Julia Klöckner:"Obergrenze ist noch keine Politik"

German Christian Democrats (CDU) Hold Annual Party Congress

"Diese Flüchtlingskrise ist auch eine große Übung in Selbstvergewisserung", sagt Julia Klöckner. "Was ist uns eigentlich wichtig?"

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Gegenseitige Leistungen: Julia Klöckner, die Vizechefin der CDU, will nun Flüchtlinge zum verstärkten Bemühen um Integration verpflichten - und den Staat zu mehr Hilfe.

Interview von Heribert Prantl

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner erklärt, warum es Grenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen gibt, aber keine Obergrenze. Klöckner ist Partei- undFraktionschefin der CDU in Rheinland-Pfalz und Ministerpräsidenten-Kandidatin ihrer Partei.

SZ: Der Parteitag der CDU wird diskutieren, ob es Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen geben soll. Sind Sie für oder gegen solche Obergrenzen?

Julia Klöckner: Obergrenze ist ein Symbolwort. Obergrenze ist noch keine Politik. Deshalb rede ich nicht von einer Obergrenze. Manche verstehen darunter ja eine in Stein gemeißelte Zahl.

Ja - vierhunderttausend Flüchtlinge höchstens für Deutschland im Jahr, sagt zum Beispiel Reiner Haseloff, der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.

Man kann das - leider, mögen manche sagen - nicht ein für alle mal so numerisch festlegen. Ja, es gibt Machbarkeitsgrenzen, die sind aber nicht starr, die hängen von vielen Faktoren ab.

Von welchen Faktoren?

Ich bin viel unterwegs im Land: Überall werden händeringend noch mehr ehrenamtliche Helfer gesucht, weil die vielen, die schon arbeiten, an der Grenze der Belastbarkeit sind; fast überall gibt es lange Wartelisten bei den Deutschkursen; und Wohnraum in Städten, zumal für größere Familien, steht kaum zur Verfügung. Das sind die limitierenden Faktoren.

Gehen wir einmal davon aus, dass die "vielen Faktoren" sich gut entwickeln. Liegt dann die Obergrenze bei "Haseloff mal zwei"? Oder bei "Haseloff mal drei"?

Wir brauchen keine sachsen-anhaltinische oder rheinland-pfälzische oder deutsche, sondern eine europäische Lösung. Verbessern wir die Kontrollen an den Außengrenzen, sorgen wir für bessere Zustände in den Flüchtlingslagern in Jordanien, dem Libanon und der Türkei, kümmern wir uns um Solidarität in Europa. Und tun wir in Deutschland, was Bund und Länder verabredet haben - und da ist noch Luft in der Umsetzung bei manch rot-grün regierten Ländern, zum Beispiel bei der Rückführung abgelehnter Bewerber. Übrigens gibt es ja auch Machbarkeitsgrenzen bei der Integration, die wiederum hängt auch davon ab, wen wir integrieren, aus welchem Kulturkreis Flüchtlinge kommen oder ob sie Analphabeten sind. Auch hier wäre eine in Stein gemeißelte Zahl unredlich.

Wie - ein Syrer ist gleich zwei Afrikaner?

Das ist doch zu einfach, zu schlicht. Die Praxis zeigt doch, dass jemand, der mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder mit einem Studienabschluss zu uns kommt, weniger Integrationsbegleitung in der Regel braucht als jemand, der noch nie eine Schule besucht hat.

Ihre Obergrenze für Aufnahme und Integration ist aus Gummi.

Warum versteifen wir uns auf diesen Symbolbegriff? Klar ist doch, dass Deutschland nicht unendlich viele Flüchtlinge aufnehmen kann, das Tempo und die Anzahl kann nicht über Jahre so weitergehen. Wir brauchen eine gemeinsame Politik in Europa, Aufnahme-Kontingente. Mit atmendem Deckel.

Was? Atmender Deckel, wie geht das?

Die EU-Staaten nehmen der Türkei und aus den Hotspots zugeteilte Kontingente ab nach einem definierten Schlüssel.

"Wir schaffen das", sagt Merkel. Sie sagen "Wir schaffen das, wenn . . ." - und kommen mit Deckeln. Mit wenn-Nebensätzen kann man die Grundansage aufheben.

Wir schaffen das, wenn wir weiterhin daran arbeiten, dass Fluchtursachen bekämpft, die europäischen Außengrenzen gesichert und Vereinbarungen mit der Türkei getroffen werden. Es ist ja nicht so, dass die Kanzlerin einfach im Kanzleramt abwartet und diesen Satz wiederholt. Sie ist in der Welt unterwegs, um Fortschritte zu erreichen. Die Lage ist eben komplex.

Sie propagieren ein Integrationspflichtgesetz. Der Migrant soll sich per Unterschrift verpflichten, die Grundsätze der hiesigen Gesellschaft zu achten und Sprach- und Integrationskurse zu besuchen; der Staat verpflichtet sich im Gegenzug, alles zu tun, dass solche Kurse angeboten werden. Was, wenn der Migrant bei seinen Bemühungen nicht so erfolgreich ist - ob aus eigener oder fremder Schuld? Wollen sie das Scheitern sanktionieren?

Das Sanktionieren steht nicht im Vordergrund, sondern das gegenseitige Ernstnehmen. Man kommt ja nicht in irgendeine wertneutrale Gesellschaft rein. Es geht um Rechte und Pflichten - des Staates und der Migranten. Gesinnung oder Integrationswillen können Sie natürlich nicht verordnen oder messen, den Integrationserfolg oder -misserfolg erkennen schon. In den Integrationsvereinbarungen wollen wir das, was uns wichtig ist, und das, was für eine gelingende Integration angeboten und umgekehrt erwartet wird, verständlich festhalten. Sprach- oder Integrationskurse sind kein Angebot zur Güte, sondern Pflichtveranstaltungen. Es geht auch nicht, dass manche Männer ihren Frauen die Teilnahme verbieten, wenn die Kurse gemischtgeschlechtlich besetzt sind.

Wollen Sie diese Männer samt ihren Frauen dann abschieben?

Es gibt doch nicht nur schwarz oder weiß. Erst einmal muss deutlich werden, dass wir so etwas nicht akzeptieren. Vor dem Sanktionieren steht die Vermittlung einer Haltung, und da brauchen wir auch Geduld. Einfach ignorieren, einfach hinnehmen sollten wir so ein Verhalten jedenfalls nicht. Dass Mädchen vom Schwimmunterricht oder von der Klassenfahrt ferngehalten werden, weil sie Mädchen aus muslimischen Familien sind, ist nicht in Ordnung. Wir sollten deutlich machen, dass wir das nicht tolerieren - das ist der erste Schritt, und das sollte übrigens auch für alle gelten, die schon lange in Deutschland leben.

Und dann kommt welcher zweite Schritt?

Man kann nicht jemanden, nur weil er keinen Sprachkurs besucht, in seine alte Heimat zurückschicken, wo ihm Folter droht.

Sondern?

Bei den Eingliederungsvereinbarungen bei Langzeitarbeitslosen gibt es Ähnliches. Wer die vereinbarten Kurse nicht belegt, muss mit individuellen Leistungskürzungen rechnen.

Die Integrationsvereinbarung soll unterschrieben werden. Welche Qualität hat diese Unterschrift?

Die Unterzeichnung kann ein durchaus feierlicher Akt sein. Der Flüchtling kommt aus der Erstaufnahmeeinrichtung - ihm wird eine Wohnung in einer Kommune zugewiesen, zur Unterstützung hat sich der Staat verpflichtet. Das ist nicht irgendwas, das ist etwas Besonderes. Es soll sich herumsprechen, dass dieser Staat einen Anspruch erhebt, damit ein gutes Zusammenleben gelingt: Migranten sollen anerkennen, dass weder Scharia noch Familienehre noch die Religion über dem Grundgesetz stehen. Auch wenn dies für uns selbstverständlich erscheinen mag - dies alles verständlich zu formulieren unterstreicht, dass wir es ernst meinen.

Nehmen wir einmal den Katalog, der unterschrieben werden soll: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau steht da; auch das Existenzrecht des Staats Israel soll anerkannt werden. Wenn jemand das nicht unterschreibt?

Der dokumentiert, dass er Werte, die uns wichtig sind, verweigert. Kein guter Start für eine gelingende Integration.

Und wenn er nur aus Heuchelei unterschreibt?

Wenn wir das unterstellen, dann kann man ja alles lassen. Wenn ich den Führerschein mache, dann erkläre ich damit auch, dass ich die Straßenverkehrsordnung kenne und anerkenne.

Wenn die Integrationsvereinbarung eine Art Führerschein für und durch die deutsche Gesellschaft ist, dann kann sie - wie die Fahrerlaubnis - entzogen werden.

Im Extremfall ja. Wenn wir sehr früh deutlich machen, was uns wichtig ist, kann einer später nicht mehr sagen: Ich habe es nicht gewusst.

Auch manche Deutsche reden und handeln den Grundsätzen zuwider, die Flüchtlinge unterschreiben sollen.

Natürlich können wir von Migranten nur das glaubhaft verlangen, was wir auch selbst leben. Viele Menschen kommen aus Ländern, die keine Rechtsstaaten sind, wo Frauen eine minderwertige Rolle spielen, wo Homosexualität und Religionswechsel mit Folter bestraft werden. Das ist bei uns anders. Diese Flüchtlingskrise ist auch eine große Übung in Selbstvergewisserung. Was ist uns eigentlich wichtig?

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