Jugendproteste in Europa:Yes, we camp

Arbeitslos, chancenlos, um die Zukunft betrogen: Seit einem Monat machen junge Spanier, Franzosen und Griechen ihrer Wut über ihre Regierungen Luft. Doch der Aufstand der Jugend droht schon wieder zu stocken.

Wenig Geld für Bildung, hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Aussicht, dass in Zukunft alles noch schlimmer wird: Die Probleme junger Spanier, Franzosen und Griechen ähneln sich. Sie haben mehr unter der Wirtschaftskrise gelitten als die ältere Generation, trotzdem werden die Sparpläne ihrer Regierungen vor allem sie treffen. Seit genau einem Monat macht die spanische Jugend ihrer Unzufriedenheit Luft. Auch in Frankreich und Griechenland gehen junge Leute auf die Straße.

File photo shows demonstrators camping out in Madrid's Puerta del Sol

Spanische Demonstranten campierten fast vier Wochen lang auf dem Platz Puerta da Sol.

(Foto: REUTERS)

Spanien: Yes, we camp

Der Name war Programm: Junge, unzufriedene Spanier haben die "Puerta del Sol", den Platz am "Sonnentor", besetzt und kurzerhand in "Puerta de Soluciones" umbenannt. "Solucion" bedeutet Lösung. Mit Zelten, Planen und alten Möbelstücken errichteten sie im Zentrum Madrids eine Zeltstadt, um gegen Dumpinglöhne, hohen Mieten und schlechte Lebensbedingungen in dem krisengebeutelten Land zu protestieren. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien bei 45 Prozent.

Nach einem Aufruf im Internet waren am 15. Mai 2011 in ganz Spanien 100.000 Menschen gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen Korruption und die Macht der Banken und großen Parteien auf die Straße gegangen. Zwei Tage später besetzten Demonstranten die Puerta del Sol. Das Demonstrationsverbot ignorierten sie - und die Polizei verzichtete darauf, den Platz gewaltsam zu räumen. Wenige Tage vor der Parlamentswahl wären solche Bilder in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen.

Nach ihrem Beginn am 15. Mai gab sich die Protestbewegung den Namen "15-M". Sie organisiert sich vor allem über Social-Media-Kanäle wie Facebook und Twitter. Vor allem anfangs sprach man vom Funken der Revolution, der von Tunesien und Ägypten auf Spanien übergesprungen sei - auch wenn man sich bewusst war, dass die Menschen dort Anfang dieses Jahres nicht nur für mehr Jobs, sondern auch - zum Teil unter Einsatz ihres Lebens - für Freiheit und Demokratie demonstriert hatten.

Knapp vier Wochen hielten die Spanier den Platz besetzt, am vergangenen Sonntag brachen sie schließlich die Zelte ab, räumten Müll und Möbel weg und schrubbten den Boden - wie es die ägyptischen Demonstranten auf dem Tahrirplatz in Kairo getan hatten, nachdem Präsident Mubarak nach wochenlangen Protesten zurückgetreten war. Die spanische Jugend hat ihr Ziel noch nicht erreicht, die Entschlossenheit allerdings auch nicht verloren: In Barcelona haben Tausende Menschen an diesem Mittwoch gegen den Sparkurs der Regierung demonstriert und versucht, die Zufahrt zum Parlament zu blockieren. In Madrid ist für kommenden Sonntag die nächste große Demonstration angekündigt.

Frankreich: Ungleicher Kampf

Geplant war nicht weniger als eine "Weltrevolution". Ende Mai versammelten sich Tausende junge Franzosen auf der Place de la Bastille in Paris. Nach spanischem Vorbild demonstrierten sie gegen Korruption, Prekarität und die Arbeitslosigkeit, die auch in Frankreich immer mehr Jugendliche trifft. Manch einer träumte laut davon, den Platz dauerhaft zu besetzen und die Wut des Volkes - wieder einmal - von dort in die Welt zu tragen: Vor 222 Jahren hatten wütende Bürger das am selben Platz stehende Gefängnis Bastille gestürmt und damit die Französische Revolution begonnen.

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Hier hat schon einmal eine Revolution begonnen: Französische Demonstranten auf der Place de la Bastille in Paris.

(Foto: AFP)

Aus Frankreich stammt nicht nur das historische Vorbild einer geglückten - und sehr blutrünstigen - Revolution, sondern auch das Buch, das den "Empörten" Namen und Rückenwind gegeben hat. In seiner im Oktober 2010 veröffentlichten Schrift "Indignez-vous" ("Empört Euch") rief der 93-jährige Stéphane Hessel die Bürger seines Landes zu Engagement und zivilem Ungehorsam auf. Das Buch verkaufte sich mehr als eine Million Mal.

Trotzdem scheint die Hoffnung auf eine breite Bewegung in Frankreich vergebens zu sein. Die Polizei in Paris griff härter durch als in Madrid und räumte den Platz jeden Abend. Die Demonstranten kamen zwar wieder, doch nach der großen Protestwelle am letzten Maiwochenende wurden es schnell immer weniger. Zuletzt beschränkten sich die Aktionen auf Flashmobs, zu denen etwa 150 "Empörte" kamen. Sie verteilten Flugblätter und wiesen auf die "Unbeweglichkeit" der Regierung hin, indem sie sich für ein paar Minuten vor dem Pariser Kulturzentrum Centre Pompidou auf den Boden legten.

Dass die Jugend der Wut über ihre Chancenlosigkeit Ausdruck verleiht, ist in Frankreich nichts Neues: Dann gehen in den Banlieues, den heruntergekommenen Vororten französischer Großstädte, Autos in Flammen auf und marodierende Banden liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die dort lebenden Nachkommen nordafrikanischer Einwanderer haben von vornherein sehr geringe Chancen auf einen guten Job. Die Uni-Absolventen von der Place de la Bastille, die nun keine Anstellung finden, kämpfen einen anderen Kampf. Einen Schulterschluss zwischen beiden Gruppen gibt es bisher nicht.

Griechenland: Gefährliches Gären

In der Innenstadt von Athen flogen Steine und Molotowcocktails, tagelang lieferten sich junge Griechen Straßenschlachten mit der Polizei. Nachdem ein Polizist im Dezember 2008 einen 15-jährigen Schüler erschossen hatte, demonstrierten Tausende friedlich gegen Polizeiwillkür, nur eine kleine Minderheit griff zu Gewalt.

Gut zwei Jahre später hat sich die Situation des Landes dramatisch verschlechtert. Griechenland hat 350 Milliarden Euro Schulden, die Regierung fährt aus Angst vor einer Staatspleite seit Monaten einen harten Sparkurs - der auch, aber nicht nur die Jugend des Landes trifft. Der Protest wird dementsprechend von der ganzen Gesellschaft getragen. Eine Bewegung der "Empörten Bürger" ruft im Internet regelmäßig zu Demonstrationen auf.

Die junge Generation ist verzweifelter denn je. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 40 Prozent, das Land gibt weniger als jedes andere europäische Land für Bildung aus. Derzeit machen jeden Abend Demonstranten auf dem Syntagma-Platz in Athen ihrer Wut Luft, seit Ende Mai wird dort auch gezeltet. Mit Sprechchören und Menschenketten rund um das Parlamentsgebäude protestieren sie gegen die hohe Arbeitslosigkeit und den Sparkurs der griechischen Regierung. "Das sind nicht unsere Schulden und wir bezahlen sie nicht", erklärten die Demonstranten vor kurzem und riefen zu einer europaweiten "Erhebung" auf.

An diesem Mittwoch wurden bei Zusammenstößen zwischen hunderten Demonstranten und der Polizei mindestens zehn Menschen verletzt. Auf dem Syntagma-Platz warfen Jugendliche Brandbomben und Steine. Die Polizei setzte Tränengas ein. Mülleimer standen in Brand, Tische und Stühle umliegender Cafés lagen auf der Straße.

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