Brexit:Johnson droht und droht und droht

Der britische Premier schert sich nicht um Recht und Gesetz. Er lässt den Kampf um den Brexit bedenkenlos eskalieren - und könnte damit am Ende Erfolg haben.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Viele Tories hatten sich gewundert, dass ihre Kollegin Amber Rudd sich überhaupt hinter Boris Johnson gestellt hatte und dann auch noch als Arbeitsministerin in sein Kabinett eingetreten war. Sie war immer für den Verbleib in der EU gewesen und hatte sich mehr als einmal abfällig über den Mann geäußert, der nun Premier ist. Was auch immer ihre Beweggründe waren: Am Samstag mochte sie nicht mehr. Ihr Rücktrittsbrief ist eine schallende Ohrfeige für Johnson. Er betreibe aktiv No Deal, er spalte die Tories, er spiele Vabanque mit Partei und Nation.

Normalerweise wäre ein solcher Rückzug, dem in den nächsten Tagen weitere Rücktritte folgen dürften, Schlagzeile genug für einen Tag - und ein Grund für Johnson, sich Sorgen zu machen. Aber der legt es genau darauf an. Alle, die sich gegen seinen Kurs stellen, sollen entfernt werden oder sich entfernen. Denn er braucht das Parlament nicht mehr. Er braucht, wenn sein Plan aufgeht, auch keine Parlamentsmehrheit mehr. Weil es so aussieht, als wolle ihm die versammelte Opposition rasche Neuwahlen verweigern, aus denen er als strahlender Brexit-Verwirklicher hervorzugehen dachte, ist sein neuer Plan B, gegen das Unterhaus zu regieren. Und gegen das Gesetz.

Johnsons engster Berater in Downing Street, Dominic Cummings, soll die Operation "Kettensägenmassaker" ausgerufen haben. Die, die meinten, die letzte Woche im Unterhaus sei chaotisch verlaufen, würden sehen, dass das Chaos steigerungsfähig sei. Abgesehen davon, dass allein diese Kriegsrhetorik, wenn die Berichte so stimmen, mehr als bedrohlich ist, so sind es die Pläne von Cummings und Johnson erst recht. Debattiert wird derzeit offenbar, das No-Deal-Vermeidungsgesetz, das an diesem Montag Gesetzeskraft erhalten soll, zu ignorieren. Johnson will in Brüssel keine Verschiebung des Brexittermins beantragen. Sollte die Opposition ihn deswegen vor dem Obersten Gericht verklagen, spekuliert er damit, dass der 31. Oktober schneller kommt, als ein Urteil da ist. Er droht damit, die Arbeit der EU zu torpedieren, die wegen des Einstimmigkeitsprinzips bei wichtigen Themen fürs erste noch von der Stimme Londons abhängig ist. Er droht, keinen Kommissar in die nächste Kommission zu entsenden. Er droht, sollte das Parlament in London ihn per Misstrauensvotum stürzen, nicht zurückzutreten. Er droht und droht und droht, sodass die Oppositionsparteien schon überlegen, ob es taktisch nicht doch besser wäre, Neuwahlen zuzustimmen.

Der britische Premier schert sich nicht um Recht und Gesetz. Und das Volk applaudiert

Johnson nützen die Drohszenarien, ihm nützt das befürchtete Chaos, ihm nützen sogar die Schlagzeilen, dass er lieber ins Gefängnis gehen als das Diktat des Parlaments umsetzen werde. Denn offensichtlich lieben es die konservativen Wähler - zumindest die Leave-Fans. London ist egal, die Stimmung im Rest des Landes ist das, was für Johnson zählt.

Und tatsächlich: Am Ende einer Woche, in der der Premier mehrere Niederlagen erlitten hat, sind die Umfragewerte seiner Tories nach oben geschnellt. Nach oben - man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Viele Briten sind begeistert von dem Rambo, der das Gesetz brechen, die Volksvertreter demütigen, die EU beschädigen und ihnen endlich den Brexit bescheren will. Man kann Cummings und Johnson zynisch finden, perfide oder schlicht irre. Aber es ist gut möglich, dass ihre Taktik aufgeht.

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