Judentum:Obergrenzen für Antisemitismus?

Der Präsident des Zentralrats der Juden fordert, die Zahl muslimischer Flüchtlinge zu begrenzen. Dabei würde dies beim Kampf gegen Judenhass kaum helfen.

Von Matthias Drobinski

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, fordert nun eine Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland. Das ist erst einmal bedenkenswert. Schuster überlegt gut, was er sagt. Er hat im Mai erklärt, Deutschland könne es sich nicht leisten, Flüchtlinge abzulehnen, und noch im September hinzugefügt: "Wir Juden wissen, wie bitter Flucht ist." Nun, in einem Gespräch mit der Welt, sagt er, viele Flüchtlinge entstammten "Kulturen, in denen der Hass auf die Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil" seien; deshalb würden zu viele von ihnen die Gesellschaft zum Schlechten verändern. Das ist schon ein tief greifender Wandel seiner Haltung.

Die Sorge des Zentralratspräsidenten liegt auf der Hand: Im gesamten Nahen Osten sind Antisemitismus und Israelfeindschaft inoffizielle Staatsraison. Die Protokolle der Weisen von Zion gelten als historisches Dokument; im ägyptischen Fernsehen wird behauptet, israelische Ärzte schnitten palästinensischen Kindern Organe aus dem Leib und verkauften sie dann, Schüler in Kuwait dürfen im Unterricht feierlich Israel von der Landkarte radieren. Niemand weiß, wie viel dieser Propaganda in den Köpfen der Menschen steckt, die nun kommen, auch, wenn sie vor dem IS geflohen sind - egal übrigens auch, ob sie Christen oder Muslime sind. Verständlich, dass da viele Juden das Gefühl beschleicht: Der ohnehin dünne Boden, auf dem wir stehen, wird noch dünner. Die Anti-Israel-Demonstrationen im Sommer 2014, wo der Protest gegen den Gaza-Krieg ins Antisemitische kippte, sind unvergessen.

Flüchtlinge sind weder Wurzel noch Kern des Problems

Nur - abgesehen von der Frage, wie viel Rechtsstaat und Menschlichkeit auf der Strecke bleiben, wenn man eine konkrete Obergrenze durchsetzen möchte: Den Antisemitismus begrenzt oder beseitigt diese Obergrenze auf keinen Fall. Der Antisemitismus ist schon da. Es gibt ihn unter den eingewanderten Palästinensern und Arabern, und je länger der Nahostkonflikt dauert, desto tiefer kriecht er ins kollektive Bewusstsein. Es gibt ihn aber vor allem und unausrottbar unter den alten wie den neuen Nazis - und viele Untersuchungen besagen: Diese Mischung aus Rassismus und Hass auf alles Fremde ist nach wie vor die bei Weitem stärkste, aggressivste und am tiefsten verwurzelte Form des Antisemitismus. Und es gibt, auch das zunehmend, eine ziemlich bürgerliche Form der Judenfeindschaft, bei der die legitime und notwendige Kritik an der israelischen Regierungspolitik zum Stereotyp mutiert.

Allen diesen Stereotypen andere Bilder entgegenzusetzen, ist nicht allein die Aufgabe der Juden in Deutschland, es ist die Aufgabe der gesamten Politik und Gesellschaft, des Bildungssystems, der Medien - und notfalls der Polizei und Staatsanwaltschaft, des Verfassungsschutzes. Die Flüchtlinge, die, wenn sie viel Glück haben, in Deutschland den ersten leibhaftigen Juden ihres Leben sehen werden, machen diese Aufgabe nicht leichter. Sie sind aber weder die Wurzel noch der Kern des Problems.

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