Jugoslawische Nachfolgestaaten:Zwischen Politik und Verbrechen

Auf dem Balkan wächst der Nationalismus, die einstigen Kriegsgegner belauern einander, der EU-Beitritt rückt für Staaten wie Serbien oder Bosnien in immer weitere Ferne. Die Abkehr der Region von Europa machen sich nun andere Mächte zunutze. Doch US-Außenministerin Hillary Clinton und EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton werden wohl auch an diesem Mittwoch wieder gute Miene zum bösen Spiel machen.

Enver Robelli, Zagreb

Hillary Clinton Sarajevo Kosovo Pristina

Das Interesse der USA für den Balkan sei ungebrochen, hat Außenministerin Hillary Clinton auf ihrer Reise durch die Region betont. Der Einfluss Washingtons schwindet jedoch, die regionalen Streitereien hingegen nehmen zu.

(Foto: AP)

Die beiden Damen, die seit Wochenbeginn den Balkan zusammen bereisen, kommen mit guten Absichten. Man wolle das ungebrochene Interesse der USA für die Region bekunden, ließ US-Außenministerin Hillary Clinton vor ihrer Landung in Sarajewo mitteilten. Die EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton erklärte, die Zukunft der jugoslawischen Nachfolgestaaten liege in der EU. Diese Botschaft wird seit 2003 unermüdlich wiederholt. Damals hat die EU beim Gipfel in Thessaloniki allen Balkanstaaten eine Beitrittsperspektive eröffnet.

Seither sind fast zehn Jahre vergangen und nur ein Staat aus der Region, nämlich Slowenien, konnte der EU beitreten. Kroatien wird vermutlich am 1. Juli 2013 mit Ach und Krach als 28. Staat aufgenommen. Danach ist vorläufig Schluss. Vielleicht gibt es für die verbliebenen Staaten eine Chance in fünf oder zehn Jahren. Skepsis und Verzweiflung werden schon jetzt mit Galgenhumor überwunden. "Bis wir in der EU sind, wird es diesen Klub nicht mehr geben", sagen die Menschen in der bosnischen Hauptstadt.

Es wird in Bosnien zwar nicht mehr gekämpft, aber den Krieg führen unverantwortliche Politiker mit anderen Mitteln fort. Das Abkommen von Dayton hat die Gewalt beendet, ein funktionsfähiger Staat ist Bosnien bis heute nicht geworden. Die EU und die USA verlieren an Einfluss: Es gelingt den westlichen Mächten nicht, den Gesamtstaat zu stärken.

Vor allem die serbisch beherrschte Landeshälfte treibt die Teilung voran. Es vergeht kein Tag ohne dass der bosnisch-serbische Präsident Milorad Dodik provoziert. Der Populist bagatellisiert die Kriegsverbrechen seiner Landsleute an den muslimischen Bosniaken, droht mit einem Anschluss an Serbien, und meint, das Haltbarkeitsdatum Bosniens sei längst abgelaufen, man könne das Land nicht mit "Gewalt von außen" zusammenhalten. Kürzlich musste das 124 Jahre alte Nationalmuseum von Bosnien-Herzegowina schließen, weil die Politiker der drei Ethnien - Bosniaken, Serben und Kroaten - sich nicht auf die Finanzierung einigen wollten.

Solange die EU mit ihren Krisen beschäftigt ist, zeigen andere Staaten Präsenz in Bosnien. Das wirtschaftliche Gewicht der Türkei in Südosteuropa nimmt zu. Premier Tayyip Erdogan betrachtet Bosnien als "81. osmanische Provinz" und die im Opferstatus gefangenen Bosniaken als "Brudervolk". Folglich werden die bosnischen Serben und Kroaten ignoriert. Ein anderer Heißsporn, Israels Außenminister Avigdor Lieberman, reist privat in die bosnisch-serbische Teilrepublik, wo er seine Allianz mit den Serben gegen die Muslime zelebriert.

Während Bosnien stagniert, hat Serbien in den vergangenen Monaten vor allem im Verhältnis zu den Nachbarn Rückschritte gemacht. Mit dem ehemaligen Milizenführer Tomislav Nikolic haben die serbischen Wähler einen bekennenden Völkermord-Leugner zum Staatschef auserkoren. Nikolic wurde kürzlich sogar mit allen Ehren in Italien empfangen - nachdem er zuvor in einem Interview mit dem Corriere della Sera den Massenmord in Srebrenica zum wiederholten Mal verharmlost hatte.

Noch vor zwölf Jahren verhängte die EU Sanktionen gegen Österreich aus Protest gegen den Eintritt des Rechtspopulisten Jörg Haider in die Regierung. Im Jahr 2012 begrüßte die EU die Wahl eines Politikers wie Nikolic, der in den Neunzigerjahren nachweislich an serbischen Eroberungszügen in Kroatien und Bosnien teilgenommen hatte. Der neue serbische Staatschef wurde wegen seiner Vergangenheit bisher weder in Zagreb noch in Sarajewo empfangen. Das Klima zwischen den Nachbarstaaten ist vergiftet. Man zählt überall die Leichen und schwadroniert doch über eine Zukunft in der EU.

"Die Grenzen in Europa werden nicht geändert"

Die EU-Chefdiplomatin Ashton und US-Außenministerin Clinton trafen sich am Dienstag in Belgrad mit Nikolic und Ministerpräsident Ivica Dacic, der in den Neunzigerjahren zu den glühenden Anhängern des Gewaltherrschers Slobodan Milosevic gehörte. Clinton erteilte der von Serbien immer wieder ins Spiel gebrachten Teilung von Kosovo eine klare Absage. "Die Grenzen in Europa werden nicht geändert", sagte Clinton nach dem Gespräch.

Brüssel und Washington drängen die serbischen Politiker zu einer "Normalisierung der Beziehungen" zu Kosovo. Die früher serbisch beherrschte Albaner-Provinz erklärte 2008 mit dem Segen der westlichen Großmächte die Unabhängigkeit, die von Serbien vehement abgelehnt wird. Hinter den Kulissen bereitet die EU einen Autonomieplan für das serbisch dominierte Nordkosovo vor. Die Region gilt als Unruheherd und Schmugglerparadies. Die Grenzen zwischen Politik und Verbrechen sind dort fließend, die westlichen Protektoren machtlos, weil die politische Unterstützung aus Brüssel fehlt.

Manche Beobachter befürchten, Kosovo könnte nach einer weiteren Dezentralisierung, die jetzt von der EU geplant wird, ein funktionsunfähiger Staat werden wie Bosnien. Die EU hat den kosovarischen Regierungschef Hashim Thaci als Partner akzeptiert, obwohl die EU-Mission Eulex gegen ihn wegen verschiedener Verbrechen ermittelt. Der frühere Schweizer Europaratsabgeordnete Dick Marty wirft Thaci und seinen Getreuen in einem umstrittenen Bericht unter anderem vor, kurz nach dem Kosovo-Krieg am Handel mit Organen serbischer Gefangener beteiligt gewesen zu sein. Stichhaltige Beweise liegen zwar nicht vor. Doch nicht nur Oppositionspolitiker und Kommentatoren in Kosovo finden, in dieser Position sei Thaci von der EU erpressbar.

Zudem ist seine demokratische Legitimität nicht über alle Zweifel erhaben. Nach dem Urnengang im Dezember 2010 hatten selbst westliche Diplomaten Thacis Partei der Wahlfälschung beschuldigt. Mehrere Kabinettsmitglieder stehen unter Korruptionsverdacht, und der Chef der Privatisierungsagentur, ein enger Vertrauter Thacis, hat im Sommer Selbstmord begangen im Zusammenhang mit dem Verkauf des größten Hotels in Pristina. Das diplomatische Duo Ashton und Clinton wird an diesem Mittwoch beim Aufenthalt in der Hauptstadt Pristina vermutlich gute Miene zum bösen Spiel der kosovarischen Politik machen.

Wie deprimierend die Lage ist, zeigt ein Bericht des Europäischen Rechnungshofes vom Dienstag. Die Prüfer verweisen auf die Tatsache, dass die EU nirgendwo bisher pro Kopf der Bevölkerung so viel Geld bereitgestellt hat wie in Kosovo. Die teuerste, größte und wichtigste außenpolitische Mission der EU in Kosovo hat seit der Unabhängigkeit 2008 fast 700 Millionen Euro gekostet, aber bis heute ist es ausländischen Richtern nicht gelungen, hochrangige Politiker wegen Korruption oder anderer Großverbrechen zu verurteilen. Die Arbeit der Eulex ist nach Ansicht des Europäischen Rechnungshofes "nicht ausreichend wirksam". Ein weiteres Problem sei die politische Einmischung in die Justiz und der praktisch nicht existierende Zeugenschutz, stellen die Prüfer frustriert fest. Besserung scheint nicht in Sicht zu sein.

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