Argentinien:„Wenn sich der Staat zurückzieht, füllen Drogenbanden die Lücken“

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Kämpfer für die Armen: Jorge Garcia Cuerva. (Foto: IMAGO/Horacio Córdoba/IMAGO/Newscom / GDA)

Die Milei-Regierung feiert ihre Kettensägenpolitik als Erfolg – Erzbischof Jorge Ignacio García Cuerva prangert die sozialen Folgen für die Schwächsten der Gesellschaft an. Und sein Wort hat Gewicht.

Von Christoph Gurk

Keine Frage: Es sind herausfordernde Zeiten für Jorge García Cuerva. Denn als gläubigen Katholiken und als Erzbischof von Buenos Aires trieb ihn in den vergangenen Wochen natürlich der Gesundheitszustand des Papstes um: „Franziskus braucht unsere Hilfe“, erklärte García Cuerva immer wieder. Lasset uns beten!

Nun, nach fast einem Monat, scheint der Papst tatsächlich auf dem Weg der Besserung zu sein. Aufatmen kann García Cuerva aber trotzdem nicht, schließlich sind da noch all die anderen Sorgen, die ihn als Erzbischof beschäftigen: das Seelenheil der Gläubigen, aber auch ihre weltlicheren Probleme, Kriminalität, zum Beispiel, Hunger, bittere Not.

Argentinien, dieses eigentlich so reiche Land, steckt schon seit Jahren in einer schweren Krise. In den vergangenen Monaten ist die Armut zwar gesunken und nun betrifft laut offiziellen Zahlen nicht mehr die Hälfte der Bevölkerung, immerhin aber noch ein Drittel. Und auch wenn die rechts-libertäre Regierung um Präsident Javier Milei dies alles als Erfolg feiert, so hat ihre Kettensägen-Sparpolitik dennoch katastrophale Folgen für alle, die ohnehin schon zu den schwächsten Gliedern der Gesellschaft gehören. Weil sie nur eine prekäre Arbeit haben, weil sie alt sind, alleinerziehend oder arm.

Milei, findet er, fehle ein „soziales Thermometer“

Längst gibt es darum Kritik von der Opposition und sozialen Organisationen, dazu aber eben auch von der katholischen Kirche. So warnte Erzbischof García Cuerva erst vor ein paar Tagen vor den Konsequenzen der Einsparungen in Armenvierteln: „Wenn sich der Staat zurückzieht, füllen Drogenbanden die Lücken.“ Und schon vergangenes Jahr kritisierte er bei einem Gottesdienst im Beisein von Präsident Milei und dessen Ministern, dass vielen ein „soziales Thermometer“ fehle und „Verständnis für die einfachen Argentinier“.

Jorge Ignacio García Cuerva kann man das nicht vorwerfen: 56 Jahre ist er alt, er stammt aus Rio Gallegos, ganz im Süden von Argentinien. Nach dem Schulabschluss ging er nach Buenos Aires, eigentlich, um Jura zu studieren. Über Freiwilligenarbeit in Armenvierteln entdeckte er dann aber seine wahre Berufung – den Dienst an Gott und der Gemeinschaft.

1997 erhielt García Cuerva die Priesterweihe und anschließend wurde er ein cura villero, ein Armenpriester: In der Pfarrei Nuestra Señora de La Cava kümmerte er sich um die Sorgen der Menschen. Die Gemeinde ist in Argentinien vor allem dafür bekannt, dass sie einerseits bitterarm ist, andererseits aber auch in direkter Nachbarschaft steht zu den Villen und den exklusiven Privatklubs von San Isidro, einem der wohlhabendsten Wohnviertel von ganz Argentinien. Mehr Ungleichheit auf weniger Raum geht fast nicht.

All diese Erfahrungen machten García Cuerva zu einem durchaus streitbaren Geistlichen. Mit einigen Politikern der argentinischen Linken verbinden ihn zwar freundschaftliche Beziehungen. Gleichzeitig kritisierte er aber in der Vergangenheit auch ihre Regierungen, ebenso wie nun eben die des rechts-libertären Staatschefs Javier Milei.

Der Papst war wohl nie ein Fan von Javier Milei

Dieser hatte schon während seines Wahlkampfs 2023 eine Kettensäge geschwungen als Symbol dafür, wie er den Staat zusammenstutzen würde, sollte er Präsident werden. Und immer wieder hatte Milei auch auf Papst Franziskus geschimpft, ihn als „Schwachkopf“ bezeichnet und sogar als „Vertreter des Bösen auf Erden“, weil er „soziale Gerechtigkeit“ verteidigen würde. Nach dem Wahlsieg kam es dann zwar zu einer Art Versöhnung: Milei reiste nach Rom und wurde dort vom Papst auch freundlich empfangen. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, Franziskus habe schon gewusst, was er tat, als er im Mai 2023, mitten im bereits auf Hochtouren laufenden argentinischen Wahlkampf, Jorge García Cuerva zum neuen Erzbischof von Buenos Aires berief.

Denn um zu verstehen, was dieser im Gegensatz zum argentinischen Präsidenten von sozialer Gerechtigkeit hält, reicht es, sich sein Bischofswappen anzusehen: ein Kreuz, ein Hirtenstab und ein Stück Wellblech, so wie man es überall in argentinischen Slums als Dachersatz sieht. Und unter allem ein Bibelzitat: „Wende dich nicht ab von den Armen.“

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