Joschka Fischer: Die Memoiren:Der bescheidene Polemiker

Von Pulverfässern und amerikanischer Hybris: Beim Lesen der Autobiographie von Joschka Fischer stellt sich eine Art Déjà-vu-Effekt ein - es ist tatsächlich so gewesen, wie man immer vermutet hatte. Über die großen Mühen der Ära Fischer.

Günter Verheugen.

Joschka Fischers Erinnerungen an den Irakkrieg und seine Jahre als Außenminister in der Regierung Schröder werden an diesem Donnerstag in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert: "I am not convinced". Der Irakkrieg und die rot-grünen Jahre. Fischer war nie Vorsitzender der Grünen, aber er war der Präzeptor seiner Partei. Günter Verheugen bespricht das Buch, das beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheint, für die SZ. Der SPD-Politiker hat als EU-Kommissar (von 1999 bis 2010) die Osterweiterung auf den Weg gebracht. Gerhard Schröder ließ sich von ihm in außenpolitischen Fragen Rat geben. Seitdem er nicht mehr in Brüssel arbeitet, ist Günter Verheugen als Politikberater tätig.

Fischer und Schröder

Wenn heute Rot-Grün wieder eine Option ist, sollte niemand vergessen, dass die neue Stärke der Grünen zu einem großen Teil auf Joschka Fischers Amtsführung als Außenminister zurückgeht.

(Foto: dpa)

Mit dem zweiten Band seiner Erinnerungen hat Joschka Fischer sich Zeit gelassen. Der erste, 2007 erschienene Band behandelt die Jahre der rot-grünen Regierung bis zum 9. September 2001. Der zweite Band setzt mit ebendiesem Tag ein. Fischer hat ihn zu Recht als eine unvergleichliche historische Zäsur verstanden. Der lange Abstand zwischen den beiden Bänden hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass Fischers Blick auf die wirklich wichtigen Ereignisse nun geschärft ist. Die Alltagsgeschäfte, tagespolitische Aufgeregtheiten und auch Ausfälle gegen einstige Gegner lässt Fischer beherzt weg. Den Fehler aller hastig verfassten Politikerbücher, die eine Mischung aus Rechtfertigung und Abrechnung sind, hat Fischer vermieden. Allerdings führt sein abgeklärtes Herangehen über weite Strecken zu einer forcierten Nüchternheit, die vergessen macht, dass der Autor auch ein begnadeter Polemiker ist.

Über Fischers zentrales Thema, die Auswirkungen des 11. September auf die Weltpolitik, ist schon viel geschrieben worden. So stellt sich beim Lesen eine Art Déjà-vu-Effekt ein: Es ist also tatsächlich so gewesen, wie man immer vermutet hatte. Allerdings ist nichts von dem, woran Joschka Fischer sich abgearbeitet hat, erledigt. Der Nahe Osten: Die Lage hat sich massiv verschlechtert. Der Mittlere Osten: ein Pulverfass. Afghanistan: ein drohendes Ende mit Schrecken. Pakistan: ein gefährliches Fragezeichen. Und schließlich die USA: eine Weltmacht im Abstieg, deren Hybris während der Bush-Jahre die Welt in Atem hielt. Und Europa ist mit sich selbst beschäftigt in einem Kräfte verzehrenden Klein-Klein und nicht im mindesten vorbereitet auf die großen Umwälzungen, die Fischer kommen sieht und hellsichtig beschreibt.

Dennoch wäre es falsch, zu schlussfolgern, die großen Mühen der Ära Fischer wären vergeblich gewesen. Bescheiden spricht er davon, dass in den rot-grünen Jahren außenpolitisch neue Gleisstrecken verlegt worden seien. Da war mehr als das: die Afghanistankonferenz auf dem Petersberg, die road map für den Nahen Osten, das klare Nein zur Beteiligung am Irak-Krieg, die Bemühungen um den Dialog mit Teheran. Das alles hat bleibende Wirkungen. Und ohne Zweifel hat Fischer auch der Idee der europäischen Integration starke Impulse gegeben.

Israel, Palästina, Iran, Irak und Afghanistan waren die großen Herausforderungen. Fischer mühte sich im Nahostkonflikt, er erwarb das Vertrauen beider Konfliktparteien und häufte ein politisches Kapital an, von dem seine Nachfolger bis heute zehren. Seine Schilderungen enthüllen eine tiefe Tragik: Wann immer etwas erreicht war, kam jemand daher und riss es wieder ein, mal die Amerikaner, mal die Israelis, mal die Palästinenser.

Fischers Engagement in der Nahostfrage war offenkundig bestimmt von seinem Verständnis der deutschen Verantwortung für Israel. Zweimal wird er in diesem Zusammenhang ungewöhnlich scharf, einmal, wenn er sich mit dem Tabubruch der Möllemann-FDP im Bundestagswahlkampf 2002 auseinandersetzt, dabei allerdings schonungsvoll mit seinem Nach-Nachfolger Westerwelle umgeht, indem er dessen dubiose Rolle bei dem Spiel mit dem antisemitischen Feuer nicht erwähnt. Zum anderen, wenn er den "Aufstand der Mumien" im Auswärtigen Amt abfertigt. Fischers Deutung der Vorgänge macht klar, dass es in Wahrheit um die selbstgebastelte Legende vom Amt als letztem Hort des politischen Anstands während der Nazizeit ging. Es war ein wichtiger Akt der politischen Hygiene, die wahre Rolle des Amts zwischen 1933 und 1945 aufarbeiten zu lassen.

Die große innenpolitische Debatte um die Außenpolitik drehte sich um die Reaktionen auf den Terroranschlag vom 11. September. Zuerst ging es um Afghanistan. Außenpolitisch war diese Frage nicht wirklich kompliziert. Die Bündnisverpflichtungen waren eindeutig, die völkerrechtlichen Grundlagen klar, die Notwendigkeit, Solidarität mit den USA zu beweisen, zwingend. Es macht allerdings beklommen, zu lesen, wie haarscharf die rot-grüne Koalition an ihrem Untergang vorbeigeschrammt ist. Was schließlich den Ausschlag gab, deutsche Truppen nach Afghanistan zu schicken, war nicht Einsicht in die Notwendigkeit und Richtigkeit, sondern reiner Machtopportunismus auf dem Flügel der Grünen, der nicht begreifen konnte oder wollte, dass es für Deutschland in der Welt nach dem 11. September kein warmes Plätzchen hinter dem Ofen mehr gibt.

Überzeugt und konsequent

Aber Afghanistan war nur das Vorspiel. Es folgte die Irak-Krise. Fischers Antennen hatten ihn schon sehr früh erkennen lassen, was sich in Washington zusammenbraute, und er hielt es von Anfang an für ein unvertretbares Abenteuer. Für die rot-grüne Regierung war die Lage extrem schwierig: ein Nein war innenpolitisch mehr oder weniger ein Selbstläufer, außenpolitisch aber ein Härtetest ohnegleichen. Fischer hielt die amerikanischen Kriegsgründe für vorgetäuscht. "Excuse me, I am not convinced", hielt er auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2003 dem amerikanischen Verteidigungsminister entgegen.

Fischer kann nur kämpfen, wenn er von einer Sache überzeugt ist. Bei Kosovo und Afghanistan, da war er überzeugt. Im Falle Irak kämpfte er auch aus Überzeugung: diesmal dagegen. Außenpolitisch drohte dadurch die Gefahr der Isolierung Deutschlands. Man liest mit einem gewissen Grimm, wie Deutschlands wichtigster Partner in der EU, der französische Präsident Chirac, die rot-grüne Regierung erst einmal schmoren ließ, weil er sich schon auf den Wahlsieg von Stoiber 2002 festgelegt hatte und von dessen Zustimmung zum Irak-Krieg ausging. Der Preis, den die Regierung für ihre Haltung zahlte, war die schwerste Krise in den Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen.

Im Hinblick auf Afghanistan und Irak waren Gerhard Schröder und Joschka Fischer einig. Das galt aber nicht für alle Fragen. Auch Fischer hat erlebt, was jeder deutsche Außenminister erlebt. Früher oder später, meistens früher, findet ein Regierungschef Geschmack an der internationalen Politik. Deutsche Außenpolitik ist, wie die jedes EU- und NATO-Mitgliedes, sehr viel mehr europäisch und international eingebunden, als dies die Öffentlichkeit wahrnimmt. Wenn dann noch dazukommt, dass der Regierungschef zum außenpolitischen Akteur wird, kann ein Außenminister leicht zum Repräsentationsminister absinken. Nicht so Joschka Fischer. Zwischen Schröder und ihm hat es offenbar eine Arbeitsteilung gegeben. Das legen jedenfalls die weißen Flecken auf Fischers außenpolitischer Weltkarte nahe. Russland, China, Japan, die Schwellenländer: Sie kommen bei Fischer praktisch nicht vor. Das war Kanzlersache und offenbar hat Fischer weder die Nähe zu Putin noch die Annäherung an China aus Überzeugung gutgeheißen.

Ungewöhnlich offen kritisiert er Schröders außenpolitische Neigungen. Nur, auch die Entwicklungsländer, die ost- und mitteleuropäischen Nachbarn, sowie die allermeisten EU-Staaten stehen auch nicht im Fokus der Fischer-Erinnerungen. Aber als Partner für seine Außenpolitik waren diese Länder für ihn offenbar nicht relevant. Auch Europapolitik im engeren Sinne war offenbar nicht Fischers Sache, jedenfalls nicht als gelebte Praxis. Das erklärt vielleicht, warum er, wie alle Außenminister, die mangelhafte Organisation der deutschen Europapolitik nicht erkannte und an der europapolitischen Zuständigkeit des Außenministers festhielt, die an sich ins Kanzleramt gehört.

Joschka Fischer wäre gern der erste europäische Außenminister geworden, und er räumt unumwunden ein, dass dies ein Motiv für sein Engagement im Verfassungskonvent war. Er ist bekennender europäischer Föderalist. Es ist jedoch nicht ganz klar, wie weit er dabei zu gehen bereit ist und ob sein Plädoyer für die Vereinigten Staaten von Europa die Aufgabe der Nationalstaaten impliziert. Jedenfalls will er mehr und nicht weniger Integration. Mit Vehemenz vertritt er die EU-Mitgliedschaft der Türkei, die sich für ihn logisch aus den Interessen aller Beteiligten ergibt.

In der Tradition deutscher Koalitionsregierungen ist der Außenminister gewöhnlich der erste Repräsentant des kleineren Koalitionspartners. Auch das begründet seine starke Stellung in der Regierung. Er kann sich deshalb aus der Innenpolitik nicht heraushalten. Das konnte Fischer auch nicht, aber das Finale der rot-grünen Regierung beschreibt er schon aus großer Distanz. Er hielt die vorgezogenen Wahlen für falsch, und er wusste, dass damit sein rot-grünes Projekt zu Ende war. Sein Rückzug aus der Politik nach der Bundestagswahl 2005 ist daher konsequent.

Wenn heute Rot-Grün (oder Grün-Rot) doch wieder eine realistische Option ist, sollte niemand vergessen, dass die neue Stärke der Grünen zu einem großen Teil auf Joschka Fischers Amtsführung als Außenminister zurückgeht. Er hat das außenpolitische Grundvertrauen für die Grünen geschaffen. Das ist das wirklich Grüne an seiner Außenpolitik. Es ist das, was bleibt, gut für die Grünen und gut für unser Land.

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