Süddeutsche Zeitung

Jubiläum in Rom:Was Europa eint

60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge ist die EU mehr als ein Staatenbund. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist groß - aber auch Kräfte von außen halten Europa zusammen.

Kommentar von Daniel Brössler

Bemerkenswert an der Jubiläumsfeier der Europäischen Union an diesem Samstag in Rom ist, dass sie stattfindet. Die Zusammenkunft von Häuptern der Staaten und der Gemeinschaft zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge ist das Ergebnis einer schweren Geburt. Neun Monate sind vergangen seit dem Votum der Briten für den Austritt aus der EU. Es war eine Zeit der Qualen, der Zumutungen, aber eben auch einer Einsicht: Die Kräfte, die diese Union auseinanderreißen wollen, sind stark. Aber jene, die sie zusammenhalten, sind stärker. Wenn der Erfolg der vor 60 Jahren begonnenen europäischen Einigung ein großes Wunder darstellt, dann markiert das vergangene Dreivierteljahr zumindest ein kleines.

Zwar hat der Brexit für Ernüchterung gesorgt, aber das eben nicht nur im negativen Sinne. In der Vorbereitung auf die komplizierten Verhandlungen mit London wird klar, wie außerordentlich verwoben die Mitglieder der Union miteinander sind. Sie bilden viel mehr als einen Staatenbund und lassen sich ohne größte Schäden nicht voneinander trennen. Das gilt volkswirtschaftlich, aber auch ganz praktisch für den Alltag der Menschen. Es ist das Recht jeder Nation, sich von der Union zu lösen. Aber es müsste auch die Pflicht sein, das rational zu begründen. Umfragen zeigen jedenfalls, dass die übergroße Mehrheit der Menschen in der EU dem Beispiel der Briten nicht folgen will. Eine wesentliche Kraft, welche die EU zusammenhält, ist die Vernunft.

Eine weitere kommt von außen. In den vergangenen Monaten hat sich ein Wandel bemerkbar gemacht. Die Skepsis, wie sie sich im erbitterten Widerstand gegen Freihandelsabkommen wie jenes mit Kanada gezeigt hat, ist zwar nicht verschwunden. Das Misstrauen gegenüber einer EU, die als Helfershelfer einer als bedrohlich empfundenen Globalisierung gesehen wird, lebt. Mit Wladimir Putin im Osten, Recep Tayyip Erdoğan im Süden und Donald Trump im Westen aber dürfte nur eine Minderheit der Europäer das Zentrum übler Machenschaften ausgerechnet in Brüssel verorten. Bei aller Unzulänglichkeit gewinnt die EU als Schutzraum wieder an Bedeutung. Das heißt nicht, dass sie die Nato als Verteidigungsbündnis ablösen kann oder soll. Es bedeutet aber, dass die Union wehrhafter werden muss, worüber sich im Übrigen so unterschiedliche Politikercharaktere wie Angela Merkel und Viktor Orbán einig sind.

Zur Macht der Vernunft und dem Druck von außen kommt eine dritte Kraft, die sich gerade in vielen Städten auf den Plätzen bemerkbar macht. Wenn sich junge Leute weigern, den öffentlichen Raum den Nationalisten zu überlassen, so tun sie es vermutlich nicht aus Begeisterung für die Segnungen des Binnenmarktes. Es gibt ein Zusammengehörigkeitsgefühl und bei einer wachsenden Gruppe auch das Bewusstsein, dass diese Zusammengehörigkeit Verteidiger braucht. Auch hier verrichtet der Brexit seinen bitteren Dienst als abschreckendes Beispiel. In Irland wird sich zeigen, was es bedeuten kann, wenn Grenzen wieder errichtet werden. Der Wert der EU als Friedensprojekt ist gerade im Begriff, auch von jungen Europäern wieder entdeckt zu werden.

Nicht auf die Erklärung von Rom kommt es also an. Sie stärkt weniger den Zusammenhalt Europas als - im besten Fall - den Teamgeist der Staats- und Regierungschefs, die sie auf ein paar Aufgaben für die nächsten zehn Jahre verpflichtet. Entscheidend wird sein, ob die Kräfte gebündelt werden, die die Europäische Union zusammenhalten. Fast sieht es so aus. Das darf gefeiert werden.

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SZ vom 25.03.2017/vbol
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