Was wusste Joseph Ratzinger im Missbrauchsskandal über den Wiederholungstäter Priester H.? Diese ohnehin brisante Frage bekommt neuen Zündstoff durch einen nun bekannt gewordenen Schriftwechsel, über den die Rechercheplattform Correctiv und der Bayerische Rundfunk berichten.
Wie das Erzbistum München und Freising bestätigte, erteilte Ratzinger 1986 als Chef der Glaubenskongregation dem Skandalpriester in einem von ihm selbst unterschriebenen Brief die Erlaubnis, die Heilige Messe mit Traubensaft statt mit Wein zu feiern. Das Erzbistum hatte zuvor um diese Sondererlaubnis gebeten und die Bitte damit begründet, dass der Priester unter Alkoholeinfluss Straftaten nach den Paragrafen 174, 176 und 184 des Strafgesetzbuches (StGB) begangen habe. Die Paragrafen behandeln sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung pornografischer Inhalte.
Der Priester H. war 1980 nach Missbrauchsvorwürfen gegen ihn aus Nordrhein-Westfalen in das Erzbistum München und Freising versetzt worden. Damals war Kardinal Ratzinger dort Erzbischof. Der spätere Papst Benedikt XVI. hatte zu Lebzeiten stets bestritten, damals von den Vorwürfen gegen H. gewusst zu haben. Ratzinger ist an Silvester vergangenen Jahres verstorben.
H. wurde nach seiner Versetzung rückfällig und 1986 - dem Jahr des Schriftwechselns des Erzbistums mit Ratzinger - vom Amtsgericht Ebersberg wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 4000 Mark verurteilt.
Trotzdem wurde H. danach wieder als Pfarrer eingesetzt - und missbrauchte in Garching an der Alz erneut Kinder. Eines seiner Opfer hat H. verklagt und wegen Vertuschungsvorwürfen auch das Erzbistum München sowie die früheren Kardinäle Ratzinger und Friedrich Wetter. Am 28. März soll es am Landgericht Traunstein eine Verhandlung dazu geben.
Der Fall H. war der prominenteste im Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) über sexuelle Gewalt im Erzbistum München und Freising, das im vergangenen Jahr Schlagzeilen machte. Der Kanzlei habe auch der nun bekannt gewordene Schriftwechsel vorgelegen, sagte der Sprecher des Erzbistums. In dem Gutachten kommt der allerdings nicht vor - offenbar, weil er vom Untersuchungsauftrag nicht umfasst war.