Jüdisches Leben in Shanghai:Neue alte Gemeinschaft

In Shanghai hat sich in den vergangenen Jahren eine lebendige Gemeinschaft entwickelt - und zwar dort, wohin sich einst 20.000 Juden vor den Nazis flüchteten.

Jakob Tanner

Als Rabbi Shalom Greenberg 1998 von New York nach Shanghai kam und 150 Glaubensgenossen antraf, wusste er noch nicht, ob er sein Ziel erreichen würde. Als Anhänger der Chabad-Lubawitsch-Bewegung machte es sich der 27-Jährige zum Auftrag, eine religiöse Integrationsfigur für sie zu sein, ihnen jüdisches Leben zu ermöglichen. Heute, zehn Jahre später, gibt es in Shanghai wieder eine jüdische Community - Greenbergs Gemeinde zählt 2000 Menschen.

Jüdisches Leben in Shanghai: Aufbauarbeit: Dank Rabbi Shalom Greenberg existiert in Shanghai wieder jüdisches Leben.

Aufbauarbeit: Dank Rabbi Shalom Greenberg existiert in Shanghai wieder jüdisches Leben.

(Foto: Foto: Jakob Tanner)

"Die jüdische Gemeinschaft in Shanghai blüht richtig auf", sagt Greenberg nicht ohne Stolz, war es doch sein Verdienst, ihr wieder Leben einzuhauchen, so dass sich viele Juden in der boomenden Wirtschaftsmetropole niederließen.

Es gibt einen Kindergarten, Hebräischkurse für Kinder, einen Supermarkt mit koscheren Lebensmitteln, eine Mikwe, also ein jüdisches Ritualbad - und zu den Feiertagen dient die Villa des Shanghai Jewish Centers als Versammlungsort. "Viele haben gemerkt, dass man in Shanghai ein 'jüdisches' Leben führen kann. Und sind dann gekommen und geblieben. Studenten, Lehrer, Manager, Ärzte, Anwälte, Unternehmer, wir haben alles im Angebot", sagt Greenberg.

Flucht vor den Nazis

Doch die Geschichte der Juden in Shanghai begann schon weit vor Greenbergs Ankunft. Während die neue Generation freiwillig gekommen ist, blieb jener Vorgängergeneration in den 1930er Jahren praktisch keine andere Wahl. Rund 20.000 europäische Juden retteten sich vor den Nazis nach Shanghai.

Die Hafenstadt war in den dreißiger Jahren die einzige der Welt, für die man kein Einreisevisum brauchte. Doch selbst bis nach Shanghai reichte Hitlers Hass. Als die verbündeten Japaner im Jahr 1937 die Stadt besetzten, verfrachteten sie die geflüchteten Juden in den Stadtteil Hongkou und erklärten diesen zum Sperrbezirk: Das Shanghaier Ghetto war entstanden.

Obwohl die Japaner die Forderungen ihrer Verbündeten ignorierten und die Juden nicht ermordeten, litten die Flüchtlinge auch in Shanghai an den miserablen Lebensbedingungen und der Enge im Ghetto.

Tour durch die Vergangenheit

Einer, der diesen Teil der Stadtgeschichte am Leben erhalten will, ist Dvir Bar-Gal. Der Journalist und Fotograf aus Haifa organisiert Touren durch das historische "jüdische Shanghai". Er zeigt die Prachtbauten der reichen Juden aus Bagdad und Bombay - jene sephardischen Kaufmannsfamilien, die schon vor dem Flüchtlingsstrom in den dreißiger Jahren die Hafenstadt für sich entdeckt hatten und dort eine lebendige jüdische Kultur pflegten. Er führt auch in die Ohel-Moshe-Synagoge, die heute nur als Museum dient, und in das ehemalige Ghetto, in dem noch Spuren des jüdischen Lebens zu sehen sind.

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Neue alte Gemeinschaft

"'Nur Shanghai ist eine Möglichkeit' - so lautete in den dreißiger Jahren das Motto unter den europäischen Juden", erzählt Stadtführer Bar-Gal den Teilnehmern. Er steht im Huoshan-Park inmitten des einstigen Ghettos, in dem eine Gedenktafel an das Schicksal der Flüchtlinge erinnert.

Jüdisches Ghetto in Shanghai, Jakob Tanner

Noch viele Spuren künden von dem früheren Leben im jüdischen Ghetto in Shanghai.

(Foto: Foto: Jakob Tanner)

Die kommunistischen Chinesen haben lange Zeit nichts anfangen können mit den guten Taten ihrer Vorfahren. Erst langsam entdecken sie das historische "jüdische Shanghai" auch als Möglichkeit, Touristen eine weitere Sehenswürdigkeit in der an Sehenswürdigkeiten armen Stadt anzubieten - nicht zuletzt wegen des Engagements Bar-Gals, an dessen wöchentliche Touren durch das ehemalige Ghetto sich die heutigen chinesischen Bewohner gewöhnt zu haben scheinen.

Durch alte Häuserschluchten und enge Gässchen führt der Hobbyhistoriker seine Touristen. "Manchmal", erzählt Bar-Gal, "ist auch jemand dabei, der zurückkehrt an den Ort seiner Kindheit. Dann lasse ich das Erzählen und lausche seinen Erinnerungen an das Leben im Ghetto."

Diplomatisch verpackte Kritik

Und wie einfach ist es heute, ein jüdisches Leben in Shanghai zu führen? Rabbi Greenberg ist ein diplomatischer Mann. Man merkt, er ist schon zu lange in China, um bei dieser Frage einfach draufloszuplappern. "Ich bin den Chinesen dankbar, dass wir hier in unserem Rahmen unsere Religion praktizieren dürfen. Im Prinzip gilt hier die Regel: Don't bother us, we won't bother you." Wenn ihr uns nicht belästigt, werden wir euch auch nicht belästigen. Missionarsarbeit kommt für Greenberg daher genauso wenig in Frage wie Äußerungen zur Politik. Und doch: Man merkt schnell, dass der Rabbi nicht mit allem ganz im Reinen ist. Eine Sache ist da, die ihn stört.

Mit der Ohel-Rachel-Synagoge steht in Shanghai ein altes, immer noch intaktes Gotteshaus. 1920 vom sephardischen Kaufmann Jacob Elias Sassoon erbaut, wäre die Synagoge der perfekte, weil auch geschichtsträchtige Ort, an dem der Rabbi am liebsten seine Gottesdienste abhalten würde. Doch seine Gemeinde darf nur drei bis vier Mal im Jahr zu besonderen Anlässen die Synagoge benutzen, die heute dem Staat gehört.

Das Judentum ist nicht anerkannt

"Ich muss Verständnis haben. In China zählt das Judentum nicht zu den offiziell anerkannten Religionen. Uns Staatsbesitz zu überlassen, würde bedeuten, uns als Religion anzuerkennen und so der eigenen Doktrin zu widersprechen."

Und dennoch wirkt der Rabbi etwas enttäuscht bei dem Thema: "Uns wurde aber auch versprochen, dass sich die Stadt wenigstens um die Instandhaltung kümmern werde. Und was ist passiert? Gar nichts: Jedes Jahr betreten wir die Synagoge und müssen mit ansehen, wie sie immer mehr zerfällt."

Er hoffe schon seit Jahren insgeheim darauf, die Synagoge wieder regelmäßig nutzen zu dürfen. Zähe Verhandlungen stehen ihm noch bevor, sagt Greenberg. Ob er sein Ziel erreichen wird, weiß er nicht. Ein bisschen ist es so wie vor zehn Jahren.

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