Jugend in Russland:Staatsmacht trifft Generation Youtube

Sasha Spielberg

Kennt nicht die Namen der russischen Parteien, weiß aber, wie man auf Youtube Millionen Zuschauer gewinnt: Sascha Spilberg, 19 Jahre alt.

(Foto: Youtube)
  • Die russische Staatsmacht bemüht sich darum, die Internet-Generation für sich zu gewinnen.
  • Pop-Sänger und Youtube-Stars appellieren neuerdings, die Finger von Politik zu lassen und nicht auf Demonstrationen zu gehen.
  • Bei ihrer Zielgruppe löst das jedoch wenig Begeisterung aus.

Von Julian Hans, Moskau

Man wird nicht zum Star auf Youtube, indem man Erklärungen vom Blatt abließt. Aber wenn sie nicht mehr vor ihrer Webcam stehen, sondern vor einem Parlament, fallen selbst prominente Videoblogger in starre Muster zurück. Zur Debatte über Jugendpolitik hatte die russische Staatsduma am Montag die 19 Jahre alte Sascha Spilberg eingeladen.

Die gab in ihrem vierminütigen Auftritt zwar gleich zu, dass sie nicht einmal die Namen der Parteien kenne. Dafür habe sie Erfahrung darin, vor großem Publikum aufzutreten. Immerhin haben fast fünf Millionen ihren Kanal auf Youtube abonniert. Ihre Popularität verdankt sie so spektakulären Aktionen wie einem Bad in einer Wanne voller Kartoffelchips.

Früher habe sie noch nicht einmal davon gehört, dass es so etwas wie Jugendpolitik gebe, las Spilberg artig aus dem Manuskript. "Jetzt betrachte ich es als meine Mission, einen Dialog zwischen dem Staat und der Gemeinschaft herzustellen, zu der ich gehöre." Ihr Auftritt vor dem russischen Unterhaus sei "ein Zeichen dafür, dass der Staat die Bedeutung von Videobloggern und den Meinungsführern im Internet anerkennt und uns zuhört, das ist das Wichtigste".

Ein Abgeordneter bezeichnet Soziale Netzwerke als Dämonen

Ihr Auftritt ist das jüngste Beispiel in einer Reihe hilflos anmutender Bemühungen der Staatsmacht, die Generation Youtube für sich zu gewinnen, die im März tausendfach einem Demonstrationsaufruf des Oppositionellen Alexej Nawalny gegen Korruption gefolgt war. Doch bisher sind alle diese Versuche spektakulär gescheitert. Für Anfang Juni hat Nawalny zu neuen Kundgebungen aufgerufen.

Von Demonstrationen halte sie nichts, sagte Spilberg den Abgeordneten, die in demonstrativer Aufmerksamkeit lauschten. Sie habe ihre Zuschauer gefragt, was diese denn so interessieren würde, und die würden zum Beispiel gern mehr über Präsident Wladimir Putin erfahren: "Wie war er so, als er jung war?"

Die meisten Abgeordneten hatten derweil offenbar bereits ein klares Bild vom Internet. Sergej Mironow, der Vorsitzende der Partei Gerechtes Russland, meinte gar, in den Sozialen Netzwerken einen "Dämonen" ausgemacht zu haben, der die Jugend lehre, "ihre Heimat und ihre Geschichte nicht zu lieben".

Eine Pop-Sängerin ruft dazu auf, die Finger von Politik zu lassen

Der Auftritt ist das jüngste Beispiel in einer Reihe von Bemühungen, die junge Generation zu gewinnen. Gleich nach den überraschenden Protesten erschien ein aufwendig produzierter Clip im Netz, der Nawalny mit Adolf Hitler gleichsetzte. Das im Stil des Staatsfernsehens montierte Werk verpuffte ohne Wirkung.

In der vorigen Woche erschien ein Video der Sängerin Alisa Vox. Noch im vergangenen Jahr hatte die Solistin mit der populären Gruppe Leningrad einen Hit, dem in Russland über Wochen kein Radiohörer und Nutzer von Facebook oder dem russischen Pendant Vkontakte entkommen konnte. In einer Mischung aus Laszivität und Oberlehrerhaftigkeit riet Vox nun im knappen Rock, sich besser nicht zu Demonstrationen verführen zu lassen.

"Es ist nie zu spät, um aus den eigenen Fehlern zu lernen. Wenn dein Herz Veränderungen verlangt, fang am besten bei dir selber an", heißt es im Refrain. Die Rede ist davon, dass den Demonstranten Gold, Geld und Macht versprochen werde. Aber Vox hat einen besseren Rat: "Lass die Finger von der Politik, Kleiner, geh lieber Mathe lernen."

Die Jugendlichen sind wenig begeistert über die Versuche des Kremls

Wenig verwunderlich, dass ein so plumper Appell bei der Zielgruppe auf wenig Begeisterung stieß. Von den zwei Millionen, die den Clip bis Dienstag ansahen, klickten 14 000 "gefällt mir", 227 000 senkten den Daumen. Die Kommentare hatte das Management von Vox vorsorglich abgeschaltet. Derbe Sprache und eine gewisse Zügellosigkeit sind das Markenzeichen der Band.

Dass die Ex-Sängerin nun empfahl, lieber in der Schule aufzupassen als zu rebellieren, konnte nicht funktionieren. Unabhängige Medien meldeten unter Berufung auf nicht genannte Quellen im Kreml, ein ehemaliger Mitarbeiter der Präsidialverwaltung habe das Stück in Auftrag gegeben. Allerdings sei man auch im Kreml nicht glücklich mit dem Ergebnis, weil man erkannt habe, das es Nawalny nur eine Vorlage für neuen Spott und Mobilisierung seiner Anhänger biete.

Es ist ein Markenzeichen des Anti-Korruptions-Aktivisten, den mafiösen Filz zwischen Staat, Wirtschaft und krimineller Welt anschaulich und unterhaltsam zu präsentieren. Es konnte daher nur schiefgehen, als der Milliardär Alischer Usmanow ausgerechnet in Nawalnys Stamm-Medium eine Replik versuchte. Ein kräftiger alter, träger Mann vor dunkler Schrankwand, der drohte "Du wirst dafür bezahlen!". Alles, was die Jugend an der alten Elite hasst in einem Bild.

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