Jugend in Indonesien:Als Obama noch Soetoro hieß

In Jakarta ging der Junge Barry Soetoro auf eine Grundschule - angeblich als Muslim. 40 Jahre später kandidiert er unter seinem jetzigen Namen Barack Obama für das Amt des US-Präsidenten.

Oliver Meiler, Jakarta

Hier steht's. In geschwungener, schöner Schrift, Seite 203. Die Schularchivarin trägt das Buch aus ihrem dunklen Büro hinaus in den Hof, ins Sonnenlicht. "Name: Barry Soetoro. Geburtsort: Honolulu. Religion: Islam." Sie ist nur leicht vergilbt, die Seite 203 im Register der Primarschule St Fransiskus Asisi, South Jakarta, Indonesien. Nach all den Jahren. 1968 war's.

Barack Obama als Schüler mit Familie; AP

"Wenn ich groß bin, möchte ich Präsident werden": Der Schüler Barack Obama mit Mutter, Halbschwester und Stiefvater in Indonesien.

(Foto: Foto: AP)

Als Buchzeichen dient die Visitenkarte eines Journalisten von Fox News, dem konservativen, amerikanischen Fernsehsender. Auch er war hier für diesen Eintrag. Nur deshalb. Und für die Polemik. Vielleicht entscheidet dieser Eintrag ja die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Er hat Gerüchte genährt, und sie flauen nicht ab.

"Wir beten und hoffen, dass ihm diese haltlosen Gerüchte nicht schaden", sagt Rully Dassad, ein rundlicher Indonesier. Der 47-jährige Werbefotograf war der beste Freund dieses Barry Soetoro. Er saß neben ihm auf der Schulbank, war in derselben Pfadfindergruppe wie er, zeichnete mit ihm amerikanische Comics nach. Er nennt ihn "Berry", mit "e" und rollendem "r". Manchmal auch "Mister Obama".

Höflich, fröhlich, gelehrig

Barry Soetoro ist Barack Obama. Fünf Jahre hat er in Jakarta gelebt. Er trug damals den Familiennamen des Stiefvaters. Es waren Kindheitsjahre, die sein Weltbild mitgeformt haben, die ihm Realitäten zeigten, die er, wäre er nur in Amerika aufgewachsen, nie erlebt hätte. Extreme Armut etwa oder eine extrem andere Kultur und Religion. Es sind Jahre, die ihn jetzt einholen. Im Internet gibt es Seiten, die behaupten, Obama sei in Wahrheit Muslim. In Indonesien, so erfand die US-Zeitschrift Insight Magazine, die den Republikanern nahesteht, habe er eine Madrassa besucht, eine Koranschule.

Obama verteidigt sich gegen solche Behauptungen. Für die Muslime in Amerika tut er das etwas zu heftig, sie fragen, was denn so schlimm daran wäre, wenn er Muslim wäre oder gewesen wäre. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Detroit wurden zwei Anhängerinnen des demokratischen Kandidaten, die mit Kopftüchern hinter der Bühne standen, vom Mitarbeiterstab Obamas gebeten, aus dem Blickfang der Kameras zu treten. Die Geschichte wurde publik. Obama rief die jungen Frauen an und entschuldigte sich. Auch diese Geschichte wurde bekannt. Es ist ein ständiger Balanceakt.

Seine Gegner finden, es sei verdächtig, wie emotional Obama werde, wenn seine Religion hinterfragt würde. Als man Hillary Clinton einmal auf das Gerede über ihren Rivalen ansprach, sagte sie: "Obama ist kein Muslim - soweit ich weiß." Der Nachsatz war natürlich perfide. Der Zweifel an Obamas Religion, so unbegründet er auch ist, spielt eine Rolle im Wahlkampf. Die Zweifler führen gerne den Namen an, Barack Hussein Obama, der nach Saddam Hussein und Osama bin Laden klingt. Und sie führen seine Kindheitsjahre in Indonesien an.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Barack Obama rückblickend über seine Zeit in Indonesien schreibt.

Als Obama noch Soetoro hieß

Er war sechs Jahre alt, groß gewachsen für sein Alter, mit mächtigem Haarschopf und beleibt, ein Linkshänder, wie es sie hier nicht gab, als er diesen einfachen Schulhof im Süden Jakartas betrat. Bahasa sprach er nicht.

Seine Mutter Ann, eine weiße Amerikanerin aus Kansas, Anthropologin, hatte beschlossen, Honolulu zu verlassen und ihren Sohn, den sie mit einem Gaststudenten aus Kenia gezeugt hatte, mitzunehmen zu ihrem neuen Mann, einem Gaststudenten aus Indonesien, der Hals über Kopf in die Heimat zurückgekehrt war, weil man ihm das Visum entzogen hatte. Wegen politischer Gründe, von denen die Mutter nichts wusste. Sie war 24. Der Mann hieß Lolo Soetoro. Mit ihm sollte sie eine Tochter haben, Maya, Baracks geliebte Halbschwester. Er war es, der den Bub in der katholischen Privatschule Asisi einschrieb. In Indonesien hatte gerade Suharto die Macht übernommen. Er ließ Kommunisten jagen und Hunderttausende ermorden.

Eine harte Ankunft

Obama schreibt in seinem autobiographischen Buch "The Audacity of Hope": "Meine Mutter sagte später, wir hätten diese Reise nie angetreten, wenn sie gewusst hätte, was in den Monaten vor unserer Ankunft passiert war. Sie wusste es nicht." Es war eine harte Ankunft. Obama schreibt: "Wir lebten in einem bescheidenen Haus an der Peripherie der Stadt, ohne Klimaanlage, ohne Kühlschrank und ohne Spültoilette." Die Schule war offen für alle: für Kinder von Christen, Buddhisten, Hindus, Muslimen. Das junge Paar konnte sich nur diese Schule für Barry leisten. Obama beschreibt seine Schulkameraden als "Kinder von Bauern, Dienern, Schneidern und Beamten".

Die internationalen Schulen Jakartas, an denen alle Kinder von westlichen Abgesandten lernten, waren zu teuer. Lolo Soetoro war nach seiner Zwangsrekrutierung Leutnant der Armee. Das Militär zahlte schlecht. Als er seinen Stiefsohn anmeldete, ließ er bei Religion "Islam" eintragen. Das stimmte zwar nicht, Obama war immer Christ. Wahrscheinlich aber wäre es Lolo Soetoro, der 1993 starb, damals lieb gewesen, Barry wäre Muslim im mehrheitlich muslimischen Indonesien.

Einer wie er. Vielleicht war der Mann auch überrascht worden von der Frage, als sie ihm gestellt wurde. Und Obamas Mutter Ann, die sicher dabei war, schien das wohl nicht so wichtig zu sein. Wer weiß das schon. Die Mutter starb 1995. Wer konnte damals ahnen, dass es die Welt jemals interessieren würde, warum auf Seite 203 Islam steht. Dass Reporter von überall in die bescheidene Vorortsschule kommen, um dieses Registerblatt zu filmen, zu fotografieren. Und zu fragen: War er nun ein Muslim?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was seine Lehrerin von dem Schüler Obama erzählt und wie ihn seine ehemaligen Schulkameraden unterstützen ...

Als Obama noch Soetoro hieß

"Ach hören Sie, was soll denn das? Er war sechs Jahre alt, wir haben am Morgen das Vaterunser gebetet und uns bekreuzigt", sagt Obamas erste Lehrerin, Israella Darmawan, eine stolze Frau von 64 Jahren. Sie steht nun plötzlich im Rampenlicht und war schon in einer Talkshow des indonesischen Fernsehens. Als "Lehrerin Obamas" und Stargast. Die Indonesier lieben diese Saga um "unseren Barry": vom Schulhof im Süden Jakartas ins Weiße Haus in Washington. Für die meisten ist er ein Held. Sein Kopf war schon auf den Titelseiten aller Nachrichtenmagazine. In einem launigen Kommentar schrieb die Jakarta Post unlängst, angesichts des bescheidenen politischen Personals könne Indonesien nur hoffen, Obama verliere die US-Präsidentschaftswahl und trete dann 2009 bei der indonesischen an.

Mit Heiligenschein

Die Lehrerin kennt schöne Anekdoten, einige hat sie auf zwei Blättern aufgeschrieben, für die Medien, und mit ihrem Namen unterzeichnet. Es sind so schöne Anekdoten, dass sie geschönt wirken. "Er war der Größte der Klasse", sagt Israella Darmawan, "und er half mir immer beim Wandtafelputzen. Ich musste nicht einmal fragen." Natürlich war er höflich, fröhlich, gelehrig, etwas ungestüm zuweilen, charismatisch, ein geborener Anführer. Und einmal, als sie die Schüler bat, sie mögen ihre Zukunftswünsche aufschreiben, da notierte Barry: "Saya mau menjadi Presiden kalau sudah besar" - "Wenn ich groß bin, möchte ich Präsident werden." Sie ist ganz sicher, dass sie sich richtig erinnert.

Zwei Jahre war er an der Asisi. Dann wechselte er an die Besuki, eine Schule in Menteng, einem schönen, grünen Viertel im Zentrum Jakartas. Der Stiefvater hatte einen Job bei einer amerikanischen Ölfirma angenommen. Man konnte sich nun ein großes Haus leisten, 300 Quadratmeter. Und die Mutter hatte es nicht mehr so weit zur US-Botschaft, wo sie Geschäftsleuten Englischunterricht erteilte. "Es ist vieles anders geworden hier", sagt Rully Dassad. Er steht vor dem Zimmer IV, ihrem Zimmer, dem Schulzimmer von Mister Obama und Rully Dassad. Auf dem Dach der Schule thront gleißend die goldene Kuppel einer Massolah, eines muslimischen Gebetsraums. "Die Massolah gab es zu unserer Zeit noch nicht", sagt Rully. Und zu ihrer Zeit hätten auch nicht so viele Mädchen ein Kopftuch getragen wie jetzt. Er schüttelt energisch den Kopf, nein, so war das damals nicht.

Rully ist auf einer Mission. Er kämpft gegen den Schlamm, den man nach seinem Freund aus der Kindheit wirft und den er gerne mal wieder sähe, irgendwann, als Präsident dann. Er betet, er hofft, er kämpft gegen diese Verleumdungen im Internet, gegen diese Ungeheuerlichkeit, Besuki sei eine Madrassa. Alle paar Wochen treffen sich die früheren Schulkameraden Barrys. Sie haben ein Unterstützungskomitee gegründet und beraten. Eine ist Parlamentarierin, einer Geschäftsmann, ein weiterer Journalist. Und Rully ist Werbefotograf. Er gibt den Koordinator der Gruppe. Er hat eine Hochglanzbroschüre gestaltet, mit hartem Umschlag - fast ein Buch. Auf dem Titel ein Bild der Schule, davor versammelt die Klasse von damals, ein Titel "Good luck Barry!", ein Slogan "Unterstützung, Respekt, Solidarität".

Und auf Seite 4 erscheint der markante Kopf Barack Obamas, des erwachsenen Barack Obama. Rully hat das Bild seines Freundes weiß eingekreist - mit Schimmereffekt. Es sieht aus, als wäre es ein Heiligenschein. So ist es auch gedacht.

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