Süddeutsche Zeitung

Internationaler Strafgerichtshof:Eine Warnung für Despoten

Das Verfahren gegen den einstigen sudanesischen Machthaber Omar al-Baschir in Den Haag könnte dem internationalen Strafrecht zum Durchbruch verhelfen.

Gastkommentar von Josef Alkatout

Die Übergangsregierung des Sudan hat angekündigt, das ehemalige Staatsoberhaupt an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auszuliefern. Sollte es wirklich zu einem Prozess gegen Omar al-Baschir in Den Haag kommen, wäre das für die gesamte internationale Strafgerichtsbarkeit ein epochaler Durchbruch.

Mit einem Jahresbudget von lediglich knapp 150 Millionen Euro, weniger als einem Sechstel der Ausgaben des Berliner Justizwesens, ermittelt der IStGH in Krisengebieten weltweit. Zugleich erwartet die Öffentlichkeit, dass die Ergebnisse höchsten Ansprüchen genügen. Obwohl dem Gericht mehr als 120 Länder, in der Mehrzahl aus Afrika, beigetreten sind, kommt der IStGH in vielen Fällen kaum voran. Etwas anderes war von einer nach rechtsstaatlichen Maßstäben arbeitenden internationalen Behörde, der mitunter von den eigenen Vertragsstaaten Steine in den Weg gelegt werden, auch nicht zu erwarten. Selten wird Kritik am Strafgerichtshof von den Opfern angemeldet, eher von denen, die seine Strafgewalt zu fürchten haben. Wichtige Mächte wie Russland, Iran, China sowie die Türkei sind gar nicht erst beigetreten. Die USA sabotieren das Gericht ganz öffentlich.

Der Fall al-Baschir landete 2005 aufgrund einer Weisung des UN-Sicherheitsrats in Den Haag. Vier Jahre später wurde ein Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, später auch wegen Völkermords erlassen. Es geht um mehrere Hunderttausend Tote sowie Millionen Vertriebene, dennoch schien es dem Despoten jahrelang ein Leichtes zu sein, sich der Verhaftung im eigenen Land zu widersetzen. Schlimmer noch, seine rege Reisetätigkeit und das freie Geleit, das ihm vor allem in afrikanischen IStGH-Mitgliedsstaaten gewährt wurde, sprach der internationalen Strafgerichtsbarkeit Hohn.

Durch die jetzt in Aussicht gestellte Kooperation des Sudan mit dem IStGH würde sich das Blatt wenden. Der oft erhobene Vorwurf der unlauteren, neokolonialen Fokussierung des Gerichts auf Afrika relativierte sich, denn es handelt sich um ein afrikanisches Land, das dem Gericht in Den Haag ein angemessenes Verfahren gegen ihr vormaliges Staatsoberhaupt zutraut. Als im März 2009 der besagte Haftbefehl gegen Omar al-Baschir erlassen wurde - der erste gegen einen noch amtierenden Staatschef überhaupt -, glaubte man, der IStGH habe sich wieder einmal in eine Sackgasse manövriert. Schließlich handelte es sich nicht um irgendeinen Warlord, sondern um einen fest im Sattel sitzenden Präsidenten, dessen Land dem IStGH nie beigetreten war. Wenn nun der lange Atem der internationalen Strafjustiz reicht, einen Despoten nach 30 Jahren Herrschaft zu fassen, und sogar ein mitunter herzliches Verhältnis des Delinquenten zu westlichen Ländern diesem keine Sicherheit vor einer Auslieferung nach Den Haag bietet, können sich vielleicht auch Despoten vom Schlage eines Kim Jong-un oder Baschar al-Assad ihrer Sache nicht mehr ganz so sicher sein.

Dem Rückzug afrikanischer Staaten vom IStGH wirkt die Entscheidung des Sudan, im eigenen Land durchaus umstritten, entgegen. Sie sollte beispielhaft sein für Mächte, die sich dem Gericht bislang verweigern. Es mag verwegen klingen, aber womöglich wird eines Tages eine Einheitsregierung in Kabul gar westliche Soldaten, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, aus dem IStGH-Vertragsstaat Afghanistan nach Den Haag überstellen. Das käme für die internationale Strafgerichtsbarkeit, aber auch für die Aussöhnung zwischen Orient und Okzident einer weiteren Zeitenwende gleich.

Josef Alkatout ist Genfer Rechtsanwalt und Dozent für internationales Strafrecht an verschiedenen Universitäten.

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SZ vom 29.02.2020
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