef Julian Assange trifft am Dienstagmorgen mit seinen Verteidigern vor dem Belmarsh Magistrates' Court im Südosten von London ein.

Wikileaks-Chef Julian Assange trifft am Dienstagmorgen mit seinen Verteidigern vor dem Belmarsh Magistrates' Court im Südosten von London ein.

(Foto: AFP)

Der ehemalige schwedische Oberstaatsanwalt Sven-Erik Alhem hat bereits im Vorfeld die schwedische Justiz kritisiert: Die zuständige schwedische Staatsanwältin Marianne Ny habe den Namen des Australiers zu Beginn der Ermittlungen an die Presse weitergeben. Das verstoße "vollkommen gegen ein ordentliches Verfahren", sagte Alhem. Es gebe außerdem überhaupt keine Gründe, warum Assange nicht in Großbritannien von schwedischen Beamten verhört werden könne.

Gegen den 39-jährigen Australier wird wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung ermittelt. Deswegen droht ihm die Auslieferung nach Schweden - und von dort möglicherweise in die USA.

Wie die BBC berichtet, habe Staatsanwältin Ny gegen Alhems Vorwürfe eingewandt, sie habe im September mehrmals versucht, Assange zur Vernehmung einzuladen, aber seine Anwälte hätten ihn nicht kontaktieren können. Bei der Suche nach ihm hätten Beamte dann erfahren, dass er nach Großbritannien gereist sei. Im Oktober habe man ihm auch angeboten, per Telefon oder Videokonferenz angehört zu werden - doch auch das habe Assange abgelehnt.

Die Staatsanwältin am Londoner Gericht, Clare Montgomery, fragte den Zeugen Alhem, ob er einen Europäischen Haftbefehl erlassen würde, wenn er an ihrer Stelle wäre. Alhem antwortete, er hätte Assange von Beginn an festgenommen und ihn in Großbritannien von schwedischen Polizeibeamten vernehmen lassen.

Die Verteidiger des Wikileaks-Chefs sind der Auffassung, dass Assange kein faires Verfahren erwartet, wenn er nach Schweden ausgeliefert wird. Sie befürchten außerdem, dass ihm in Schweden wiederum die Auslieferung in die USA droht. Einer von Assanges Anwälten, Geoffrey Robertson, hatte am Montag erklärt, sein Mandant schwebe in Lebensgefahr, weil ihm in den USA die Todesstrafe drohe. Assange betrachtet die Vorwürfe Schwedens als Teil eines Komplotts.

Darüber hinaus argumentieren die Anwälte, dass die vorgeworfenen Taten nicht die Mindestanforderungen für eine Auslieferung erfüllten, da es sich um minderschwere Delikte handele. Für einen Europäischen Haftbefehl sei eine Anklage in Schweden notwendig - die gebe es aber nicht.

Auch viele britische Juristen betrachten besorgt das Verfahren. Der Kampf um die Auslieferung des Wikileaks-Chefs sei ein Beispiel für die häufig schnelle und unfaire Praxis des Europäischen Haftbefehls, schreibt Jago Russell, Präsident der Menschenrechtsorganisation Fair Trials International in der britischen Zeitung Guardian. Dieser Fall sei nur die Spitze des Eisbergs. Allein 2009 habe Großbritannien etwa 700 Menschen mit Hilfe dieser beschleunigten Auslieferungsprozesse ausgeliefert.

Die schwedische Staatsanwältin Ny dagegen ist überzeugt davon, dass der von ihr ausgestellte Europäische Haftbefehl die Auslieferung des Australiers nach Schweden erzwinge.

Julian Assange hatte im August in Schweden mit zwei Frauen Sex - mit deren Einverständnis. Eine der beiden Frauen wirft Assange aber vor, sie anschließend, als sie schlief, vergewaltigt zu haben. Die andere Zeugin wirft ihm vor, das beim Sex benutzte Kondom absichtlich aufgerissen zu haben. Außerdem habe er sich vier Tage später "vor ihr entblößt und sich an ihr gerieben". Die schwedische Staatsanwaltschaft sieht darin eine vorsätzliche Belästigung, die in Schweden als Vergewaltigung gilt. Assange weist die Vorwürfe zurück.

Der Australier polarisiert seit Monaten die internationale Öffentlichkeit. Seine Anhänger feiern den Wikileaks-Chef als Verteidiger der Meinungsfreiheit. Seine Kritiker werfen ihm Spionage und Terrorismus vor. In Großbritannien steht er derzeit unter Hausarrest. Wikileaks hatte im vergangenen Jahr geheime US-Unterlagen zu den Einsätzen in Afghanistan und im Irak sowie Depeschen der US-Diplomatie im Internet veröffentlicht. Gegen den Chef der Enthüllungs-Webseite ermitteln die US-Behörden offenbar wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: