Josef Hader im Gespräch:"Einen liberalen Patriotismus hat es in Österreich einfach nicht gegeben"

Eure deutschen Probleme hätten wir Österreicher gerne, sagt Josef Hader. Im SZ-Gespräch erklärt der Kabarettist, warum in seiner Heimat Rechtspopulismus erfolgreich ist - und rechnet mit den "weltfremden Nieten" in der Kirche ab.

Lilith Volkert und Oliver Das Gupta

Josef Hader ist im deutschsprachigen Raum einer der besten und erfolgreichsten Kabarettisten unserer Zeit. Der 1962 in Oberösterreich geborene Bauernsohn ist ein Multitalent: Hader hat sich auch als Schauspieler und Autor einen Namen gemacht. Für den Film "Der Aufschneider" schrieb er am Drehbuch mit und übernahm die Hauptrolle: einen grantigen Pathologen; der zweiteilige Streifen wird am 13. und 16. April im österreichischen Fernsehen ausgestrahlt.

Kabarettist Österreich Knochenmann Fotos: © Dor Filmproduktion/Petro Domenigg FILMSTILLS.AT

Kabarettist, Schauspieler, Ex-Klosterschüler: Josef Hader, hier in der Rolle des Simon Brenner im Film "Der Knochenmann"

(Foto: Foto: Dor Filmproduktion/Petro Domenigg FILMSTILLS.AT)

Die Schauspielerei ist eigentlich nur Beiwerk zum Kabarett: Derzeit tourt er mit seinen Programmen "Hader muss weg" und "Hader spielt Hader".

Das folgende Gespräch findet nach einem Auftritt in München statt. Josef Hader hadert noch ein wenig mit seiner Performance, die quietschende Klotür zehrte an der Konzentration, auch die wummernden Bässe eines nahen Hiphop-Konzertes. Dann, es ist kurz vor Mitternacht, bestellt er sich Tee und Mangoschorle in einem kleinen Schwabinger Lokal - und legt los.

SZ.de: Herr Hader, Sie waren Ministrant, Chorsänger, Organist und Mesner im Knabenseminar des Klosters Stift Melk.

Josef Hader: Schön, dass Sie den Bettnässer weggelassen haben.

SZ.de: Wie hat Sie das Leben im katholischen Internat geprägt?

Hader: Ich habe dort alles gelernt, was ein Kabarettist können muss: Mittelmäßig singen, schlecht Klavier spielen, ein bisschen Theater machen. Das war eine tolle Ausbildung. Aber in seelischer Hinsicht war es sehr schwierig.

SZ.de: Wurden Sie hart rangenommen?

Hader: Nein, im Stift Melk ging es sehr liberal zu. Uns wurde beigebracht, Autorität nur zu akzeptieren, wenn sie auf der Persönlichkeit eines Menschen beruht, nicht auf Hierarchie. Aber mit zehn Jahren von den Eltern getrennt zu werden, das habe ich nicht gut verkraftet.

SZ.de: Gab es Schläge?

Hader: Von den Erziehern? Niemals! Aber in einem anderen Internat, in Horn, war zur selben Zeit eine völlig andere Stimmung, dort war alles viel, viel strenger. Ich weiß das, weil ein Bekannter dort war, wir haben unsere Erinnerungen verglichen. Das war, als redeten wir über komplett verschiedene Zeiten.

SZ.de: Immerhin haben Sie darüber gesprochen. Viele, die schlechte Erfahrungen gemacht haben oder sogar misshandelt wurden, schweigen.

Hader: Ich glaube, das eine hat mit dem anderen zu tun. Je konservativer es zugeht, je weniger man Religion und Autoritäten hinterfragen kann, desto eher kann es zu Gewalt und Missbrauch kommen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass früher fast nur Kinder von tiefkatholischen Bauern diese Schulen besucht haben, so wie ich. Wenn man nie gelernt hat, Dinge zu hinterfragen und dann auf absolute Autoritätsgläubigkeit trifft, ergibt das oft eine fatale Mischung.

SZ.de: Stimmt es, dass Sie früher Priester werden wollten?

Hader: Ja, als ich Ministrant war, mit acht oder neun Jahren. Aber wahrscheinlich nur deswegen, weil ich vorne stehen und die Hauptrolle spielen wollte. Das habe ich dann ja auch anders geschafft.

SZ.de: Mehr steckte nicht dahinter?

Hader: In religiöser Hinsicht nicht, nein. Mit dem Kinderglauben habe ich später den Glauben an sich verloren.

SZ.de: Trotzdem sind Sie nach wie vor in der Kirche?

Hader: Das liegt nur an einigen tollen Leuten, die ich von damals noch kenne. Die führen seit dreißig Jahren einen verzweifelten Abwehrkampf und versuchen zu verhindern, dass die Kirche ins 19. Jahrhundert zurückfällt.

SZ.de: Ein ziemlich hoffnungsloses Ringen.

Hader: Sieht so aus. Einer der Priester sagte uns Mitte der siebziger Jahre, wie leid es ihm täte, dass er schon so alt sei. Er wollte die Öffnung der Kirche, die gerade erst begonnen hatte, noch weiter mitbekommen. Und was musste er erleben? Ab 1978, mit der Papstwahl Karol Wojtylas, wurde plötzlich wieder alles ganz eng. Und wenn man sich anschaut, was für weltfremde Nieten in den letzten Jahren in hohe kirchliche Ämter gekommen sind, dann kann es einen nicht wundern, wie überfordert die Kirche mit dem Missbrauchsskandal ist. Mehr als beten gehen scheint denen nicht einzufallen.

"Helmut Schmidt würde heute entnervt in den Bezirksgremien das Handtuch werfen"

SZ.de: Unabhängig von den Missbrauchsfällen - es gibt doch auch progressive Stimmen in der Kirche.

Hader: Machen wir uns nichts vor: In Wirklichkeit ist das ein Unterschied zwischen rechts und ultrarechts. Diese Leute wären in den siebziger Jahren alle konservativ gewesen. Wirklich Liberale gibt es in der katholischen Kirche nicht mehr. Die kommen gar nicht rauf in hohe Ämter.

SZ.de: Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn erkennt die Schuld der Kirche am Missbrauch von Kindern an, die Bischöfe von Innsbruck und Salzburg denken laut über ein Ende des Zölibats nach. Ist das kein Fortschritt?

Hader: Das zeigt nur, wie weit der Kirche das Wasser schon bis zum Hals steht. Immer mehr Leute treten aus, das merken die auch am Geld. Und dann kommen sie ganz vorsichtig mit solchen Gedanken.

SZ.de: Welche Rolle spielt das Zölibat?

Hader: Da geht es um reinen Machterhalt, Glaubensinhalte spielen keine Rolle.

SZ.de: Die Ehelosigkeit als Herrschaftsinstrument?

Hader: So ist es. Mit unverheirateten Männern, die rund um den Erdball verstreut sind, kann man eine tolle Hierarchie aufbauen. Frauen oder verheiratete Männern würden da nicht mitmachen. Der Kirche ist ihre Macht so wichtig, dass sie dafür in Kauf nimmt, dass ihr die Priester ausgehen.

SZ.de: Kann man im Kabarett über sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche sprechen?

Hader: Man kann jedes Thema im Kabarett behandeln, wenn man es richtig anfasst. Ich habe auch nach dem 11. September 2001 über die Anschläge in New York geredet und dann gefragt, wie viele Menschen wohl jeden Tag sterben, weil sie kein sauberes Trinkwasser haben. Aber jetzt über die Kirche herzuziehen, das entspricht nicht meinem Verständnis von Kabarett.

SZ.de: Warum nicht?

Hader: Ich will die Leute im Publikum und ihre Überzeugungen angreifen. Wenn ich Kabarett für Katholiken machen würde, müsste ich mich mit dem Missbrauch auseinandersetzen. Meine eh schon kritischen Besucher in ihren Ansichten über die Kirche zu bestätigen, das reizt mich gar nicht.

SZ.de: Was rät der Katholik Josef Hader seiner Kirche angesichts der Krise?

Hader: Erst mal: Es ist schon richtig, dass die Kirche in der Krise ist. Sie hat sich dreißig Jahre lang von der Gesellschaft abgeschnitten, da ist es kein Wunder, dass sie keine Relevanz mehr hat. Sie sollte diese Chance auf Veränderung ergreifen, zum Beispiel durch einen Kurswechsel bei der nächsten Papstwahl. Aber wenn man sich vorstellt, was für Kardinäle in den letzten 30 Jahren vom polnischen und vom deutschen Papst ernannt worden sind, muss man dafür schwarzsehen.

Und die Kirche leidet dazu noch an demselben Ausdünnungs-Problem wie die Parteien: Die wirklich Talentierten wollen heutzutage woanders Karriere machen als in einer Kirche oder einer Partei. Drum sind dort jetzt Leute in Spitzenpositionen, die vor einer Generation bestenfalls Sekretäre gewesen wären.

SZ.de: Haben Sie eine Erklärung, warum das so ist?

Hader: Zunächst einmal ist das Image von Politikern und Priestern ziemlich gleichrangig im Keller. Das tut sich niemand an, der auch was anderes werden kann. Und zweitens muss man heutzutage in der Politik viel aushalten. Da muss man sich 20 Jahre durch blödsinnige Gremien langsam hocharbeiten - ohne dass man wahnsinnig wird, einen roten Kopf bekommt und die Türen zuknallt -, was jeder normale Mensch tun würde.

Diese Leute haben in erster Linie Durchhaltevermögen, aber oft fehlen ihnen die Begabungen, die ganz oben gefragt wären. Das ist das große Problem der etablierten Demokratie. Jemand wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt würde heutzutage entnervt in den Bezirksgremien das Handtuch werfen.

SZ.de: Ein Problem der österreichischen Politik scheint zu sein, dass der Ton äußerst rüde ist - eine Folge des florierenden Rechtspopulismus. Warum hat er in Ihrer Heimat so großen Erfolg?

Hader: Einen liberalen Patriotismus hat es in Österreich einfach nicht gegeben. Heimatverbundenheit bedeutete bei uns schon immer, deutsch-national zu sein. Aber dieser Nationalismus ist nicht spezifisch österreichisch. Wenn ich Italien, Tschechien, die Slowakei anschaue, oder Ungarn, und Frankreich, muss ich feststellen: Da greifen dieselben Reflexe.

SZ.de: In den genannten Ländern gibt es rechtspopulistische Parteien, teilweise sind sie an der Regierung beteiligt.

Hader: Lustigerweise sind das meistens Länder, die eine katholische Tradition haben. Was zieht, ist die Angst: Angst vor Zuwanderung, Angst vor der Fremdbestimmung aus Brüssel, Angst vor der Globalisierung in ihrer Dynamik. Das macht es den Rechten so leicht, die politischen Früchte zu pflücken.

SZ.de: Warum ist die Furcht vor Zuwanderung gerade in Österreich so ausgeprägt?

Hader: Weil Sozialdemokraten und Konservative es versäumt haben, die Vorteile von Zuwanderung herauszustellen. Niemand hat sich hingestellt und erklärt: Wir brauchen Zuwanderung - wirtschaftlich, sonst werden wir in den nächsten 50 Jahren unglaublich zurückgeworfen. Und zweitens ist es natürlich auch anständig, jemanden aufzunehmen. Das so zu erklären, dass es die Leute verstehen, dazu ist offenbar niemand fähig.

SZ.de: Ließe sich das ändern?

Hader: Wenn sich jemand mit einer Vision, mit Überzeugungskraft und mit offenem Visier hinstellen würde, könnte er etwas ausrichten.

SZ.de: Sehen Sie so jemanden in Österreich?

Hader: Der einzige Politiker, der das in den letzten 20 Jahren gekonnt hätte, wäre Jörg Haider gewesen. Der war so ein Kommunikationsgenie - nur leider auf dem falschen Dampfer. Man bräuchte Mut und Talent, zwei Eigenschaften, die bei unseren politischen Führungskräften nicht gerade ausgeprägt sind. Und noch ein Indikator: Überall dort, wo die Vergangenheit nicht aufgearbeitet wurde, hat der Rechtspopulismus leichtes Spiel. Da geht ganz schön viel.

SZ.de: In Deutschland ...

Hader: ... ist das nicht so, denn Deutschland ist ein sehr angenehmer Sonderfall. Populismus bricht sich hier eher links den Weg...

SZ.de: ... wie Oskar Lafontaine mit seiner Linkspartei.

Hader: Rechts geht das in Deutschland einfach nicht. Aber auch Linkspopulismus ist nicht mehrheitsfähig, deutsche Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Deutschland ist in dieser Hinsicht Vorbild und Phänomen. Was politische Debatten in Deutschland betrifft, in welcher Art sie ausgetragen werden, wie viel Sachlichkeit dabei ist, wie man mit dem Gegner umgeht: Da könnten sich alle was von abschneiden.

"Österreich kann nie wieder so gefährlich werden wie 1914"

SZ.de: Empfinden Sie auch die Debatte um Hartz IV als sachlich?

Hader: Guido Westerwelle wäre in Österreich ein kleiner Fisch, in manchen Parteien würde er wahrscheinlich als eine Stimme der Vernunft gelten. Das muss man leider so sagen: Eure deutschen Probleme hätten wir Österreicher gerne.

SZ.de: Westerwelles Warnung vor "spätrömischer Dekadenz" sorgte hierzulande für große Aufregung.

Hader: Aber das ist doch toll: Westerwelle zieht diese populistische Aktion ab, weil er glaubt, er kriegt damit Stimmen. Daraufhin gewinnt seine Partei genau einen Prozentpunkt und er selber sinkt in der Glaubwürdigkeit massiv ab. Zu dieser vernünftigen Einstellung gegenüber seinen Politikern kann man den Deutschen doch nur gratulieren!

SZ.de: Polemisch ging es bei uns in der Vergangenheit trotzdem zu: Haben Sie Franz Josef Strauß und seine krachledernen Sprüche vergessen?

Hader: Da haben die Alpenländer etwas gemeinsam: So wie Blocher in der Schweiz und Haider in Österreich hat auch Strauß in Bayern Erfolg gehabt, weil er einer war, von dem die Leute anerkennend sagten: "Der is a Hund." Ein Schlitzohr, von dem sich die Leute aber gut vertreten fühlen. Weil er nicht immer ehrlich ist, dafür aber raffiniert. In Bayern schätzt man das genauso wie in Österreich.

SZ.de: In Bayern galt niemand als wählbar, wenn er eine schillernde NS-Vergangenheit vorweist wie Kurt Waldheim.

Hader: Ich will Waldheims Rolle nicht beschönigen, aber das war kein überzeugter Nazi, sondern ein klassischer Mitläufer, kurz: ein Opportunist.

SZ.de: Nun kandidiert Barbara Rosenkranz für das Amt des Bundespräsidenten, die Frau eines verurteilten Rechtsextremisten, die das NS-Wiederbetätigungsverbot abschaffen will.

Hader: Und sie wird vermutlich ein passables Ergebnis erreichen, dank der ÖVP. Die konservative Partei stellt keinen eigenen Kandidaten auf, sondern folgt lieber dem Motto: Wenn wir gegen den sozialdemokratischen Amtsinhaber eh keine Chance haben, dann geben wir lieber auch kein Geld aus. Dass ein eigener Kandidat den guten demokratischen Gepflogenheiten entspräche, ist manchen leider ebenso wurscht wie das Ansehen des Landes.

SZ.de: Trotz Haider und Co ist Österreich nach wie vor beliebtes Touristenziel.

Hader: Die Österreicher machen das halt sehr charmant. Wir Österreicher sind im Großen und Ganzen sehr aufgeschlossen und besitzen ein Talent zu kommunizieren. Einerseits können wir uns leicht auf Fremde einstellen.

SZ.de: Und auf der anderen Seite?

Hader: Da steht kurioserweise diese große Angst - und eine Situation, die es bei uns vor 100 Jahren schon gab. Heute wandern Menschen aus denselben Regionen ein wie in der Monarchie: aus Osteuropa. Österreich ist wieder Schmelztiegel, es gibt eine Mischung wie zu K.-u.-k.-Zeiten. Und es kommen genau dieselben dumpfen Ressentiments hoch, die moderaten Kräfte sind genauso ohnmächtig wie damals und genauso wie damals floriert das Kunstleben.

SZ.de: Austrias Geschichte wiederholt sich?

Hader: Schrecklich, nicht wahr? Ich glaube, dass Österreich und auch allen anderen Staaten die letzten 300, 400 Jahre anhängen. Geschichte wirkt nach, wenn man nicht aufräumt, wie die Deutschen das nach 1945 gemacht haben.

SZ.de: Im Fall Österreich gibt es einen signifikanten Unterschied: Vor 100 Jahren war das Land noch ein Machtfaktor in Europa.

Hader: Stimmt, unsere Dummheit kann zu keiner Katastrophe führen wie 1914. Österreich kann nie wieder so gefährlich werden wie damals - das ist das Tröstliche an der Sache.

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