Julia Timoschenko:Wie aus der Hoffnungsträgerin eine Patientin wurde

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Es ist nicht ihre erste Haftstrafe, sie steht nicht zum ersten Mal vor Gericht. Doch diesmal sind Julia Timoschenkos Gegner wild entschlossen, die Karriere der ukrainischen Politikerin für immer zu beenden. Der Chef der Berliner Charité kommt ihnen dabei in die Quere.

Julian Hans

Es ist heute schwer zu sagen, womit sich Julia Timoschenko mehr Feinde gemacht hat: 1999 als stellvertretende Ministerpräsidentin unter Viktor Juschtschenko, als sie versuchte, den Energiemarkt der Ukraine neu zu ordnen, den Oligarchen weniger und dem Staat mehr von den Einkünften zu lassen, damit dieser Wirtschaftsreformen sozial abfedern kann. Oder 2004 als Anführerin der orangenen Revolution, als sie Viktor Janukowitsch des Wahlbetrugs überführte, und ihn gemeinsam mit den Massen vom Kiewer Kreschtschatik-Boulevard aus dem Präsidentensessel verjagte. Wahrscheinlich ist es die Kombination aus beidem, die ihr das Leben heute schwermacht.

Die schwer erkrankte frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko soll erneut vor Gericht gestellt werden. (Foto: dpa)

Julia Timoschenko ist dieser Tage nicht zum ersten Mal angeklagt und auch nicht zum ersten Mal in Haft. Aber die Umstände haben sich geändert. Ihre erste Inhaftierung 2001 markierte den Beginn ihres steilen Aufstiegs zur Revolutionsheldin. Damals warf ihr die Staatsanwaltschaft vor, in ihrem Vorleben als "Gasprinzessin" und Chefin der Vereinigten Energiesysteme der Ukraine Urkunden gefälscht, Gas unterschlagen und Preise manipuliert zu haben.

Timoschenko wies alle Vorwürfe zurück und sprach von einer politischen Intrige. Nach 42 Tagen in Untersuchungshaft kam sie frei. Für ihre Anhänger aber war sie unterdessen zur Märtyrerin geworden. Im selben Jahr gelang es ihr, mehrere Oppositionsparteien zu einem Bündnis zu vereinen, das seitdem ihren Namen trägt: "Block Julia Timoschenko" (Bjut).

Sieben Jahre Haft in Charkow

Im neuen Prozess, der Anfang des Monats in Charkow gegen sie eröffnet wurde, geht es im Wesentlichen noch einmal um die gleichen Vorwürfe wie 2001. Nur scheinen ihre Feinde fest entschlossen zu sein, dass die Justiz diesmal die politische Karriere der Julia Timoschenko für immer beendet.

Derzeit verbüßt die Politikerin eine siebenjährige Haftstrafe in der Strafkolonie von Charkow im Osten des Landes. Ein Gericht hatte sie im Oktober 2011 für schuldig befunden, in ihrer Regierungszeit als Ministerpräsidentin zwischen 2005 und 2010 Verträge über Gaslieferungen aus Russland geschlossen zu haben, die für die Ukraine von Nachteil waren. Allerdings konnte bislang niemand nachweisen, dass es seinerzeit möglich gewesen wäre, mit dem russischen Premier Wladimir Putin günstigere Verträge auszuhandeln.

Der Prozess wurde international als politisch motiviert kritisiert. Gegenwärtig läuft in der Ukraine ein Revisionsverfahren in der Sache, das Mitte Mai abgeschlossen werden soll. Beobachter vermuten, dass das der Grund für die neue Anklage gegen Timoschenko ist: Sollte das Berufungsgericht - möglicherweise mit Blick auf den internationalen Druck - das erste Urteil aufheben, würde die neue Klage sicherstellen, dass Timoschenko nicht aus dem Gefängnis freikommt.

Im Oktober wählen die Ukrainer ein neues Parlament, ein Wiederauferstehen der beliebten Politikerin nach dem Muster ihres ersten Prozesses würde die regierende Partei der Regionen von Präsident Viktor Janukowitsch mit großer Wahrscheinlichkeit ernsthaft in Bedrängnis bringen.

Denn Timoschenko hat sich der Politik mit Leib und Seele verschrieben. In der orangenen Revolution war ihr von blonden Zöpfen umkränztes Gesicht zur Ikone einer Freiheitsbewegung geworden. Eine Hoffnungsträgerin des Westens war sie überdies, die als Regierungschefin eine EU-Integration der Ukraine als oberstes Ziel nannte.

Trotz aller Drangsalierungen ist es mit Blick auf ihre Geschichte wenig wahrscheinlich, dass sie sich nach einer Entlassung ins Private zurückziehen würde. In einem Moment, in dem ihr Mann Alexander bereits nach Tschechien emigriert ist, in dem ihre Tochter Jewgenia um das Leben ihrer Mutter fürchtet, hat Timoschenko lange gezögert, ob sie einer Behandlung in Deutschland zustimmen soll - aus Sorge, danach nicht wieder in ihre Heimat zurückgelassen zu werden, so berichten es ihre Anhänger vom Bjut.

Janukowitsch hat guten Grund, einen Regierungswechsel zu fürchten. In einem Land, in dem der Präsident wichtige Posten in Behörden bis auf die kommunale Ebene hinab mit den eigenen Leuten besetzen kann, bedeutet eine Wahlniederlage mehr als in einem demokratischen Rechtsstaat. Schon jetzt sammelt die Opposition Beweise, um ihrerseits Vertreter der gegenwärtigen Regierung vor Gericht zu bringen, sobald sie an die Macht kommt und die Janukowitsch-Getreuen aus Gerichten und Behörden entfernt hat. So kommen Politiker in die Lage, dass Machterhalt zur Überlebensfrage wird.

Berliner Ärzte diagnostizierten einen Wirbelbruch

Unterdessen ist Timoschenkos Gesundheit zu einer zentralen Frage im politischen Spiel geworden. Seit ihrer Inhaftierung im vergangenen Jahr klagt die 51-Jährige über heftige Rückenschmerzen. Nachdem Gefängnisärzte und auch das Gesundheitsministerium lange geleugnet hatten, dass Timoschenko krank sei, haben die ukrainischen Behörden im Februar erstmals zugestimmt, dass Mediziner aus dem Ausland die Politikerin untersuchen.

Die kanadischen Ärzte, die bei der ersten Delegation dabei waren, wurden von ukrainischen Medien im Anschluss schnell demontiert und als parteiisch dargestellt. Dass das bei dem Chef der Charité, Karl Max Einhäupl, nicht gelang, wird nicht zuletzt am internationalen Ruf des mehr als 300 Jahre alten Berliner Krankenhauses gelegen haben. Einhäupl und der oberste Orthopäde der Charité, Norbert Haas, haben bei Timoschenko einen Wirbelbruch diagnostiziert. Weil der monatelang nicht behandelt wurde, leide die Patientin unter heftigen Schmerzen und könne nur liegen.

"Unwahrscheinlich, dass die Therapie erfolgreich wird"

Eine Behandlung würde mehrere Monate in Anspruch nehmen und sei in einer Haftanstalt unter keinen Umständen durchzuführen, hatte Einhäupl nach seinem ersten Besuch im Februar erklärt. Bei einem zweiten Besuch vor zwei Wochen inspizierten Einhäupl und Haas die Klinik, die die Ukraine für eine Behandlung vorgesehen hatte.

In seinem Gutachten bescheinigte Einhäupl der Ukraine zwar große Anstrengungen, die technische Ausstattung auf den neuesten Stand zu bringen. Dennoch war sein Fazit negativ: "Die besonderen Probleme von Frau Timoschenko in körperlicher, aber auch in psychischer Hinsicht sowie die besondere persönliche Krankengeschichte lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass die Therapie dort erfolgreich sein wird", heißt es in dem Papier, das Timoschenkos Tochter Jewgenia später öffentlich machte.

Trotzdem wurde sie am vergangenen Freitag mit Gewalt in das Krankenhaus gebracht. Timoschenko lehnte eine Behandlung ab und befindet sich seitdem im Hungerstreik.

© SZ vom 27.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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