Süddeutsche Zeitung

Jürgen Rüttgers, CDU:Der Aussitzer vom Rhein

Lesezeit: 3 min

Wenn eine Mannschaft kurz vor Schluss führt, dann tut sie nur noch das Notwendigste, auf keinen Fall sucht sie die Offensive. Sonst könnte der Gegner ja zu Kontern eingeladen werden. Um den Wahlsieg der CDU in NRW nicht zu gefährden, taucht Jürgen Rüttgers ab.

Von Hans-Jörg Heims

Am Ende einer Legislaturperiode kommt unter den Abgeordneten immer so etwas wie Wehmut auf. Für ein paar Augenblicke herrscht parteiübergreifend Harmonie. So war das auch am Donnerstag: Der nordrhein-westfälische Landtag war zu der letzten Sitzung vor der Landtagswahl am 22. Mai zusammengekommen und besonders feierlich wurde es, als der CDU-Abgeordnete Hans-Ulrich Klose seine Rede beendet hatte.

Da erhoben sich alle Abgeordneten und zollten dem bundesweit dienstältesten Parlamentarier ihren Respekt. Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) schüttelte dem 70-Jährigen die Hand. Seit 39 Jahren saß Klose im Landtag. Er erlebte fünf Ministerpräsidenten und sah noch mehr Oppositionsführer kommen und gehen.

Kloses letzter Fraktionschef Jürgen Rüttgers fehlte allerdings in diesen bewegenden Minuten des Abschieds. Die einen sagten, sie hätten ihn in der Kantine gesehen, seine Mitarbeiter erklärten "der Käpt'n hatte wichtige Termine".

Bereits einen Tag zuvor hatte der CDU-Landeschef nicht nur bei den rot-grünen Koalitionsfraktionen die Frage provoziert: Wo ist Rüttgers? Am Mittwoch hatte der Landtag auf Antrag der FDP über die Kapitalismuskritik von SPD-Chef Franz Müntefering debattiert. Während Ministerpräsident Steinbrück fast 50 Minuten redete, kam sein Herausforderer nur auf eine Stippvisite in den Plenarsaal.

An seiner Stelle mussten der Parlamentarische Geschäftsführer Helmut Stahl und der wirtschaftspolitische Sprecher Helmut Linssen den Standpunkt der Opposition vertreten. "Nicht sehr geschickt", meinten selbst CDU-Abgeordnete, während die rot-grünen Koalitionäre im Hinblick auf die Ambitionen des CDU-Landeschefs spotteten: "Ein solcher Ministerpräsident taucht nix."

Doch das Schweigen ist wohl kalkuliert. Einen Monat vor der Landtagswahl liegt die CDU in den Umfragen zehn Prozentpunkte vor der SPD. Ein Machtwechsel scheint im bevölkerungsreichsten Land nach 39 Jahren greifbar nahe. In vier Wochen aber kann noch viel passieren, das hat die Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Februar erst bestätigt.

Die Taktik der Christdemokraten ist daher simpel und dem Fußball entlehnt: Wenn eine Mannschaft kurz vor Schluss führt, dann tut sie nur noch das Notwendigste, auf keinen Fall sucht sie die Offensive. Sonst könnte der Gegner ja zu Kontern eingeladen werden.

Rüttgers' derzeit unauffälliges Agieren hängt aber auch mit seinen persönlichen Werten im Vergleich der Spitzenkandidaten zusammen. Steinbrück liegt in den Umfragen bei 40 Prozent und damit über dem Wert für die SPD, welche die Demoskopen bei 35 Prozent sehen. Rüttgers kommt hingegen mit 29 Prozent nicht an die hohe Zustimmungsquote für die CDU von 45 Prozent heran.

Nachdem er im vergangenen Jahr mit widersprüchlichen Aussagen zu Hartz IV und zur Gesundheitspolitik mit dafür gesorgt hatte, dass die Umfragewerte der CDU vorübergehend zurückgingen, schweigt er nun, um den Wahlsieg nicht zu gefährden. Der "Zauderer vom Rhein", wie er verspottet wurde, ist zum "Aussitzer vom Rhein" mutiert. Pressekonferenzen sagt er ab, statt dessen verbreitet er vor ausgewählten Journalisten Zuversicht und gute Laune; sich nur ja nicht auf eine Position festlegen müssen, aus der dann der politische Gegner Honig saugen könnte.

Wie rutschig das mediale Parkett ist, erfuhr Rüttgers am Freitag nach seinem vorabendlichen Auftritt in der N24-Sendung "Studio Friedmann". Unter Berufung auf eine Mitteilung des Senders zitierten die Nachrichtenagenturen den CDU-Politiker mit dem Satz: "Ich glaube, dass die katholische Kirche und ihr Menschenbild das Richtige ist und anderen Religionen überlegen ist."

Kaum waren die entsprechenden Meldungen auf dem Markt, da stand der Steinbrück-Herausforderer auch schon massiv unter Druck. Nach wochenlangem Schweigegelübde sei Rüttgers wieder aufgetaucht und blase gleich zum Heiligen Krieg, erklärte das Führungsduo der Grünen, Britta Hasselmann und Frithjof Schmidt. Für SPD-Landeschef Harald Schartau zeugte "die Äußerung von einem intoleranten und verengten Weltbild".

Selbst der potenzielle Koalitionspartner FDP nutzte die Chance, um sich ein bisschen abzusetzen. Mit den Liberalen werde es in einer schwarz-gelben Landesregierung kein Gegeneinander der Religionen geben, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Marianne Thormann-Stahl. Vorsichtiger Protest kam auch aus der evangelischen Kirche im Rheinland.

Zu früh aus der Deckung?

Es dürfte Rüttgers in den nächsten Wochen nicht viel nutzen, dass er den umstrittenen Satz so nicht gesagt hat, sondern auf das bohrende Nachfragen von Moderator Michel Friedmann, ob die katholische Kirche und ihr Menschenbild anderen Religionen überlegen sei, geantwortet hatte: "Ich glaube, dass es das Richtige ist, wenn Sie wollen auch überlegen." Jedenfalls schwant auch in der CDU manchem, dass der Fernsehauftritt eine gefährliche Debatte auslösen könnte.

Schon während der TV-Sendung kursierten in der CDU-Führung besorgte SMS-Nachrichten. Und mancher fühlt sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass der ehemalige Bundesminister trotz seiner langen politischen Erfahrung die Schwachstelle in der Kampagne auf dem Weg zum Machtwechsel in Düsseldorf ist. Erinnerungen an die letzte Landtagswahl vor fünf Jahren werden wach. Damals waren es nicht nur die Folgen der CDU-Spendenaffäre, weshalb der Wahlsieg noch auf der Zielgerade verschenkt wurde, sondern auch Rüttgers Fehlgriff mit der "Kinder statt Inder"-Kampagne.

Diesmal ist der Vorsprung freilich noch größer als im Jahr 2000, und der SPD ist nicht viel eingefallen, wie sie ihre Anhänger mobilisieren will. Die Zeit arbeitete also bisher für die CDU. Hat sich Rüttgers nun unfreiwillig zu früh aus der Deckung gewagt? Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein habe gezeigt, dass die Wähler die Sachauseinandersetzung verlangten und die "Er-oder-Ich-Duelle" leid seien, hatte Generalsekretär Joachim Reck das Versteckspiel mit dem Spitzenkandidaten begründet.

Erst in der Schlussphase sollen Rüttgers-Plakate aufgestellt werden. Ein paar Plakate gibt es schon. Auf denen blickt der Mann, der sich als "neue Kraft" mit "neuen Ideen" empfiehlt, allerdings wie ein trauriger Hund und nicht wie ein künftiger Ministerpräsident drein.

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Quelle:
SZ vom 23. April 2005
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