Juden in Deutschland:"Der Antisemitismus ist da und er macht mir Angst"

Kundgebung gegen Judenhass

Auf einer Kundgebung gegen Judenhass im vergangenen Jahr in Berlin

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie fühlt es sich an, als Jude heute in Deutschland zu leben? Der Satiriker Shahak Shapira und drei weitere Menschen zwischen 20 und 102 erzählen von Sorgen und Antisemitismus, von Liberalität und einer ambivalenten Liebe.

Protokolle von Oliver Das Gupta, Berlin

Shahak Shapira, Satiriker und Art Director im Bereich Design und Werbung in Berlin, 27 Jahre.

In Deutschland lebt es sich als Jude ganz gut. Im internationalen Vergleich ist die Judenfeindlichkeit hier eher gering. Wobei man nicht vergessen darf, dass Deutschland wegen seiner Vergangenheit auch unter besonderer Beobachtung steht. Dieses Land wird nicht so beurteilt, wie andere Länder - und ich finde das gut und richtig.

Es gibt eine historische Verantwortung, das sollten auch diejenigen Jugendlichen wissen, die sich darüber beschweren, dass ihnen in der Schule zu viel vom Holocaust erzählt wird. Wer hierzulande so etwas wie Nationalstolz empfindet, der sollte nicht nur jubeln, wenn die deutsche Fußballelf Weltmeister wird, kann sich auch mit solchen unangenehmen Sachen auseinandersetzen.

Juden in Deutschland: Lebt gerne in Berlin: Shahak Shapira

Lebt gerne in Berlin: Shahak Shapira

(Foto: Oliver Das Gupta)

Es gibt Dinge, die mich in Deutschland stören. Da ist die Asylpolitik, der Umgang mit Flüchtlingen. Die Verantwortung für deren Aufnahme besteht auch deswegen, weil Deutschland die Waffen verkauft, vor denen diese Menschen fliehen müssen.

Hier gehen erstaunlich viele Menschen auf die Straße, um gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu protestieren. Und die restliche Mehrheit - mich inbegriffen - schaut mehr oder weniger zu.

Allein der Gedanke daran, dass der eigene Lebensstandard durch die Flüchtlinge nur im Geringsten bedroht sein könnte (was überhaupt nicht der Fall ist), treibt uns in den Wahnsinn. Das ist schon eine Humanität für sich, nur eine recht beschissene.

In Europa leben wir in der ersten Welt, uns geht es gut. Aber Deutschland gehört nicht zu den Ländern, die viele Flüchtlinge aufnehmen. In Europa leben mehr als 500 Millionen, in Deutschland 80 Millionen. Und in diesen Tagen streiten sich EU-Politiker ernsthaft über die Verteilung von 40 000 Flüchtlingen.

Berlin ist vielfältig, liberal und multikulturell, aber diese Stadt spiegelt nicht den Rest von Deutschland wider. Dort, wo ich aufgewachsen bin, ist ein ganz anderes Pflaster. In diesem Ort in Sachsen-Anhalt hat die NPD bei Wahlen mehr als 13,5 Prozent bekommen. Ich hab mich gefragt, was Holocaust-Überlebende bei solchen politischen Stimmungen empfinden.

Ich lebe sehr gerne in Berlin und vielen jüdischen Menschen geht es auch so. Übrigens habe ich inzwischen den Eindruck, dass viele wie ich besonders gerne in Neukölln und Kreuzberg wohnen - also Stadtteile, die von Muslimhassern immer als Drohkulisse benutzt werden.

Mit einer Sache in Deutschland bin ich selten zufrieden: mit dem Essen. Da gibt es noch Luft nach oben."

Shapira wurde in der Neujahrsnacht angegriffen, weil er junge Männer stoppen wollte, die antijüdische und antiisraelische Parolen sangen. Hier ein Interview dazu.

Ingeborg Syllm-Rapoport, Medizinerin aus Berlin, 102 Jahre.

"Heute kommt es in Deutschland immer wieder vor, dass jüdische Friedhöfe geschändet und Synagogen beschädigt werden. Menschen werden angegriffen, nur weil sie Juden sind. Das empört mich. Unser fürchterliches Exempel vor 1945 hält manche Leute nicht von solchen Taten ab.

Nach dem Krieg wollte ich nicht nach Westdeutschland. Die Richter waren dort auf ihren Posten belassen worden und in der Politik machten auch Alt-Nazis Karriere. Die NS-Zeit wurde dort lange Zeit so gut wie gar nicht aufgearbeitet.

Juden in Deutschland: 1912 in der damaligen deutschen Kolonie Kamerun geboren: Ingeborg Rapoport

1912 in der damaligen deutschen Kolonie Kamerun geboren: Ingeborg Rapoport

(Foto: Oliver Das Gupta)

Mein Mann Samuel Mitja Rapoport und ich gingen als Kommunisten in die DDR und wollten als Wissenschaftler das bessere, gerechte Deutschland aufbauen.

Ich habe es in der DDR als große Erleichterung empfunden, dass überhaupt nicht mehr darüber gesprochen wurde, ob jemand nun jüdischer Herkunft ist oder nicht. Es war einfach kein Thema mehr, man war einfach Bürger. Unterirdisch gab es natürlich auch in der DDR noch Antisemitismus.

Im Sozialismus sollte es ja keinen Antisemitismus geben. Doch mein Mann und ich hatten zwei unschöne Erlebnisse. Einmal hat sich ein Kollege an der Charité abfällig über mich geäußert. Wir haben das dann unter sechs Augen geklärt. Und mein Mann hat in einem Hörsaal, in dem er Vorlesungen hielt, auf einem Tisch antisemitische Einkerbungen gesehen. Er hat das nicht der Obrigkeit gemeldet, sondern hat das offen vor seinen Studenten thematisiert und die haben diese Sachen dann selbstständig entfernt.

Nach der Wende habe ich selbst keinen Fall von Judenfeindlichkeit erlebt, aber leider meine jüngste Tochter. Sie hat schwarze Haare und dunkle Augen. Mitte der neunziger Jahre saß sie hier in Berlin in der U-Bahn und wurde von einem Mann gemustert. Er sagte dann: "Sie sehen aber jüdisch aus, ich will mich lieber wegsetzen".

Obgleich ich heute in Deutschland große Anstrengungen sehe, den Antisemitismus zu bekämpfen, gibt es immer noch Judenfeindlichkeit: Sie ist dumpf, primitiv und man kommt ihr schwer mit Argumenten bei.

Der Antisemitismus ist da und er macht mir Angst. Mir bereitet auch Sorge, wie man in Deutschland Muslime und Flüchtlinge behandelt. Wir sollten uns bewusst sein: Auch die kleinsten Dinge können zu etwas Schrecklichem führen. Die NS-Zeit hat gezeigt, dass ein kultiviertes Land in die Barbarei abdriften kann.

Mir ist klar, dass man Antisemitismus nicht mit einem Dekret beenden kann. Das dauert lange, das ist eine Jahrhundertaufgabe."

Wegen Ihrer jüdischen Mutter durfte Ingeborg Rapoport 1938 nicht promovieren, sie emigrierte 1938 in die USA. Später wurde sie Professorin in der DDR. 2015 wurde ihre von den Nazis abgelehnte Doktorarbeit endlich anerkannt. Mehr zur Vita von Ingeborg Rapoport in diesem Text.

"In die Fresse hat mir noch niemand gehauen"

Juden in Deutschland: Küf Kaufmann ist seit Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde.

Küf Kaufmann ist seit Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde.

(Foto: privat)

Küf Kauffmann, Autor und Künstler aus Leipzig, 68 Jahre. Kauffmann kam in der Sowjetunion zur Welt.

"Ich habe von Deutschland zwei 'persönliche' Bilder gehabt: ein Traumbild von der BRD, wo ich nie gewesen bin, und ein realistisches Bild von der DDR, wo ich vielmals (zu Gastspielen) gewesen bin und viele Freunde gehabt habe.

Ich habe die Zeit der Wende in der Gesellschaft von meinen Künstlerkollegen vom Berliner Friedrichstadt-Palast, die 1989 in Leningrad auf der Bühne unseres Revue-Theater "Musik-Hall" ein Gastspiel hatten, erlebt.

In diesem Moment hat keiner von uns an die Wiedervereinigung gedacht. Aber als es passierte, habe ich genauso wie meine Freunde Begeisterung empfunden. Die Ernüchterung kam später...

Ich fühle mich in der Bundesrepublik wohl. Als Jude spüre ich jeden Gestank von Antisemitismus von fern, wahrscheinlich ist meine Nase dafür besonders empfindlich. In die Fresse hat mir noch niemand gehauen.

Ob es 70 Jahre nach der Shoa eine gewisse Normalität für jüdisches Leben in Deutschland gibt? Ich bin sicher, dass wir auf dem gemeinsamen Weg zur Normalität sind. Wichtig ist, dass die Hindernisse, die ab und zu auf uns zukommen, mutig überwunden werden."

Katharina, Jura-Studentin aus Hamburg, 20 Jahre.

"Es ist meine Privatsache, was ich glaube und wer meine Vorfahren sind. Ich gehe nicht offensiv damit um, dass ich jüdische Wurzeln habe. Die Menschen sollen mich erst mal als Menschen sehen und nicht als Anhänger einer Gemeinschaft.

Vor ein paar Jahren habe ich einer Freundin davon erzählt. Sie hat mir daraufhin die Freundschaft gekündigt. Ihre Begründung war, dass sie nicht damit einverstanden ist, wie die israelische Regierung mit den Palästinensern umgeht. Ihr Verhalten machte mich traurig und fassungslos.

Sie warf Staat und Religion in einen Topf. Dieses Phänomen ist leider immer wieder zu beobachten. Natürlich haben jüdische Menschen eine besondere Beziehung zu Israel - aber wir sind doch nicht dafür verantwortlich, was die israelische Regierung macht.

Zu Deutschland habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits liebe ich es. Man genießt hier so viele Freiheiten, die man in anderen Ländern nicht hat. Ich engagiere mich, sogar politisch. Ich bin Mitglied in der Union.

Auf der anderen Seite schwebt die Nazi-Vergangenheit. Viele Deutsche sind unsicher im Umgang mit jüdischen Menschen, manchmal spürt man auch Misstrauen. Das macht es oft schwer, unbefangen und unverkrampft miteinander umzugehen.

Bestimmte Strömungen in Deutschland bereiten mir Sorge, besonders die Pegida-Leute. Sie geben vor für Israel zu sein, aber solche Freunde braucht niemand, der demokratisch und liberal tickt. Wenn gegen Flüchtlinge und Ausländer gehetzt wird, fühle ich mich auch selbst angegriffen. Den Angegriffenen gehört meine Solidarität.

Für mich überwiegt das Positive in Deutschland. Gerade mit Jüngeren habe ich sehr positive Erfahrungen gemacht. Die meisten finden es schön, einen jüdischen Menschen kennenzulernen und wollen mehr wissen. Ich lerne so viele Leute kennen, die offen sind und keine Vorurteile haben.

Natürlich gibt es auch Probleme mit Menschen, die nichtdeutsche Wurzeln haben, aber meistens funktioniert die Integration ganz gut. Die digitale Welt hilft bei dieser Entwicklung."

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