Joschka Fischer im Interview:"Im Parlament muss es krachen!"

Nichts einzuwenden gegen "Wildsau": Joschka Fischer, ehemaliger Vizekanzler, findet die derzeit gebrauchten Ausdrücke im politischen Getümmel ganz moderat. Ein Gespräch über Gurkentruppen und den Mangel an Streitkultur in der deutschen Politik.

Martin Zips

Der Ton wird schärfer. Mal heißt es, ein CDU-Mann habe Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als "Rumpelstilzchen" bezeichnet, mal nennt jemand von der CSU die FDP "Gurkentruppe", dann wieder beklagt sich der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, irgend so ein Liberaler habe die Christsozialen als "Wildsau" beschimpft. Kein anderer kann solche politischen Pöbeleien besser bewerten als Joschka Fischer, 62. Der ehemalige grüne Realpolitiker, hessischer Turnschuh-, deutscher Außenminister und Vizekanzler berät heute Energie- und Autofirmen. Zeit seines politischen Lebens war er nie um die eine oder andere bissige Bemerkung verlegen.

Joschka Fischer in Ungarn

"Drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit" - Joschka Fischer ist ein Freund der deutlichen Worte.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Fischer, ist es ehrbar, politische Gegner als "Rumpelstilzchen", "Gurkentruppe" oder "Wildsau" zu bezeichnen?

Joschka Fischer: Das sind doch ganz moderate Ausdrücke im politischen Getümmel. Die CSU sollte sich freuen, endlich wieder als "Wildsau" wahrgenommen zu werden, die mit animalischer Kraft durchs koalitionäre Unterholz fegt. "Gurkentruppe", das halte ich noch fast für eine Überschätzung der heutigen FDP. Und zu Guttenberg passt wirklich alles, nur nicht "Rumpelstilzchen". Insgesamt stelle ich fest: Echte Deftigkeiten kommen heute eher selten vor.

SZ: In der Politik geht es also höflicher zu als zu Ihrer Zeit? Ist das zu befürworten?

Fischer: Im Gegenteil. Alles muss raus. Was muss, das muss. Es. Muss. Raus. Das gehört zur parlamentarischen Demokratie dazu.

SZ: Und wenn Kinder zuhören, wenn jemand im Fernsehen plötzlich sagt: "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch?"

Fischer: Moment! Ich habe das damals in sehr korrekter Form getan. Ich sagte nämlich: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ..."

SZ: Schlimm genug. Und das hier stammt doch auch von Ihnen, oder? "Es gibt eine ganze Latte politischer Halbleichen bis Leichen, die hier auf Kabinettsposten herummodern." Mit Verlaub, Herr Fischer. Leichen. Modern.

Fischer: Das ist doch keine Beleidigung. Wirklich nicht. Ganz sachliche Feststellung.

SZ: Auch nicht "Drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit"? So haben Sie Helmut Kohl einmal genannt.

Fischer: Nein, nein. Extrem sachlich, wie die Wahlen 1998 dann gezeigt haben! Am besten aber war Wehner, der den Berliner CDU-Abgeordneten Jürgen Wohlrabe im Plenum als "Übelkrähe" titulierte. Das ist schon große, große Klasse. Da kann es von Guttenberg doch getrost ignorieren, dass man ihn als "Rumpelstilzchen" bezeichnet. Finden Sie nicht?

SZ: Wie würden Sie ihn denn nennen?

Fischer: Das sage ich Ihnen nicht. Ich weiß aber auch nicht, wie man bei unserem feschen Verteidigungsminister von und zu Guttenberg ausgerechnet auf "Rumpelstilzchen" kommt. Selbst wenn man seiner Frau die Rolle der goldspinnenden Königstochter zuschustern würde, passt das doch - wenn man das Märchen kennt - hinten und vorne nicht. Noch einmal: "Wildsau", "Gurkentruppe" und "Rumpelstilzchen" sind alle drei nicht hitverdächtig. Da werden keine Ohrwürmer draus.

"Heute ist alles viel wohlerzogener"

SZ: Gibt es denn in der jüngeren Generation noch jemanden, der da rhetorisch anknüpfen könnte? Sie beobachten das ja heutzutage eher aus Sicht eines Wirtschaftsberaters.

Joschka Fischer

Amerika muss die Kriege in Afghanistan und im Irak beenden, meint der frühere Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) .

(Foto: dpa)

Fischer: Ich beobachte das kaum noch. Das ist vorbei.

SZ: Wer sind denn die heutigen Wehners, Strauß oder Fischers? Sie haben sich ja irgendwann vom Feld gemacht.

Fischer: Niemand hat sich da plötzlich vom Feld gemacht. Es war zu Ende. Wir hatten damals verloren. Ich bin noch ein Jahr in der Hinterbank sitzen geblieben und dann gegangen. Das Alter, die Zeit. Alles ist endlich. Ich bitte, mich jetzt nicht in diesen Rücktrittsreigen von Koch und Köhler einzuordnen. Das wäre ja fast ehrenrührig. Dass jetzt eine Sehnsucht nach den Alten entsteht, wirft doch eher ein bezeichnendes Licht auf die Gegenwart.

SZ: Und wie kann man da ein bisschen Wind reinbringen?

Fischer: Weiß ich nicht. Müssen die Jungen machen. Die Medien sind ja auch nicht mehr so bissig wie früher, wenn ich mir das erlauben darf. Heute ist alles viel wohlerzogener, und das setzt sich auch in der politischen Debattenkultur durch.

SZ: Das müssen Sie jetzt nur noch für uns bewerten. Sie selber haben sich ja mal als "letzten Live-Rock'n'Roller" der deutschen Politik bezeichnet.

Fischer: Und? Hatte ich da so unrecht?

SZ: Keine Ahnung. Man sieht jedenfalls nichts, was da heute in eine ähnliche Richtung gehen könnte.

Fischer: Doch. Lena.

SZ: Lena?

Fischer: Das war jetzt ironisch. In Wirklichkeit verstehe ich nichts von Musik. (Fischers Handy klingelt. Der Klingelton: "Halleluja" von Georg Friedrich Händel.)

SZ: Schauen Sie eigentlich Talkshows?

Fischer: Die kann man haken. Die sollte man Talkshow-Mumien wie Hans-Olaf Henkel überlassen.

SZ: Würden Sie denn heute noch einmal in die Politik gehen?

Fischer: Natürlich! Unbedingt! Und bei aller Kritik: Es wäre doch ein merkwürdiges politisches Gemeinwesen, wenn niemand mehr in die Politik oder zum Wählen ginge. Unsere Demokratie ist es allemal wert, dass man sich für sie einsetzt. Bei allen Problemen, die wir haben: Vergleichen Sie das doch einmal mit anderen Ländern. Wir leben in einem wunderbaren Land mit funktionierenden Institutionen, einer starken Zivilgesellschaft und sind hier doch alles andere als arm.

SZ: Mmmmh.

"Die Regierungsparteien lieben sich wie Hund, Katze und Goldfisch"

Fischer: Ist Ihnen übrigens etwas aufgefallen? Wir haben in diesem Gespräch weder über Merkel, noch über Westerwelle gesprochen. Und auch nicht über Gabriel.

SZ: Stimmt. Und was sagt uns das?

Fischer: Ist doch ganz klar: Bei denen muss es sich um ganz große Redner handeln.

SZ: Ist es authentisch, was Westerwelle als Redner spricht? Meint der wirklich immer, was er so sagt?

Fischer: Seine Rhetorik hat bei mir nie verfangen. Ich schalte bei ihm eher ab als ein. Insofern kann ich das einfach nicht beurteilen.

SZ: Lafontaine besaß das Talent, durch eine gleichsam musikalische Komposition seiner Reden die Applausbrandung punktgenau zu starten.

Fischer: Sie müssen unterscheiden zwischen Parteitagsreden und parlamentarischen Reden. Bei Parteitagsreden gilt: Je schlichter die Rede, desto lauter der Beifall. Das Parlament hingegen spiegelt das politische Kräfteverhältnis einigermaßen wieder. Da müssen Sie auch den politischen Gegner ansprechen, der bekanntlich nicht nur still rumsitzt. Gegen eine große CDU/CSU-Fraktion anzureden und die aus der Fassung zu bringen, das ist schon was anderes, als einen Parteitag in Wallung zu versetzen.

SZ: Das Dritte ist das Gemauschel. Hintenrum ausgeplaudert. Vornerum dementiert und kommentiert.

Fischer: Es ist ja offensichtlich, dass die Regierungsparteien sich gegenwärtig so innig lieben wie Hund, Katze und Goldfisch. Fragt sich nur, wie sie noch drei Jahre so durchhalten können. Aber bitte. Im Parlament jedenfalls, da muss es zur Sache gehen! In Deutschland meint man ja immer, im Parlament müsse man sich vor allem gut benehmen. Pfeifendeckel! Da muss es krachen! Rhetorisch selbstverständlich nur.

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