Jugend macht Energiepolitik:Weinbau statt Tagebau

Ende-Gelände Blockade im Tagebau Schleenhain bei Leipzig *** End of site blockade at the Schleenhain open-cast mine nea

Braunkohlebagger im Tagebau Vereinigtes Schleenhain bei Leipzig während einer "Ende Gelände"-Blockade 2019.

(Foto: Tim Wagner/Imago)

Spätestens 2038 soll der Braunkohleabbau Geschichte sein. Doch was passiert dann? 40 junge Menschen hatten ein Wochenende lang Zeit, Ideen dafür zu entwickeln.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Lea Diesner, 16, stammt aus Calau, einem kleinen Ort am Rande des brandenburgischen Tagebaugebiets. "Die Lausitz ist in meinen Augen die schönste Region der Welt", sagt Diesner. Das ist insofern erstaunlich, weil die Lausitz eher als sterbende Kohlegegend gilt, von der die Menschen fortziehen. "Endlich Abi und dann weg", diese Haltung kennt Diesner auch von ihren Mitschülerinnen. Sie selbst will einen anderen Weg gehen: "Ich halte zu meiner Region. Ich möchte sie gestalten." Auch deshalb steht die junge Frau nun in der Jugendherberge neben diesem Flip-Chart. "Jugend gestaltet Strukturwandel" lautet darauf das große Thema.

Rund 40 junge Menschen von 16 bis 27 sind an diesem Wochenende in Halle, Sachsen-Anhalt, zusammengetroffen. Finanziert vor allem vom Bundesfamilienministerium und organisiert von der Leuphana-Universität Lüneburg konnten sie ihre Vorstellungen zur Zukunft der deutschen Braunkohleregionen entwickeln. Denn die Tage für Deutschlands Abbaugebiete, dem Rheinischen, dem Mitteldeutschen und dem Lausitzer Braunkohlerevier, sind gezählt. Spätestens 2038 soll Schluss sein. Doch was kommt dann? Wie hält man diese Regionen am Leben?

Jugend macht Energiepolitik: Lea Diesner aus Calau möchte die Lausitz nicht verlassen, sondern die Zukunft der Region mitgestalten.

Lea Diesner aus Calau möchte die Lausitz nicht verlassen, sondern die Zukunft der Region mitgestalten.

(Foto: Jan Heidtmann)

Der Weinanbau an den Hängen der Gruben oder die schwimmende Veranstaltungsplattform auf dem gefluteten Tagebau gehören dabei zu den kurioseren Ideen. Insgesamt 600 sind an dem Wochenende zusammengekommen, drei Handvoll davon wurden schließlich für die Präsentation an diesem Sonntagnachmittag ausgearbeitet. Darunter zum Beispiel das Revier-Informations-Portal, auf dem der vielfach verstreute Kenntnisstand zu einem Abbaugebiet gesammelt werden soll: Geodaten, politische Beschlüsse, Wirtschaftskennzahlen. Oder aber der Vorschlag, ehemalige Tagebaue zum Refugium für bedrohte Arten zu machen.

Der größte Teil der ausgearbeiteten Vorschläge handelte jedoch von den Perspektiven für junge Menschen. Denn zumindest im Osten leiden die Regionen um die Tagebaugebiete massiv unter der Abwanderung. Die Ideen hierzu reichten von Tagungshotels als Begegnungsstätten bis zu einem freiwilligen sozialen Jahr in ehemaligen Abbaugebieten. Eine Gruppe schlug unter dem Titel "Kreuz & Queer" ein Jugendzentrum für LGBTIQ-Menschen vor. So sollten junge Leute "empowert werden, sich frei zu gestalten".

Gemessen an den Problemen der Tagebaugebiete - darunter zumindest im Osten hohe Arbeitslosigkeit, hohe Unzufriedenheit und höchste Stimmanteile für die AfD - wirken viele der Vorschläge hier fast possierlich. Als die Verhandler der Ampelkoalition kürzlich erwähnten, dass der Ausstieg aus der Braunkohle schon acht Jahre früher, also 2030 kommen könnte, war der Protest enorm. Den "Gnadenstoß" für die Region nannte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) solche Überlegungen sogleich. "Aktionismus und Symbolpolitik" - so bezeichneten 58 kommunale Vertreter aus der Lausitz sie in einem offenen Brief an Olaf Scholz (SPD).

"Die Wirtschaft muss sich dem Klimaschutz unterordnen"

Lukas Müller sieht den Widerstand recht entspannt. "Damit muss man leben", sagt er. Der Kohleabbau solle jedenfalls bereits 2030 eingestellt werden. "Die Wirtschaft muss sich dem Klimaschutz unterordnen." Der 22-Jährige ist in Görlitz aufgewachsen, einer Stadt an der polnischen Grenze. Der Tagebau dort sei schon 2008 geflutet worden. Müller studiert jetzt Softwareentwicklung in Berlin, "aber meine Heimat ist mir wichtig", sagt er. Wie die meisten jungen Leute hier denkt er dabei längst an die Zeit nach dem Kohleabbau. Und er glaubt, dass einige der Vorschläge von diesem Wochenende dabei durchaus umgesetzt werden könnten.

Jugend macht Energiepolitik: Lukas Müller studiert in Berlin, doch weil es um seine Heimat geht, ist er nach Halle gekommen, um über die Zukunft der Tagebaugebiete zu diskutieren.

Lukas Müller studiert in Berlin, doch weil es um seine Heimat geht, ist er nach Halle gekommen, um über die Zukunft der Tagebaugebiete zu diskutieren.

(Foto: Jan Heidtmann)

Die Chancen dafür stehen tatsächlich nicht schlecht. Zum einen ist Geld für den Strukturwandel vorhanden, 40 Milliarden Euro insgesamt, viel von dem Geld ist noch nicht verplant. Und neben den jungen Menschen sind an diesem Wochenende auch Vertreter von vier Bundesministerien hier, dazu Regierungsmitarbeiter aus den vier hauptbetroffenen Bundesländern: Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. "Wir wollen natürlich, dass unsere Vorschläge die Politik erreichen", sagt Waldemar Stange, Professor für Sozialpädagogik von der Leuphana-Universität.

Deshalb arbeiten einige der Teilnehmer jetzt basierend auf dem Wochenende eine Art Gutachten aus, das dann Landes- und Bundespolitikern übergeben werden soll. Viele Politiker hätten längst verstanden, dass Jugendliche schlicht "Standortfaktoren" für die Zukunftsfähigkeit einer Region seien, meint Stange. In anderen Fällen helfe die Öffentlichkeit: "Sie müssen sich vorstellen, da sind ein Minister, das Gutachten und eine Kamera. Das wirkt schon", meint Stange, der seit Jahrzehnten Beteiligungsprojekte für Jugendliche entwickelt.

Darauf vertraut auch Lea Diesner. "Dass wir mitbestimmen können", darum ging es ihr vor allem. "Wir wollen neue Projekte und wir wollen Resultate." Der Vorschlag ihrer Gruppe bestand aus einem Werbeportal für die Lausitz über Social Media. Aber ihr Wunsch wäre es, dass alle der 600 Vorschläge hier umgesetzt würden, sagt sie mit einem wunderbar unverbrüchlichen Optimismus. "Wir freuen uns auf die Veränderung."

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