Juden in Deutschland:Es knackt

Antisemitismus wächst. Und die Taubheit ihm gegenüber.

Von Matthias Drobinski

Ausgerechnet in Deutschland fühlen sich Juden nicht sicher. Ausgerechnet hier, wo der Kampf gegen Antisemitismus mehr als anderswo ein Staatsziel ist, sagen 41 Prozent der Befragten, sie seien im vergangenen Jahr mit judenfeindlichen Belästigungen konfrontiert gewesen. Da beruhigt es nicht, dass in der EU-weiten Umfrage nur drei Prozent von tätlichen Angriffen berichten: Es denken viele Juden in Deutschland wieder übers Auswandern nach.

Dabei passiert, zynisch gesagt, in Deutschland nichts anderes als anderswo in der EU: Die alten und neuen Rechten pflegen ihre Vorurteile, es gibt den Antisemitismus unter Einwanderern, den stereotypen Antizionismus der Linken - all das verstärkt durchs Internet. In Deutschland aber hat das doppelte Wirkung. Hier leben Juden und Nichtjuden seit der Shoah in einer "negativen Symbiose" zusammen, wie der Historiker Dan Diner es formulierte: Man ist aneinander gebunden durch den Zivilisationsbruch, das Zusammenleben steht auf dünnem Eis.

Es knackt, das Eis, sagen viele Juden. "Wir hören nichts", schallt es zurück, "habt euch nicht so!" Diese Schwerhörigkeit macht vielen Juden Angst, die Unempfindlichkeit, die Gleichgültigkeit gegenüber denen, die wissen, wie "die Juden" so sind. Genauso wie der offene Antisemitismus.

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