Brexit:Alle erwarten den Deal - und von Johnson kommen Witze

  • Der britische Premier Johnson stellt die EU vor die Wahl zwischen einem harten Brexit am 31. Oktober und einem Deal auf Grundlage seiner jüngsten Vorschläge.
  • Diese sind in der Nacht zu Mittwoch in Teilen bekannt geworden, die Details bestätigt Johnson bei seiner Parteitagsrede in Manchester nicht.
  • Er äußert grobe Vorschläge: keine Zollkontrollen in Nordirland, Beachtung des Karfreitagsabkommens und ein Mitspracherecht für Belfast.

Von Cathrin Kahlweit, Manchester

Wer erwartet hatte, dass Boris Johnson das erwartungsfrohe Publikum im Konferenzzentrum zum Toben bringen würde, wurde enttäuscht. Der britische Premierminister hat zum Abschluss des viertägigen Parteitags die übliche Abschlussrede gehalten. Wenige Stunden zuvor, in der Nacht zu Mittwoch, waren Details eines Brexit-Vorschlags aus London bekannt geworden.

So war diese Parteitagsrede mit hohen Erwartungen befrachtet: Würde er Details zu seinen Plänen bekanntgeben? Würde er den Briten und der EU vom Podium herab mitteilen, was sich seine Experten, Diplomaten, Beamten und persönlichen Berater ausgedacht hatten, um einen Deal mit Brüssel in den kommenden Tagen hinzubekommen? Und würde er den Delegierten kräftig und emotional einheizen?

Johnson machte zwar einige wenige Bemerkungen zu dem Dokument, das noch an diesem Mittwoch der EU-Kommission zugestellt werden soll. Aber was er sagte, war so allgemein, dass es keinen Hinweis darauf gab, wie genau der Austrittsdeal aussehen soll. Man werde keine Zollkontrollen in Nordirland auf oder nahe bei der Grenze installieren, man werde das Karfreitagsabkommen, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendete, achten, und man werde Regierung und Parlament in Belfast ein Mitspracherecht über den künftigen Status der Region einräumen. Das war's.

Am Morgen waren Zeitungen und Nachrichtensendungen voll gewesen von Informationen darüber, was in dem Vorschlag aus London stehe. "Zwei Grenzen für vier Jahre" werde es geben, schrieb der Daily Telegraph: eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Irland, und eine virtuelle Grenze zwischen der britischen Insel und Irland unter Beibehaltung von Regeln und Standards der EU. Nordirland solle mindestens vier Jahre lang diesen Sonderstatus haben, hieß es, und dann mitentscheiden, ob es sich dem Freihandels-Großbritannien anschließt, das Johnson in Aussicht stellt. Diese Lösung allerdings würde Zollkontrollen zumindest irgendwo nördlich und südlich der Grenze in Irland bedeuten. Was Johnson in seiner Rede verneinte.

Zum großen Deal kam also wenig bis nichts. Stattdessen bemühte der Premier Mal um Mal den Parteitagsslogan "Get Brexit done". Er lobte die Minister für ihre gute Arbeit, wiederholte die Versprechen für mehr Polizisten, Geld für das Gesundheitswesen und Schulen, mehr Chancengleichheit, mehr Investitionen und Innovationen. Er machte Witze, die man schon kannte, berichtete, seine Mutter habe für den Austritt aus der EU gestimmt, keilte ein bisschen gegen die Opposition, und schlug vor, Jeremy Corbyn, den Labour-Chef, in die Weltall-Mission zu stecken, die Großbritannien demnächst stemmen wolle.

Die Delegierten lachten und klatschen in Maßen, und weil der Saal nicht so recht mitging, musste Johnson zu dem Trick greifen, sich selbst rhetorische Fragen zu stellen und diese feurig zu beantworten. Auch als er bekannte, er sei ein EU-Fan, ja sogar "Ich liebe Europa" sagte, gab es wenig Resonanz. Offenbar hatten viele, die im Saal saßen, sich mehr Brüssel-Bashing erhofft. Aber genau das war wohl der Plan von Boris Johnson: unter den Erwartungen bleiben, immer wieder betonen, wie normal, tolerant, modern und eben nicht extrem seine Partei sei, und die EU nicht verärgern. Er gab an diesem Mittwoch in Manchester nicht den wilden Populisten, der politisch in der Ecke steht und um sich schlägt, sondern den unterhaltsamen, altbekannten Boris, der ein bisschen wirr, aber auch gebildet und gut gelaunt vor sich hinredet. Alles beim Alten, sollte das heißen, ich habe alles im Griff, bin unverändert.

Die eigentlichen Nachrichten wurden denn auch an diesem 2. Oktober anderswo gemacht - oder anderswo erwartet. Britische Medien meldeten, noch während Johnson sprach, dass die Regierung offenbar am kommenden Wochenende erneut eine Prorogation des Parlaments beantragen werde, um die Queen's Speech, also die Regierungserklärung, doch noch abzuhalten. Die letzte Zwangspause des Unterhauses war vom Supreme Court für gesetzeswidrig erklärt und aufgehoben worden.

Und in Dublin wie in Brüssel machte man sich bereit, auf das Papier zu schauen, das London nun endlich verschicken will. Erste Reaktionen auf das, was dem Vernehmen nach darin enthalten ist, waren negativ. Das Angebot sei nicht umsetzbar, hieß es, weil es den Binnenmarkt in Frage stelle und den Frieden in Nordirland gefährde. Der irische Vizepremier ließ wissen, man müsse erst die Details prüfen, aber: "Was ich bisher gehört und gesehen habe, sieht nicht aus wie die Basis für einen Deal." Später am Tag will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gleichwohl mit Johnson sprechen, auch von Chef-Unterhändler Michel Barnier wird eine erste Reaktion erwartet.

Johnson hatte in Manchester auf dem Parteitag gesagt, wenn das britische Angebot nicht ernsthaft in Brüssel diskutiert werde, werde man kein neues mehr vorlegen. Dann gebe es No Deal, also einen harten Brexit ohne Austrittsabkommen. Eine Verlängerung der Verhandlungen werde er nicht anbieten, diese seien teuer und sinnlos. Johnsons Botschaft von Manchester an Brüssel: Nehmt unseren Vorschlag an - oder wir sind weg. Da aber dürfte wieder das vom Premierminister schwer gescholtene Unterhaus in London ein Wörtchen mitzureden haben.

Zur SZ-Startseite
Gladstone's Address

SZ PlusBoris Johnson und das Verfassungsrecht
:Parlament gegen Premier

Das Urteil des Supreme Court in London wird allseits gefeiert. Es ist aber auch Phänomen der Krise des britischen Parlamentarismus.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: