Julian Assange: Vergewaltigungsvorwürfe:Das Nachspiel einer Bettgeschichte

Er will vor "Sex-Fallen" gewarnt worden sein - und ist doch in eine getappt. So sieht das jedenfalls Julian Assange selbst. Das zu beweisen, dürfte dem wegen Vergewaltigung verhafteten Wikileaks-Gründer jedoch schwerfallen.

Gunnar Herrmann, Stockholm

Es hat in den vergangenen Tagen und Wochen viele Versuche gegeben, Julian Assange als Verbrecher darzustellen. Der Wikileaks-Gründer habe sich des Verrats und der Spionage schuldig gemacht, meinten einige. Andere halten ihn gar für einen Terroristen, der "Blut an den Händen hat", wie es die US-Politikerin Sarah Palin kürzlich formulierte.

File photo of Julian Assange in London

Weist die Vergewaltigungsvorwürfe von sich: Wikileaks-Gründer Julian Assange.

(Foto: REUTERS)

Im Vergleich zu solchen Anschuldigungen sind die Vorwürfe, die nun zur Festnahme von Assange in London führten, sehr intimer Natur. Die britische Polizei verhaftete den 39-jährigen Australier am Dienstag, weil gegen ihn in Schweden wegen Vergewaltigung, Nötigung und sexueller Belästigung ermittelt wird.

Die schwedische Affäre - Teil einer US-Verschwörung?

Diese Vorwürfe haben mit den vieldiskutierten Enthüllungen von Wikileaks eigentlich nichts zu tun. Unterstützer der Webseite vermuten aber, dass die schwedische Affäre Teil einer von den USA gesteuerten Verschwörung ist.

Julian Assange, der alle Vergewaltigungs-Vorwürfe bestreitet, hat diese Konspirationstheorien selbst genährt. Kurz nach Bekanntwerden der Verdächtigungen Ende August sagte er einmal der Zeitung Aftonbladet, er sei vor "schmutzigen Tricks" des Pentagon, insbesondere vor "Sex-Fallen", gewarnt worden.

Allerdings nahm der Wikileaks-Gründer solche Hinweise, sollte es sie wirklich gegeben haben, offenbar nicht besonders ernst. Jedenfalls ist unbestritten, dass er bei einem Stockholm-Besuch Mitte August binnen weniger Tage Sex mit zwei Frauen hatte, die er kaum kannte. Auf die Aussage dieser beiden Schwedinnen stützt sich nun der Verdacht der Staatsanwältin.

Inkonsequenz der Justiz

Was genau in den fraglichen Sommernächten geschehen sein soll, verschweigen die Behörden mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen. Bekannt ist, dass es in beiden Fällen erst freiwillig zum Geschlechtsverkehr kam. Dann aber soll Assange gegen den Willen seiner Partnerinnen ungeschützten Sex erzwungen haben. Als die beiden Frauen später feststellten, dass sie ähnlich schlechte Erfahrungen mit Assange gemacht hatten, gingen sie zur Polizei. Zunächst taten sie es angeblich nur, um zu fragen, ob man den Wikileaks-Chef zu einem Aids-Test zwingen könnte. Aber dann entwickelte die Sache eine Eigendynamik.

Man muss dazu wissen, dass in der schwedischen Öffentlichkeit seit Jahren sehr intensiv über häusliche Gewalt und einen besseren Schutz von Frauen gegen männliche Übergriffe debattiert wird. Die Gesetze sind streng, und Behörden sind für diese Art von Vergehen besonders stark sensibilisiert.

Die Staatsanwaltschaft schaltete sich also in den Fall ein. Jedoch handelte sie nicht sehr konsequent. In Stockholm wurde zunächst ein Haftbefehl gegen Assange erlassen, dann nach wenigen Stunden aber wieder zurückgezogen. Es gebe keine Beweise für eine Straftat, hieß es damals.

Doch in der Berufungsinstanz der Anklagebehörde in Göteborg bewertete man den Fall schließlich anders. Oberstaatsanwältin Marianne Ny zog das Verfahren an sich und nahm die Ermittlungen wegen Vergewaltigung erneut auf. Die beiden Frauen wurden zu Nebenklägerinnen und nahmen sich einen Anwalt. Sie wehrten sich anfangs noch in der Presse gegen Assanges Andeutungen, sie seien so etwas wie Sex-Agentinnen der USA. Es gehe "einzig und allein um einen Mann mit einem verschrobenen Frauenbild, der kein Nein akzeptieren kann", sagte eine der beiden noch im August einer Zeitung.

Diffamierungskampagnen gegen die Klägerinnen

Doch gegen die Verschwörungstheorien halfen solche Erklärung wenig. In den vergangenen Wochen sahen sich die Frauen im Internet einer regelrechten Diffamierungskampagne ausgesetzt. Sie sind untergetaucht und für Interviews ihrem Anwalt zufolge nicht mehr zu erreichen.

Oberstaatsanwältin Ny hat bislang noch keine Anklage gegen Assange erhoben. Sie will ihn zunächst nur verhören. Der Verdächtige weigerte sich allerdings, dafür nach Schweden kommen. Er bot stattdessen an, Ny könne ihre Fragen in einer Videokonferenz stellen oder ihn in England besuchen. Beides aber lehnte die Oberstaatsanwältin ab. Vor einigen Wochen stellte sie dann den Haftbefehl aus und bat Interpol um Hilfe.

Assanges Anwalt beklagt "politischen Stunt"

Assanges Stockholmer Anwalt hat mehrmals versucht, gegen den Haftbefehl Einspruch zu erheben. Aber alle Gerichtsinstanzen in Schweden kamen zu der Auffassung, dass der Verdacht gegen den Wikileaks-Gründer begründet ist.

Die britische Polizei ist in solchen Fällen zur Amtshilfe verpflichtet. Assanges Londoner Anwalt Marc Stephens kündigte jedoch an, eine Auslieferung nach Schweden mit allen Mitteln zu bekämpfen, was den Prozess um Monate verzögern könnte. Er fürchte, sein Klient solle von Stockholm aus weiter in die USA überstellt werden, sagte Stephens der BBC und bezeichnete die schwedischen Ermittlungen als "politischen Stunt".

In den USA allerdings gäbe es derzeit noch gar keine Grundlage, um eine Auslieferung Assanges zu beantragen. US-Justizminister Eric Holder erklärte zwar am Sonntag, er habe "eine Reihe von Maßnahmen" eingeleitet, um eine Anklage voranzutreiben. Bislang ist aber noch nicht einmal klar, gegen welches Gesetz der Wikileaks-Chef mit der Enthüllung von Kriegsdokumenten und zuletzt von geheimen Diplomaten-Depeschen der USA verstoßen haben könnte.

Berichten zufolge erwägen die Behörden, einen Anti-Spionage-Paragraphen aus dem Ersten Weltkrieg anzuwenden, der schon den Versuch unter Strafe stellt, sich geheime Informationen zu beschaffen. Allerdings ist fragwürdig, ob sie damit Erfolg hätten. US-Gerichte haben in den vergangenen Jahren in ähnlichen Fällen entschieden, dass das Veröffentlichen geheimer Dokumente prinzipiell zulässig sei; im Zweifel genieße die Meinungsfreiheit Vorrang.

Unterdessen wird auch in Assanges Heimat Australien geprüft, ob der 39-Jährige mit seinen Internetveröffentlichungen irgendwelche Gesetze gebrochen hat. Konkrete Vergehen hat man aber auch dort noch nicht entdeckt.

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